Große Anteilnahme
23. November 1992: Zwei junge Neonazis verüben in der Nacht einen Brandanschlag auf zwei Wohnhäuser in der Stadt Mölln. Die Bewohner sind türkische Familien. Es ist ein rassistischer Anschlag. Im Haus Ratzeburger Straße 13 können sich alle retten, es bleibt bei Verletzungen. Anders in der Mühlenstraße 9: Das Feuer greift schnell ums sich, die Treppe brennt. Die Kinder Yeliz Arslan und Ayşe Yılmaz sterben. Auch für ihre Großmutter Bahide Arslan kommt jede Rettung zu spät.
Die Täter wurden erkannt, kamen später in Haft, sind aber längst wieder auf freiem Fuß. Für andere ist die Vergangenheit nicht passé: Ibrahim Arslan, einer der Überlebenden des Anschlags, erfährt per Zufall, dass damals Hunderte von Beileids- und Solidaritätsbekundungen bei der Stadt Mölln eingingen. Die Familie hat davon aber nichts mitbekommen.
Arslan stellt Nachforschungen zu den Absendern an, betont, wie wichtig die Anteilnahme für die Familie gewesen wäre. Anfang der 1990er Jahre – es ist kurz nach der deutschen Wiedervereinigung – tobt der Rechtsextremismus durchs Land. Zu erfahren, dass viele Menschen die Opfer unterstützen, wäre wichtig gewesen.
Erst 2019 erfuhr Arslan von den „Möllner Briefen“. Ein Jahr später lernt er die Regisseurin Martina Priessner kennen. Sie beginnt, Arslan mit der Kamera zu begleiten, lässt Hinterbliebene zu Wort kommen, die auf zum Teil ungewöhnliche Weise von jener Nacht geschädigt sind. Ibrahims Bruder Namik hat eine massive Essstörung entwickelt, während der Dreharbeiten unternimmt er eine Abmagerungskur.
Die Arslans drängen darauf, dass die Stadt Mölln einen anderen Umgang mit dem Attentat findet. Bei der offiziellen jährlichen Veranstaltung fühlen sich Opfer und Hinterbliebene ausgegrenzt und streben eine eigene Zeremonie an. Die Verantwortlichen der Stadt würden mittlerweile gern ganz aufs Erinnern verzichten.
Lücken im Gedächtnis werden auch im Zusammenhang mit den Briefen deutlich: Trotz intensiver Bemühungen der Arslans, des Filmteams und von Journalisten bleibt ungeklärt, warum die Briefe nie dort ankamen, wo sie hingehörten. Mittlerweile wurden sie ans Dokumentationszentrum und Museum über die Migration in Deutschland übergeben.
Priessners mehrfach preisgekrönter Film berichtet nicht nur von den Erfahrungen der Überlebenden, er deckt eine große Solidarität auf – eine, von der die Opfer lange nichts wussten – und verbindet kunstvoll Vergangenheit und Gegenwart.
„Die Möllner Briefe“. D 2025. Regie: Martina Priessner. Kinostart: 25. September 2025