Holzklasse oder vierte Klasse

Es ist ein Irrtum zu denken, wer Grundsicherung nach dem SGB XII bezieht, kann nicht arbeiten. Diese Menschen eint lediglich, dass sie Rentner:innen oder dass sie voll erwerbsgemindert sind und somit weniger als drei Stunden pro Tag arbeiten dürfen oder können. Oder anders ausgedrückt: Pro Woche höchstens 14,99 Stunden, damit sie weiterhin für den Rententräger als voll erwerbsgemindert gelten.

Anfrage im Bundestag offenbart Ungleichbehandlung

Die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag fragte im Oktober im Bundestag nach, warum SGB II (Bürgergeld) und SGB XII-Empfänger (Grundsicherung im Alter und bei voller Erwerbsminderung) unterschiedlich behandelt werden. Die Bundesregierung antwortete, dass beim Bürgergeld das „Fördern und Fordern“ im Vordergrund stehe. Arbeitsuchende sollen „durch geeignete unterstützende Maßnahmen durch die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit ihre Hilfebedürftigkeit möglichst zügig und vollständig beenden“. Das natürlich durch die Hilfe der Jobcenter. Sie erwähnen explizit, dass die Grundsicherung nach dem SGB XII keine Vermittlung in Arbeit vorsieht und weisen daraufhin hin, dass die Menschen Rentner:innen sind oder weniger als drei Stunden täglich erwerbstätig sein können. Folgerichtig sei eine unterschiedliche Behandlung richtig, da die Systematik und Zielsetzung des SGB II (Bürgergeld) und des SGB XII unterschiedlich seien. Das sitzt. In einem kurzen Abschnitt werden hier Klassenunterschiede konstruiert. Jahrelange Kritik an der Ungleichbehandlung werden weggewischt.

Knackpunkt Hinzuverdienst

So ist ein großer Kritikpunkt der Hinzuverdienst. Die Freibeträge beim Bürgergeld sind um einiges höher als in der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Einfach ausgedrückt, dürfen beim Bürgergeld die ersten 100 Euro in die eigene Tasche wandern. In der Grundsicherung nach dem SGB XII wandern dagegen nur rund 33 Euro in die eigene Tasche. Oder ein anderes Beispiel: Bekomme ich beim Bürgergeldbezug ein Fahrrad oder eine Waschmaschine geschenkt, darf ich diese Gegenstände behalten. In der Grundsicherung werden diese Geschenke angerechnet. Diese Liste lässt sich beim Schonvermögen, beim Auto oder auch beim selbstgenutzten Eigentum fortsetzen. Die Antwort der Bundesregierung lässt darauf schließen, dass ihnen diese Punkte gänzlich unbekannt sind. Ihr Fokus liegt auf dem Heiligtum der Arbeit. Nur wer arbeitet, ist verwertbar und hat einen mickrigen Bürgergeld-Obolus verdient. Wer alt, krank oder nicht mehr voll belastbar ist, wird doppelt bestraft. Der Sozialleistungswert bemisst sich am Alter und der körperlichen Fitness. Das ist eine Diskriminierung par excellence. Am Rande bemerkt: Wir sprechen hier von derzeit knapp 1,2 Millionen Menschen, die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung beziehen.

Auch Erwerbsgeminderte arbeiten

Ebenfalls in der Antwort der Bundesregierung bleiben die Malochenden in der Grundsicherung unberücksichtigt. Es ist allerdings fast einfacher einen Ameisenhaufen zu zählen, als die Zahlen herauszufiltern, wie viele Malochende mit der Grundsicherung aufstocken. Bekannt ist aber, dass die Deutsche Rentenversicherung in ihrem Versichertenbericht 2022 für 2020 rund 201 000 arbeitende Rentner:innen erwähnt. Davon arbeiteten 42 000 in einer versicherungspflichtigen Tätigkeit und die Übrigen in einem Minijob. Ebenso waren 2020 von den rund 1,7 Millionen voll Erwerbsgeminderten 145 000 geringfügig beschäftigt und 17 Tausend versicherungspflichtig. Somit arbeitete rund jede:r siebte voll Erwerbsgeminderte. Im selben Zeitraum bezogen knapp 1,1 Millionen Menschen Grundsicherung nach dem SGB XII. Es wäre einfach, nun zu behaupten, die Arbeitenden beziehen keine Grundsicherung. Dafür kenne ich zu viele voll Erwerbsgeminderte, die arbeiten und trotzdem mit der Grundsicherung aufstocken.

Wenn ein Mensch nach der Verwertbarkeit auf dem Arbeitsmarkt behandelt wird, kann nach der Antwort durch die Bundesregierung und in der darauffolgenden Ungleichbehandlung nicht von einem Lapsus ausgegangen werden. Es ist eine bewusste sozial schwache politische Entscheidung, die dazu führt, dass die Menschen in der Grundsicherung nach dem SGB XII an den äußersten Rand der Armut festgenagelt werden. Ein Entkommen ist kaum möglich, da auch jede Rentenerhöhung auf die Grundsicherung angerechnet wird. Ist das Bürgergeld schon die Holzklasse, ist es für die Grundsicherung die vierte Klasse, in der man bekanntlich stehen musste und oftmals ohne Fenster oder Dach fuhr. Den sozialen Frieden fördert es nicht.