Hartz IV ist zurück
Da sind wir also wieder bei Hartz IV. Oder soll ich besser sagen: Hartz V, Hartz IV? „Das Bürgergeld ist jetzt Geschichte“, so CSU-Chef Markus Söder bei der Vorstellung zur „neuen Grundsicherung für Arbeitssuchende“ am 9. Oktober. Dieser Reform ist eine längere Diskussion vorausgegangen. Aber noch viel länger läuft die hanebüchene, äußerst stigmatisierende und diffamierende Kampagne von konservativen und rechten Parteien über die vermutlich vielen tausend Totalverweigerer, die faul in der sozialen Hängematte liegen, um den Sozialstaat auszunutzen.
Im Schlepptau die SPD, die nun erneut die Verschärfungen mitträgt. Vergessen, dass Hartz IV ihr einst das Genick gebrochen hat. Das Vertrauen ging verloren und damit auch viele Wählerinnen und Wähler. Erneut tappen sie in die Falle von Hartz IV. So ist die SPD-Co-Chefin Bärbel Bas der Ansicht, dass sie „Arbeit statt Arbeitslosigkeit“ fördern, in dem sie der Vermittlung in Arbeit den Vorrang geben vor einer Qualifizierung. Auch das hatten wir schon.
Das Bundesverfassungsgericht wird ignoriert
Verschärft werden insbesondere die Sanktionen. Wer einen Termin versäumt, wird nochmals eingeladen. Beim zweiten Versäumnis wird die Leistung zunächst um 30 Prozent gekürzt. Beim dritten Mal gibt es kein Geld mehr zum Leben. Und beim vierten Fehlen wird die Miete, inklusive Heizkosten, zusätzlich gestrichen. Wer eine zumutbare Arbeit ablehnt, dem wird die Regelleistung gestrichen. Etwas Herz zeigt die Koalition bei der Berücksichtigung von sogenannten Härtefällen, beispielsweise, wenn aus gesundheitlichen Gründen ein Termin nicht wahrgenommen werden kann.
Das Karlsruher Bundesverfassungsgericht hat 2019 geurteilt, dass höchstens 30 Prozent des Regelsatzes gekürzt werden dürfen. Durch die Reformen wird dieses Urteil mit Füßen getreten und in Teilen komplett ignoriert. Zwar urteilte Karlsruhe, wer zumutbare Mitwirkungspflichten ohne wichtigen Grund nicht erfüllt, kann sanktioniert werden, allerdings immer verhältnismäßig. Sanktionen über 30 Prozent sind es nicht mehr – da war das Bundesverfassungsgericht deutlich. Neben dem garantierten Anspruch auf ein menschenwürdiges Existenzminimum soll die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben gewährleistet werden. Mit einer weiteren Geldkürzung ist beides nicht mehr gegeben. Bereits in einem älteren Urteil aus dem Jahr 2012 hieß es, dass „das Existenzminimum in jedem Fall und zu jeder Zeit sichergestellt sein muss.“
Bevormundung statt echter Hilfe
Das Sozialgesetzbuch II wird als bevormundend beschrieben, mit strengen Mitwirkungspflichten, die eigentlich im Widerspruch zum Grundgesetz stehen. Häufig wird der Begriff des Paternalismus dafür verwendet. Das fängt damit an, dass z.B. jeder Umzug genehmigt werden muss. Oder dass das Jobcenter bestimmt, welche Tätigkeit anzunehmen ist – oftmals unabhängig von der eigenen Ausbildung. Die Liste lässt sich beliebig fortführen. Dem gegenüber steht das Grundgesetz. Das Bundesverfassungsgericht fordert jedoch Respekt vor Selbstbestimmung und lehnt Sanktionen als „Versuche der Besserung“ ab, was im neuen System jedoch wieder eingeführt wird. Androhungen oder die Vollziehung von Sanktionen sind nichts anderes als Versuche der „Besserung“. Und somit sind wir erneut beim Prinzip vom „Fördern und Fordern“, das bei den künftigen Sanktionsregelungen Eingang gefunden hat.
Jede:r Leistungsberechtigte muss nun nach diesen Bestimmungen eine Gegenleistung abliefern, um das Existenzminimum zu erhalten. Sie oder er muss sich sein „unverfügbares Grundrecht“ durch regelgerechtes Verhalten verdienen. Macht sie oder er es nicht, kommt die Bestrafung. Über die Folgen von Sanktionen wurde schon viel geschrieben, es gibt zahlreiche Studien und es gibt bis heute nicht genügend Arbeitsstellen für die Menschen in der Grundsicherung, weil das Stigma und die Diffamierungen ihr Übriges dazu getan haben. Es gibt sie, die sogenannten „Totalverweigerer“. Es ist jedoch immer die Frage, warum sind sie das? Welche Gründe stecken dahinter: Ängste, Blockaden, Traumata, etwas Ungesagtes. Das gilt es zunächst zu hinterfragen, bevor geurteilt und verurteilt wird. Und dabei das höchste Gerichts zu ignorieren, ist für die Betroffenen mit Sicherheit nicht hilfreich.