Unsere Notaufnahme bleibt!

Das Krankenhaus in Bad Soden

Es war im Juli des vergangenen Jahres: Der CDU-Landrat des Main-Taunus-Kreises, Michael Cyriax, war gerade frisch wiedergewählt. Da zauberte er eine Vorlage für den Kreistag auf den Tisch. Der Inhalt schien zunächst unspektakulär: Der Kreistag sollte beschließen, die sowieso vorgesehenen Zuschüsse von acht Millionen Euro für die kommunalen Kliniken freizugeben. In einer Zeit, wo 80 Prozent der Krankenhäuser in Deutschland dank Fallpauschalen und fehlenden Investitionsmitteln defizitär sind, erschien das erst einmal als nichts Besonderes. Die Begründung hatte es jedoch in sich: Da stand auf einmal etwas von großflächigen Restrukturierungen und „Handlungsalternativen zum Weiterbetrieb der Krankenhausbetriebsgesellschaften“. Handlungsalternativen zum Weiterbetrieb? Diese orwellsche Formulierung ist ein neuer Euphemismus für drohende Krankenhausschließungen. Unsere drei Linken-Kreistagsabgeordneten waren alarmiert: Die Sorge um unsere Kreiskliniken war schon länger ein Schwerpunkt in unserer politischen Arbeit.

Ein kurzer Abriss zur Vorgeschichte: 2015 wurden die beiden kommunalen Krankenhäuser in unserem Landkreis, Hofheim und Bad Soden, mit dem städtischen Klinikum Frankfurt-Höchst fusioniert. Ein kommunaler Klinikverbund sollte die Effizienz steigern und die Marktposition stärken, das Beratungsunternehmen KPMG unterstützte den Prozess und sagte eine rosige gemeinsame Zukunft voraus. Die schöne Lage am Taunus würde die Scheichs in die angegliederte Privatklinik locken und sowieso sei mit Wachstum, Wachstum, Wachstum zu rechnen. Das Krankenhaus in Höchst ist ein Maximalversorger, Hofheim und Bad Soden sind mittelgroße Häuser. Kompliziert wird es mit der Trägerschaft, weil bei den durchaus ungleichen Partnern gleich zwei kommunale Akteure mit am Tisch sitzen: neben dem Main-Taunus-Kreis auch die Stadt Frankfurt am Main. Und da in Hofheim und Bad Soden bis heute nicht der Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes (TVöD) gilt, in Frankfurt aber schon, wurden gleich noch unzählige Tochtergesellschaften gegründet, die das Outsourcing und die Tarifflucht unterstützen sollten.

Auch mit beim Projekt dabei: Der ehemalige Asklepios-Hauptgeschäftsführer Tobias Kaltenbach, der den Vereinigungsprozess mit seiner eigenen Managementfirma moderierte, um dann flugs neuer Geschäftsführer im Klinikverbund zu werden. Heute ist Kaltenbach längst weitergezogen und Vorstandsvorsitzender der Rhön Kliniken, insgesamt hat unser Klinikverbund in sieben Jahren sieben Geschäftsführungen verarbeiten dürfen. Und alle hatten natürlich neue Ideen, wie unsere Kliniken noch besser und effizienter werden können. Nur ein Beispiel aus jüngerer Zeit: Seit 2021 firmiert unser Klinikverbund unter dem „trendigen“ Namen varisano. Die Umstellung hatte mal eben 220.000 Euro gekostet und sollte zu einer „attraktiveren Arbeitgebermarke“ führen. Klar, ein neuer Name wirkt bei Fachkräftemangel auch wahre Wunder, insbesondere wenn sonst auch weiterhin nach einem schlechten Haustarifvertrag gezahlt und das Jobticket verweigert wird.

Schon dies macht deutlich, wo ohne Zweifel die großen Missstände liegen: fortgesetzte Managementfehler, schlechte Empfehlungen privater Beratungsgesellschaften und ein immerwährendes Personalkarussell an der Unternehmensspitze, die mit kurzfristigen Renditezielen auch noch die engagiertesten Mitarbeitenden vergraulen.

Im Kreistag des Main-Taunus-Kreises galt trotz dieser katastrophalen Entwicklung, dass es vorrangig die Linken waren, die fortwährend Missstände bei den Krankenhäusern benannten und eine gute und wohnortnahe Gesundheitsversorgung mit tariflich bezahltem Personal einforderten. Und so stand für uns auch schnell fest, dass wir eine mögliche Schließung unserer Kliniken nicht kampflos geschehen lassen würden.

Zugleich wussten wir: Mit drei von 81 Kreistagsabgeordneten wird uns dieser Schritt kaum gelingen und so riefen wir zur Gründung eines Krankenhaus-Bündnisses auf. Wir fanden Unterstützung bei ver.di, attac und auch der Main-Taunus-SPD. Wer die Grünen vermisst: Diese stellen im Main-Taunus-Kreis die für Gesundheit zuständige Beigeordnete in einer Jamaika-Koalition, und auch in Frankfurt ist ein grüner Dezernent für die Kliniken verantwortlich. Da in Frankfurt auch die SPD mitregiert, war diese leider ebenso wenig bereit sich uns anzuschließen. Immerhin einige Basis-Grüne aus dem Main-Taunus-Kreis und einzelne SPD-Ortsbeiräte aus Frankfurt-Höchst stehen solidarisch an unserer Seite, auch wenn sie das eher im Stillen tun (müssen).

Unser Hauptproblem in den ersten Monaten: Wir wussten von den tatsächlichen Zielen der angekündigten großen Restrukturierungen nichts. Die Regierenden mauerten und wollten alles unter dem Deckel halten, selbst die Betriebsräte wurden weder informiert noch beteiligt, Betriebsverfassungsgesetz hin oder her. So waberten Gerüchte durch die Kliniken, vorsorglich suchten viele Beschäftigten schon mal neue Jobs – im dicht besiedelten Rhein-Main-Gebiet in Zeiten von allgemeinem Fachkräftemangel, sehr zur Freude aller anderen Kliniken.

Dass die Rückendeckung für unsere Krankenhäuser nur auf dem Papier besteht, machte nicht zuletzt der Landrat deutlich, als er die Schwarze Null zur obersten Maxime erklärte, die Versorgungssicherheit und Beschäftigungsverhältnisse aber mit keinem Wort erwähnte. Die Kliniken dürften keine dauerhafte Belastung des Kreishaushaltes sein, so sein Mantra – wohlgemerkt in einem der reichsten Landkreise Deutschlands.

Wir konterten mit einem positiven Forderungskatalog: Erhalt aller Klinikstandorte inklusive der wohnortnahen Notfallversorgung, Sicherung der Arbeitsplätze und eine solide und transparente Bedarfsanalyse, bevor Veränderungen vorgenommen werden. Für diese Forderung haben wir bis heute rund 5.000 Unterschriften gesammelt, Aufklärungs- und Pressearbeit gemacht, zahlreiche Anträge und Anfragen in vielen kommunalen Gremien gestellt, Veranstaltungen zur Gesundheitspolitik durchgeführt und vieles mehr. Als kleiner Linken-Kreisverband mit nicht mal 60 Mitgliedern, der im Wesentlichen das Krankenhausbündnis anführt und zusammenhält, ein beträchtlicher Akt. Nicht zu vergessen dabei: Im Oktober 2023 waren Landtagswahlen in Hessen, die ebenfalls mit viel Engagement begleitet werden mussten.

Kurz nach der Landtagswahl ließ man dann die Katze aus dem Sack: Ein 700.000 Euro teures Gutachten von KPMG (deren Prognosen ja schon früher so „hervorragend“ waren) empfahl, die Zentrale Notaufnahme am Krankenhaus Hofheim zu schließen, dazu die dort angesiedelte Schlaganfalleinheit (Stroke Unit) und die interventionelle Kardiologie in Bad Soden. Für die Menschen im Main-Taunus-Kreis würde dies bedeuten: Schlaganfälle und Herzinfarkte könnten im gesamten Kreisgebiet nicht mehr behandelt werden. Die oft sowieso abgemeldeten Krankenhäuser in Nachbarkreisen und -städten bekämen noch mehr zu tun. Der Standort Hofheim sollte zukünftig nur noch eine psychiatrisch-geriatrische Fachklinik sein, die auch überregional bekannte Pneumologie sollte zugunsten des Maximalversorgers Höchst abgewickelt werden. Weitere Verschiebungen zwischen den Häusern sollten Doppelstrukturen reduzieren.

In harten Verhandlungen erkämpften wir uns Zugang zu diesem streng geheimen Gutachten. Erhalten haben wir dann eine 92-seitige Power-Point-Präsentation, die schon in den Grundannahmen einen Fehler an den anderen reihte und deren Quellenangaben fast durchgehend „KPMG, eigene Berechnungen“ hieß. Knapp 2.500 Euro je Power-Point-Folie ohne nachvollziehbare Datengrundlagen: bei KPMG werden die Sektkorken geknallt haben.

Am interessantesten war tatsächlich die letzte Seite: KPMG empfahl durch die Blume die Insolvenz der Main-Taunus-Kliniken, um sich zügig von Personal und Altlasten zu trennen. Das war aber offensichtlich selbst den bei uns Regierenden ein zu gewagter Schritt: Unser seit Monaten aufgebauter Widerstand zeigte erste Erfolge.

Also machten ließen wir nicht locker: Unterstützt von Fachleuten und Beschäftigten der Kliniken zerlegten wir das sogenannte Gutachten und zogen die Fehler Schritt für Schritt an die Öffentlichkeit. Die komplexe Materie von Fallpauschalen, Notfallversorgung, ambulanter und stationärer Versorgung immer wieder aufzudröseln, war für unsere zumeist Ehrenamtlichen eine enorme Herausforderung. Aber wir blieben dran.

Kürzlich musste eingestanden werden, dass die interventionelle Kardiologie in Bad Soden, also die Versorgung von Herzinfarkten, doch gebraucht wird.  Der Landrat teilte mit, noch mal werde man KPMG nicht beauftragen und ruderte damit vom sechs Monate zuvor zum Nonplusultra erklärten eigenen Standpunkt zurück. Diese Erfolge machen uns Mut. Wir wissen aber auch, dass ausgerechnet unser Kreiskrankenhaus in der Kreisstadt Hofheim weiterhin akut bedroht ist und wir werden nicht jede gesundheitspolitische Dummheit, die KPMG empfohlen hat, verhindern können. Wenigstens sollen jetzt auch die Pflegekräfte in Bad Soden und Hofheim in den TVöD überführt werden. Die sogenannten Funktionsdienste wie Küchen, Transport und Reinigung sollen hingegen schlechter gestellt bleiben. Auch um diese Frage werden wir uns verstärkt kümmern: Der TVöD muss für alle gelten, es darf keine Tarifverträge erster und zweiter Klasse geben.

Der Kampf um unsere Krankenhäuser bleibt so eine Daueraufgabe, der wir uns gerne widmen. Wir wissen, dass eine gute, wohnortnahe Gesundheitsversorgung unverzichtbar für viele Menschen ist. Das Thema ist linker Markenkern, die Menschen verbinden es zu Recht mit uns. Der enorme Zuspruch an Infoständen und bei Unterschriftensammlungen stärkt unseren Willen. Und während wir noch dabei sind, die Angriffe der Jamaika-Koalition bei uns im Kreis abzuwehren, bringt die Ampel in Berlin mit Gesundheitsminister Karl Lauterbach das nächste Klinikschließungsgesetz auf den Weg. Aber auch diese Entwicklung wird uns nicht entmutigen. Denn kämpfen für unsere Krankenhäuser, das können wir inzwischen hervorragend!