Interview mit Janine Wissler und Martin Schirdewan

Druck von LINKS für eine Wirtschaftswende

Liebe Janine, lieber Martin, wir sind in ein neues Jahr gestartet. Was denkt ihr, steht dieses Jahr für DIE LINKE an? Was sind die großen Themen für 2023?

Janine: Wir kommen aus einem krisengeschüttelten Jahr und wir leben in einer Zeit, in der wir vor grundlegenden Entscheidungen stehen. Klimakrise, die Krise des Friedens, Energieengpässe, enorme Preissteigerungen, Wohnungsnot und zuletzt der teilweise Kollaps unseres Gesundheitssystems lassen sich nicht mehr mit kosmetischen Korrekturen bekämpfen. Während Bundeskanzler Scholz von einer Zeitenwende spricht und damit die Krisen mit Aufrüstungsprogrammen lösen will, sagen wir: Notwendig ist eine Wirtschaftswende, die die Krisen an den Ursachen packt. In unserem Strategiepapier zum Jahresauftakt haben Martin und ich Vorschläge für eine linke Wirtschaftswende skizziert, die an die Wurzel geht und uns aus den Krisen herausführen kann.

Martin: Genau! Das letzte Jahr zeigte, dass es grundlegende Veränderungen braucht. Wir beobachten zwar, dass die Regierung kleine Verbesserungen an der einen oder anderen Stelle unternimmt, die Ampel geht aber die Ursachen dieser Krisen nicht an. Wenn Wirtschaftsminister Habeck sagt, alle müssten »ihren Anteil leisten«, meint er vor allem die »unten« und weniger die »oben«. Dabei sind es doch gerade die Reichen und die Konzerne, die von der Situation profitieren und die „unten“ können das Essen auf dem Tisch nicht mehr bezahlen. Das kann doch nicht sein. Der Markt regelt nichts, wir müssen den Markt regeln. Wir formulieren unsere Alternative: für eine linke Wirtschaftspolitik. Wir sagen: Der Weg raus aus Klimakrise, internationaler Eskalation und sozialer Ungleichheit beginnt mit einer grundlegend anderen Wirtschaftspolitik. DIE LINKE ist immer wieder Impulsgeber für Gerechtigkeit und Gleichheit gewesen, da bleiben wir dran.

Wie sieht diese linke Wirtschaftswende konkret aus?

Martin: Konkret bedeutet das: Mehr Sozialismus wagen. Unsere Gesellschaft braucht eine Wirtschaftswende, das heißt ein neues wirtschaftliches Fundament. In unserem Strategiepapier „Nach der Ampel links“ haben Janine und ich unsere Ideen dazu zusammengefasst. Das Fundament besteht aus drei Elementen: 1. Reichtum sozial gerecht umverteilen, 2. Mit dem größten Investitionsprogramm in der Geschichte der Republik Industrie, Energie und Verkehr klimagerecht umbauen und 3. Investitionsentscheidungen durch Vergesellschaftung und Stärkung des öffentlichen Eigentums demokratisieren.

Janine: Am 5. Januar dieses Jahr, haben die DAX-Vorstände schon so viel verdient, wie ein Durchschnittsverdiener im ganzen Jahr erhält. Laut Oxfam erhält 1 % der Bevölkerung 81 % der Zuwächse. Der Wirtschaft geht es gut, aber das Geld fließt in die Taschen einiger weniger. Das ist nicht nur ungerecht, das Geld fehlt schlicht und einfach bei Bildung und Gesundheit und schadet unserer Demokratie. Es ist auch wirtschaftlich schädlich, weil diese Vermögenskonzentration notwendige Investitionen behindert. Das heißt, wir müssen massiv umverteilen. Dafür brauchen wir eine Vermögenssteuer und eine Übergewinnsteuer, die ihren Namen auch verdient. Als Nächstes schlagen wir ein historisches Investitionsprogramm vor, für die historischen Aufgaben, die vor uns liegen. Wir wollen 120 Milliarden Euro pro Jahr in den klimaneutralen Umbau und eine gute Zukunft investieren. Dadurch können wir eine bezahlbare Energieversorgung garantieren, die Verkehrswende vorantreiben und bezahlbare, energieeffiziente Wohnungen bauen, die von gut bezahlten Beschäftigten und aus emissionsarmen Baustoffen gebaut werden. Im dritten Schritt werden wir einen Demokratisierungsprozess einleiten. Die öffentliche Daseinsvorsorge darf nicht mehr kurzfristiger Spekulation oder einer bornierten Orientierung am Shareholder-Value ausgesetzt sein. Wir wollen, dass sie zu öffentlichem Besitz bzw. Anstalten öffentlichen Rechtes wird. Es braucht einen Bundesfonds für Rekommunalisierung. So demokratisieren wir Investitionsentscheidungen und schützen die kritische Infrastruktur, wie Raffinerien, Pipelines, Energiespeicher oder Logistikzentren wie den Hamburger Hafen, vor dem Ausverkauf an autoritäre Regime oder private Konzerne.

Das sind gute Ideen, aber wie wollt ihr das umsetzen?

Janine: Es gibt in der Bevölkerung ein wachsendes Bewusstsein dafür, dass wir uns die Reichen nicht mehr leisten können. Wir meinen, dass es eine Alternative zum „Weiter so“ der Regierung und den menschenfeindlichen Antworten der Rechten gibt. Wir wollen zeigen, wie ein anderer Weg aussieht – und wo das Geld dafür zu holen ist. DIE LINKE wird mit einer Zurückverteilungsoffensive in das Jahr starten und zusammen mit Initiativen wie »Genug ist Genug« noch mehr Druck entfalten. Das heißt zum Beispiel, dass wir die Kolleginnen und Kollegen unterstützen, die sich in Tarifverhandlungen befinden und ihre Forderungen in die breite Gesellschaft tragen. Hier geht es um Anerkennung durch Umverteilung, für diejenigen, die den Laden am Laufen halten. Auf unserer Jahresauftaktveranstaltung haben wir uns mit vielen Partnerinnen und Partnern aus der Zivilgesellschaft, zusammengefunden. Genoveva Jäckle von #Ichbinarmutsbetroffen hat uns mit ihrem „Poverty Slam“ sehr berührt und davon erzählt, was es heißt, in einem reichen Land wie Deutschland arm zu sein. Wir hatten einen Redebeitrag des Soziologen Oliver Nachtwey und Menschen aus Arbeitskämpfen, wie der Berliner Krankenhausbewegung und der Berliner Müllabfuhr »Berlin Recycling«. Ein Aktivist ist direkt aus Lützerath gekommen und Vertreter*innen von Deutsche Wohnen und Co. enteignen haben noch einmal klargemacht, wie wichtig eine starke LINKE für die Mieter*innenbewegung ist. Das war ein toller Abend mit bewegenden und kämpferischen Beiträgen und vielen schönen Gesprächen. So wünsche ich mir DIE LINKE, an der Seite von sozialen Bewegungen und Gewerkschaften, mit klarem Auftrag, worum es jetzt geht.

Martin: Dieses Jahr stehen wir vor wichtigen Wahlen in Hessen, Bayern, Schleswig-Holstein und in Berlin und Bremen. Also auch in zwei Bundesländern, in denen wir erfolgreich mitregieren und ganz konkret das Leben der Menschen verbessern, beispielsweise durch die Einrichtung eines Härtefallfonds, 29-Euro-Tickets oder die Unterstützung für soziale Einrichtungen.

2023 werden wir die Wahlkämpfe zu Abstimmungen über die Verteilung von Macht und Reichtum in unserem Land und für öffentliche Investitionen in unsere gemeinsame Zukunft machen. Der Wahlkampf zur Oberbürgermeister*innenwahl in Rostock hat gezeigt: Wir beherrschen die richtigen Methoden und setzen die richtigen Themen, um Erfolge zu erzielen. Wichtig ist, DIE LINKE ist die Partei, die die Eigentumsfrage stellt, klare Kante gegen rechts zeigt, zivile Alternativen zu Aufrüstung und Militarisierung stark macht und einen Plan für den sozial-ökologischen Umbau hat. Das heißt zusammengefasst: Wir sind die moderne Gerechtigkeitspartei. Und da knüpfen wir auch mit der Weiterentwicklung unserer Kampagne an. Unter dem Motto »Zurückverteilungsoffensive 2023« machen wir Druck von links.

Gemeinsam werden wir so 2023 Politik nach links verschieben.