Afghanistan: Demokratie lässt sich nicht herbeibomben

Auf verlorener Mission: US-Soldat in Afghanistan

Der Abzug aus Afghanistan ist zu begrüßen. Aber er offenbart das Fiasko, das der Krieg angerichtet hat. Der Afghanistankrieg war ein Desaster. Die genauen Opferzahlen sind nicht bekannt. Die Ärzteorganisation IPPNW ging bereits 2016 davon aus, dass 250.000 Menschen direkt oder indirekt durch den Krieg getötet und 12 Millionen Menschen vertrieben wurden. Auch 3600 Soldatinnen und Soldaten der westlichen Allianz verloren ihr Leben, viele kamen mit schweren Verletzungen und Traumata nach Hause.

Der US-geführte Krieg westlicher Staaten ab 2001 wurde damit begründet, dass man mit dem Sturz der Taliban das afghanische Volk, insbesondere die Frauen, befreien und den internationalen Terrorismus bekämpfen wolle. Als weiteres Argument wurde die Absicherung der Regierung von Präsident Hamid Karsai genannt, die auf dem Petersberg in Bonn im Dezember 2001 eingesetzt wurde. Keines dieser Ziele ist erreicht, im Gegenteil. Die Taliban sind stark wie lange nicht mehr, die soziale und die wirtschaftliche Situation im Land sind katastrophal.

In einem unter dem ehemaligen Präsidenten Karzai geschaffenes Patronage-System konkurrieren verschiedene Gruppen um wirtschaftlichen Einfluss und knapper werdende Ressourcen. Oft sind sie mit dem Drogenhandel verbunden. Terror und Gegenterror wurden ausgeweitet.

Der teuerste Auslandseinsatz der Bundeswehr

Mit dem Abzug geht der teuerste und verlustreichste Auslandseinsatz in der Geschichte der Bundeswehr zu Ende. 59 deutsche Soldaten verloren ihr Leben, 35 davon wurden bei Anschlägen oder in Gefechten getötet. Mehr als 12 Milliarden Euro kostete der Bundeswehreinsatz. Er bestand aus einer offensiven Kampfoperation, der Operation "Enduring Freedom" und der zunächst als Stabilisierungsmission verkauften ISAF-Mission, die immer stärker und immer offensichtlicher Aufstandsbekämpfung betrieb. Seit 2015 war die Bundeswehr im Rahmen des robusten Mandates der "Resolut Support Mission" in Afghanistan. Aber ging es dem 2001 in Afghanistan einmarschierende Militärbündnis westlicher Staaten überhaupt um Demokratie, Frauenrechte und gesellschaftlichen Fortschritt?

Die wahren Ziele des Westens

Den USA ging es um geostrategischen Einfluss im ölreichen Nahen und Mittleren Osten. Den deutschen Regierungen ging es auch darum, in einer Region von zentraler geopolitischer Bedeutung militärisch präsent zu sein und darum, dem seit Anfang der 1990er Jahre angestrebten Ziel des Ausbaus der Bundeswehr zu einer weltweit operierenden militärischen Kraft näherzukommen.

1994 klagte die SPD vor dem Bundesverfassungsgericht noch gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr! Sieben Jahre später machte die rot-grüne Regierung den Weg frei für die deutsche Beteiligung am Afghanistankrieg. Wer nicht mitkämpft, hat auf der Weltbühne nichts mitzureden. Der damalige Außenminister Joschka Fischer sagte: „Die Entscheidung `Deutschland nimmt nicht teil` würde auch eine Schwächung Europas bedeuten und würde letztendlich bedeuten, dass wir keinen Einfluss auf die Gestaltung einer multilateralen Verantwortungspolitik hätten. Genau darum wird es in den kommenden Jahren gehen. [...] Das Maß der Mitbestimmung richtet sich nach dem Maß des Mitwirkens.“

Testfeld Afghanistan

Für das Verteidigungsministerium war Afghanistan ein Testfeld, auf dem die Bundeswehr an der Seite der amerikanischen Streitkräfte den Krieg gelernt hat. 150.000 Soldatinnen und Soldaten waren in Afghanistan im Einsatz. Im Rahmen der Militäreinsätze wuchs die Bundeswehr in neue Aufgaben hinein, vom aktiven Gefecht über die Beteiligung an der systematischen Ermordung führender Kommandanten des Gegners bis zur Steuerung militärischer Drohnen. Deutschland war im Krieg. Das Massaker von Kundus, bei dem am 4. September 2009 über 100 Zivilisten auf Befehl des Bundeswehroberst Klein ermordet wurden, steht beispielhaft für diese neue Rolle.

1981, nach dem Einmarsch sowjetischer Truppen in Afghanistan, schrieb der US-amerikanische Sozialist und Aktivist Jonathan Neale: „Niemand kann ein anderes Volk befreien, weder durch Erziehung noch durch Staatsmacht noch durch Putsche und amtliche Dekrete." Das ist heute so richtig wie vor vierzig Jahren.

Vierzig Jahren des Krieges haben die Taliban und andere rückschrittliche Kräfte im Land gestärkt. Wie schon in Irak und in Libyen zeigt sich in Afghanistan, dass die Zerstörung gewachsener gesellschaftlicher Strukturen durch den westlichen Imperialismus bestehende Ansätze von Widerstand gegen die Herrschaft der Taliban geschwächt und zurückgeworfen hat. Die Flüchtlingskatastrophe im Mittleren und Nahen Osten ist vor allem das Resultat westlicher Militäreinsätze und im Falle von Syrien auch von russischer Militärintervention.

Für den Westen ist der Abzug eine Niederlage

Die Lehre aus der afghanischen Katastrophe ist die gleiche wie die aus der syrischen, libyschen und irakischen Katastrophe: Demokratie, gesellschaftlicher Fortschritt können nicht mit Kriegen von außen aufgezwungen werden.

Die Konsequenz aus dem Afghanistan-Desaster muss sein, die ausländischen Truppen, Spezialkräfte und Geheimdienste dauerhaft zurückzuziehen. Die Bundeswehr ist aus den Auslandseinsätzen abzuziehen, sie darf sich keinen weiteren Kriegen anschließen und keine neuen Kriege anfangen. Dass immer noch Menschen nach Afghanistan abgeschoben werden, ist ein Skandal. Das Auswärtige Amt muss seine Lageeinschätzung zur Sicherheitslage in Afghanistan korrigieren. Sämtliche Abschiebeflüge müssen sofort gestoppt werden. 

 

 

 

 

i https://www.linksfraktion.de/fileadmin/user_upload/Publikationen/Sonstiges/schwarzbuch-bundeswehr.pdf, S.23

ii Jonathan Neale, Die afghanische Tragödie, Hannover 1981