Gehaltsdeckel für Abgeordnete – ein wirksames Instrument der Bodenhaftung?

Seit geraumer Zeit wird in unserer Partei diskutiert, ob die Abgeordneten-Gehälter abgehoben sind und auf das durchschnittliche Nettoeinkommen in Höhe von 2850. Euro begrenzt werden sollten. Darüber hinausgehendes Einkommen solle in einen Sozialfonds fließen. Anträge auf dem Bundesparteitag wurden diskutiert und bspw. im Landesverband Schleswig-Holstein ein entsprechender Beschluss gefasst. Durchgehende Argumentation ist, so sei Bodenhaftung zu gewährleisten und Abgehobenheit vorzubeugen.

Wir gehen in diesem Beitrag der Frage nach, ob der Gehaltsdeckel das passende Mittel für das angestrebte Ziel ist.

Politiker:innen haben im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung ein relativ hohes Einkommen. Bundestagsabgeordnete bekommen derzeit 11833 Euro im Monat als Diät.

Zieht man Steuern und Kranken-/Pflegekasse ab, bleiben einer alleinstehenden, gesetzlich versicherten Bundestagsabgeordneten theoretisch 6.712,41 Euro netto. [1]

Nun schlägt aber die Partei zu: 15 Prozent Mandatsträgerabgaben an die Bundespartei (1775 Euro), Parteibeitrag (290 Euro), zusätzliche Mandatsträgerabgaben oder regelmäßige Zuwendungen an Landes- oder Kreisverband (in NRW sind 700 Euro obligatorisch, in SH wurden 10 Prozent der Diät beschlossen, also 1183,80 Euro).

Diese Abgaben darf unser virtuelles MdB nicht aus der steuerfreien Sachkostenpauschale entrichten, sondern muss es aus der zu versteuernden Diät bezahlen. Der Gewerkschaftsbeitrag (unser MdB soll und muss natürlich Gewerkschaftsmitglied sein) steigt auf 118 Euro. Sollte noch eine Religionsgemeinschaft im Spiel sein, hält die auch noch mal die Hand für 340 Euro Kirchensteuer auf. Und schon ist das beeindruckende Abgeordneteneinkommen eines MdB aus NRW auf 3489 Euro netto gesunken und dass eines MdB aus SH auf 3006 Euro - noch bevor die anderen Vereine, in denen unser MdB Mitglied ist, bemerkt haben, dass sie jetzt um einen höheren Mitgliedsbeitrag oder mehr Spenden bitten können.

Wenn wir davon ausgehen, dass unsere Genossin vorher verbeamtete Oberstudienrätin an einer Gesamtschule in NRW war, verzichtet sie durch die Annahme des Mandats auf ca. 1.900 Euro netto.

War sie zuvor einfache Gewerkschaftssekretärin, hätte sie als MdB ebenfalls einen Gehaltsverlust von etwa 260 Euro. Ähnlich erginge es Facharbeiter:innen aus der Industrie und diversen Freien Berufen.

Eine examinierte Pflegefachkraft, alleinstehend, mittlere Entgeltstufe würde mit so einem Gehaltsdeckel voraussichtlich keine Einbuße hinnehmen. Aber grade für diese Berufsgruppe fordern wir mehr Gehalt und geringere Arbeitszeiten.

Und jetzt fragen wir uns:

Haben MdB wirklich ein abgehobenes Gehalt? Mit der Annahme, dass unsere virtuelle Genossin eine fleißige, engagierte Abgeordnete ist, die durchschnittlich 60-80 Wochenstunden arbeitet, wäre ein solches Nettoeinkommen wirklich eine ungerechte Privilegierung gegenüber Erwerbstätigen, die nach acht Stunden den Stift oder Hammer fallen lassen und nach fünf Tagen ins Wochenende starten können?

Als Linke setzen wir uns dafür ein, dass gute Arbeit auch gut bezahlt wird. Wir bemühen uns auch in unseren eigenen Verantwortungsbereichen um tarifliche Bezahlung und gute Arbeitsbedingungen. Warum sollten Abgeordnete davon ausgenommen sein? Und warum sollten sie, die Personalverantwortung gegenüber ihren eigenen und Mitarbeiter:innen der Fraktion tragen, weniger (Netto-)Einkommen haben als diese?

Und warum gilt das mit den abgehobenen Gehältern, wenn es denn so wäre, nur für Abgeordnete und nicht für Mitarbeiter:innen der MdB, der Partei, der Fraktion(en)? Mitarbeiteri:nnen haben ebenfalls Einfluss darauf, welche Politik eine Fraktion vertritt und in welche Richtung sich eine Partei entwickelt. Wenn die These stimmt, dass Gehaltsverzicht Bodenhaftung erzeugt – warum fordern wir nicht auch von all unseren Beschäftigten, insbesondere den besser bezahlten, „freiwillig“ Teile ihres Gehalts in einen Sozialfonds einzuzahlen?

Uns ist keine empirische Untersuchung bekannt, die den Effekt des „Abhebens“ bei Berufspolitiker:innen untersucht und dafür Ursachen benennt. Aus unserer Erfahrung als langjährige MdB hätten wir aber ein paar Fragen, Beobachtungen und Thesen, mit denen sich die Partei näher beschäftigen sollte, wenn wir bodenständige Abgeordnete wollen.

1. Wettbewerb und Konkurrenzkämpfe

Bestimmte charakterliche Typen oder diejenigen, die starke Netzwerke haben, haben Vorteile beim Wettkampf um Ämter und Mandate. Natürlich spielt auch das Geschlecht eine Rolle, was nicht nur durch Quoten reguliert werden kann.
Wer ein Mandat erringt, hat sich zuvor bereits im innerparteilichen Wettbewerb gegen andere Interessent:innen durchgesetzt. Selbstbewusstsein und Durchsetzungsstärke gelten auch allgemein als wünschenswerte Eigenschaft für Politiker:innen. Kann es sein, dass Menschen, die gerne mit anderen konkurrieren, oder sich den Stimmen ihrer Netzwerke sicher sind, sich häufiger (erfolgreich) für Mandate und Ämter bewerben?

2. Das süße Gift der Schmeichelei

Abgeordnete werden vom ersten Tag ihres Mandats an – und manchmal auch schon davor – zum Ziel massiver Interessen. Leute, die sie vorher nicht mit dem A… angeschaut hätten, werben jetzt um ihre Zeit und Aufmerksamkeit. Genoss:innen, die immer fies zu einem waren, werden plötzlich freundlich. Die Presse fragt nach Interviews und jeden Tag flattern Einladungen zu Veranstaltungen, Empfängen, Vernissagen auf den Schreibtisch. Frau Abgeordnete hier, Frau Abgeordnete da… Wenn sich die MdBs dann auch noch vorwiegend mit Menschen umgeben, die ihnen nach dem Mund reden (sei es, weil sie von ihnen abhängig sind, oder sei es, weil sie sie einfach bewundern), dann werden sie die Schmeichelei irgendwann mit Ehrlichkeit verwechseln. Abgeordnete müssen begreifen, dass die Schmeichelei und das Umwerben niemals ihnen als Person gilt, sondern immer ihrer Rolle. Und dass sie am Tag eins nach ihrem Mandat vermutlich wieder dieselbe uninteressante Person sein werden wie davor. Wenn sie das verstanden haben, haben sie keine Veranlassung abzuheben.

3. Berlin, Berlin, wir wohnen in Berlin

Es gibt gute Gründe, als Abgeordnete:r ganz nach Berlin zu ziehen. Man spart eine Miete und viel Zeit auf der maroden Bahn, man ist näher an der Presse, am Apparat, an den Verbänden dran, man kann das Personal besser führen, wenn man vor Ort ist… Und ganz allgemein ist das Leben in der Hauptstadt cooler und aufregender als in Posemuckel. Es gibt Ausnahmen, aber wir haben beobachten können, dass Abgeordnete, die nicht in ihrem Wahlkreis leben, eher abheben als andere. Ihre reale Welt ändert sich kolossal. Manchmal stürzen sie auch entsprechend steil wieder ab. Es ist daher grundsätzlich eine gute Idee, Menschen in die Parlamente zu schicken, die ein Zuhause und regionale Bindungen haben. Meistens haben sie dort nämlich auch Leute, die sie dabei unterstützen, am Boden zu bleiben. Die Kamerad:innen in der freiwilligen Feuerwehr, die Kegelschwestern, der Stammtisch, der Sportverein, die Genoss:innen im Kreisverband oder einfach Familie und Freund:innen. Natürlich kann es gute Gründe dafür geben, dass MdB ihren Lebensmittelpunkt nach Berlin verlagern, aber wenn sie dies tun, muss man sich Gedanken machen, wie sie diese so wichtigen menschlichen Kontakte weiter pflegen können. Das ist eine kollektive Aufgabe.

4. Leute, die nichts anderes haben

Diese These ist sehr nah bei These 3. Abgehobenheit hat auch etwas damit zu tun, welche Perspektive man auf die Welt, auf das Abgeordnetendasein und die Zeiten davor und danach hat. Oder, wie Karl Marx sagte: „Das gesellschaftliche Sein bestimmt das Bewusstsein.“ Es ist essenziell, gerade für eine sozialistische Partei, dass die Menschen, die Ämter und Mandate ausüben, die Arbeitswelt kennen und in ihrem Umfeld verwurzelt bleiben. Und gerade in einer sozialistischen Partei sollte dies kein Malus, sondern ein Bonus sein. Deswegen wäre auch eine verpflichtende Gehaltsdeckelung eher kontraproduktiv. Wer bitte gibt einen gut bezahlten und sicheren Job in der Industrie, in der Gewerkschaft, auf der Intensivstation, in der Justiz oder irgendwo anders auf, um einen schlechter bezahlten mit längerer Arbeitszeit als Abgeordnete:r anzunehmen? Wer tut sich regelmäßige Fahrten nach Berlin und 80-Stunden-Wochen an, wenn einem davon nicht einmal genug Geld bleibt, um den Hundesitter und die Entlastung bei der sonst liegenbleibenden Care Arbeit zu bezahlen?

5. MdB der Linken - eher kein Karrierebaustein

Wenn Abgeordnete der bürgerlichen Parteien aus dem Parlament ausscheiden, wissen sie häufig schon vorher, wie es weitergeht. Ihr Adressbuch, die Kontakte zu Parteien, Abgeordneten, Ministerien machen sie zu interessanten Mitarbeiter:innen für Unternehmen, Verbände, Lobbygruppen. Dieses politische Kapital haben Mitglieder der Linken nicht. Wir haben kein Umfeld, das die politischen Erfahrungen aus einer linken Oppositionsfraktion in bezahlten Stellen einsetzen könnte. Wenn linke Abgeordnete also aus dem Parlament ausscheiden, dann gibt es in der Regel keine Struktur, die sie auffängt. Abgeordnete zahlen nicht in die Arbeitslosenversicherung ein. Wenn sie nach einer Wahlperiode nicht wieder gewählt werden, haben sie vier Monate Anspruch auf Übergangsgeld – dann droht unmittelbar der Absturz in ALG II/Bürgergeld. Diese Fälle gab es durchaus öfter in der Vergangenheit. Wir würden daher neu gewählten Abgeordneten, die nicht aus einer unbefristeten Beschäftigung kommen, immer raten, in ihrer Mandatszeit mindestens 1000€ monatlich auf die Seite zu legen, damit sie ggf. einen längeren Zeitraum der Arbeitslosigkeit überbrücken können.

6. Gehaltsdeckelung versus Lebensrealitäten

Bisher haben wir uns unsere virtuelle Abgeordnete als alleinstehende Person vorgestellt. Was aber, wenn sie weitere Personen zu versorgen und zu unterstützen hat? Einfaches Beispiel: ein unterhaltsberechtigtes Kind berechtigt die Abgeordnete, ihre Mandatsträgerabgaben an die Partei um 100 Euro monatlich zu verringern. Gleiches gilt etwa für eine pflegebedürftige Mutter. Nehmen wir jetzt an, unsere Abgeordnete hat eine pflegebedürftige Mutter und ein studierendes Kind mit eigener Wohnung. Beide unterstützt sie mit jeweils 1000 Euro. Zwar kann sie dies steuerlich geltend machen, aber die Steuerentlastung deckt natürlich nicht die gesamten Kosten. BAFöG erhält das Kind unserer Abgeordneten nicht. Die Pflegeversicherung der Mutter deckt nur einen Teil der Pflegeaufwendungen. Wollen wir wirklich, dass unsere Abgeordneten ihre gesamten Lebens- und Familienverhältnisse gegenüber den Gremien unserer Partei transparent machen  oder sogar  Mehrbedarfe beantragen müssen? Was ist mit Genoss:innen, die verschuldet sind und sich vielleicht sogar in Privatinsolvenz befinden? Müssen auch die sich gegenüber einem Parteigremium rechtfertigen, wenn sie nicht Tausende von Euro in einen Sozialfonds umleiten? Oder schließen wir Kandidaturen von Mitgliedern kategorisch aus, wenn sie nicht erklären, dass sie mit der Deckelung auskommen?

Die Lebensrealitäten unserer Abgeordneten sind aus vielen Gründen sowieso sehr unterschiedlich. Familienstand, Kinder in Ausbildung, Wohnort und Mietenhöhe, Eigenheim nicht abbezahlt oder Ferienhaus in Italien, Notwendigkeit eines Autos, Ausgleich für die Partner:in (das Abgeordnetenleben verlangt viel an Umverteilung von Arbeit, Organisation und manchmal auch von Einkommen in der Beziehung).

7. Apropos Sozialfonds…

Im Fraktionsraum der Linken im Bundestag hing viele Jahre ein großes Banner mit dem Zitat von Johann Heinrich Pestalozzi: „Wohltätigkeit ist das Ersaufen des Rechts im Mistloch der Gnade.“ Uns scheint, dass in der aktuellen Debatte gerne vergessen wird, dass die Linke kein Wohlfahrtsverband und keine Bahnhofsmission ist, sondern eine politische Kraft, die darum kämpft, dass niemand auf Almosen angewiesen ist.

Almosen haben neben ihrer wohltätigen auch immer eine demütigende Seite. So gut es ist, Menschen zu helfen, ihr Recht zu bekommen, so zweischneidig ist es, eine organisierte Struktur zu schaffen, die ihnen mit Geldspenden unter die Arme greift. Wir haben noch kein Konzept für einen Sozialfonds gesehen, der die negativen Seiten der Almosenvergabe vermeidet. Wer entscheidet eigentlich nach welchen Kriterien, ob eine subjektive Notlage rechtfertigt, eine Zuwendung aus dem Sozialfonds zu bekommen? Gibt es eventuell einen Vergabeausschuss, in dem mindestens zur Hälfte selbst armutsbetroffene Menschen sitzen? Oder entscheidet das der oder die Abgeordnete selbst? Wie vermeidet man Willkür und wie stellt man sicher, dass nicht die lautesten, sondern die bedürftigsten Menschen Hilfe bekommen? Wie vermeidet man, dass die Zuwendung aus dem Sozialfonds zu Abzügen bei der Grundsicherung führt? Was für ein Bild erzeugt das von unseren Abgeordneten, was macht das mit ihrer Rolle? Werden sie dadurch nicht von politischen Aktivist:innen zu Wohltäter:innen, Sponsor:innen? Und birgt das nicht eine viel größere Gefahr des Abhebens, als wenn sie ein angemessenes, ihre Unabhängigkeit sicherndes Gehalt bekommen?

8. Am Ende  

Auch wenn es eine hübsche, öffentlichkeitswirksame Idee ist, dass Abgeordnete der Linken nicht mehr Geld haben sollen als durchschnittliche abhängig Beschäftigte, bleiben am Ende doch mehr Fragen als Antworten. Die Debatte um den Gehaltsdeckel hat sich aus unserer Sicht nicht den eigentlichen Fragen für Bodenhaftung und Augenhöhe gestellt, sondern sogar das Thema verschoben. Zu einer mit Unterstellungen verknüpften Debatte, die die bisher positive Praxis unserer Abgeordneten verdeckt: Die MdB der Linken waren schon immer außerordentlich spendenbereit. Mit ihrem Verein, mit dem Spenden der Diätenerhöhungen, mit der Unterstützung von Projekten und Verbänden in ihren Regionen.

Man soll aber einen Text immer mit positiven Vorschlägen abschließen, ok – hier sind unsere:

Lasst uns inhaltlich darüber diskutieren, was wir von unseren Abgeordneten und Fraktionen erwarten. Wie sollen sie ihren Kontakt zur Basis organisieren? Wie können sie parlamentarische und außerparlamentarische Arbeit verbinden? Wie lassen sich solch gute Ideen wie regelmäßige Gesprächsoffensiven ausbauen und wie kann die bisher gut bewährte Spendenpraxis der Abgeordnetenvereine noch besser werden?


Bewerbungs- und Kandidaturprozesse können wir sorgfältiger und transparenter gestalten und Erfahrungen in der Arbeitswelt als wichtiges Kriterium für Kandidaturen aufnehmen.
Wir sorgen dafür, dass Abgeordnete nicht vereinsamen und an ihre Bodenhaftung erinnert werden. Mit der Einbindung in lokale Strukturen, mit Zeit für Austausch jenseits der Berliner Bubble zeigen wir zugleich, dass wir sie und ihre Arbeit wertschätzen. Wir sind sicher, dass ganz viele tolle Ideen zusammenkommen, wenn wir von einer anderen als der Gehaltsdeckel-Perspektive über die Bodenhaftung reden. Und, um mit unseren eigenen Erfahrungen abzuschließen, hier ein paar Punkte, die für uns persönlich hilfreich waren und die einfach zu organisieren sind:

MdB regelmäßig an die Basis einladen, dort über ihre Arbeit berichten lassen und ehrliches, solidarisches Feedback geben.

MdBs könnten ein Ehrenamt im Wahlkreis übernehmen, das nichts mit der Partei zu tun hat oder einmal im Halbjahr in einem Betrieb im Wahlkreis hospitieren.

Austausch mit Kommunalpolitiker:innen, zum Beispiel durch Teilnahme an deren Fraktionssitzungen und Verabredungen zu gemeinsamen Themenbearbeitungen in der Kommune und Berlin.

 

Halten wir uns an Rosa Luxemburg

„Sieh, dass du Mensch bleibst. Mensch sein ist von allem die Hauptsache. Und das heißt fest und klar und heiter sein, ja heiter, trotz alledem“

Kathrin Vogler (NRW) und Cornelia Möhring (SH)

MdB von 2009 bis 2025

 

[1] Lt Steuerstabelle und Krankenversicherungs- und Pflegebeitrag als freiwillig Versicherte in der gesetzlichen Krankenkasse