„Soziale Teilhabe ermöglichen. Haltung zeigen!“
Interview mit der linken Oberbürgermeisterin von Bernburg (Saale) in Sachsen Anhalt, Silvia Ristow
- Die Redaktion
Seit fast drei Jahren bist du die Oberbürgermeisterin von Bernburg, du bist die erste Frau in diesem Amt. Wie bist du in die Kommunalpolitik gekommen?
Seit meiner Kindheit habe ich Funktionen in meinen Klassenverbänden übernommen und dies zog sich bis ins Studium durch und endete mit dem Eintritt in die SED.
Ich habe mich immer gern für andere eingesetzt. Zur ersten Kommunalwahl nach der Wende kam ich als Nachrückerin in den Stadtrat und bin seit 2007 Kreistagsmitglied des Salzlandkreises. Auch hier war mein Beweggrund, mich für unsere Region einzusetzen und meistens macht mir das viel Freude.
Wie sieht ein typischer Arbeitstag für dich aus?
Gegen 08:00 Uhr bin ich meist im Rathaus. Die Tage sind gefüllt mit Terminen zu den einzelnen Themenschwerpunkten, die von den Fachämtern bearbeitet werden und betreffen alles, um was sich eine Stadt zu kümmern hat und um was sie sich kümmern will. Also beginnt dies bei Kindertagesstätten und Schulen, Infrastruktur, Wirtschaftsförderung und Tourismus, sportliche, kulturelle und soziale Angelegenheiten bis hin zum Friedhof - also alles von A - Z des städtischen Lebens kann dabei sein. In der Regel werden natürlich nur die Grundsatzfragen besprochen, die Zielstellungen und Lösungsansätze. Die Detailarbeit leisten die Fachämter.
Einen großen Anteil nehmen die Ratsarbeit, Bürgeranfragen und Repräsentationsaufgaben ein. Das geschieht oft am späteren Nachmittag, gegen 18:00 Uhr ist meist Feierabend. Am Wochenende kommen Besuche zu Veranstaltungen oder Jubiläen hinzu.
Was sind aktuell die drängendsten Themen in Bernburg?
Betrachte ich die Frage aus der Sicht der Bürgerinnen und Bürger, so wie sie mir an Sprechtagen am meisten widergespiegelt werden: Bäume, Fuß- und Radwege, Ordnung und Sauberkeit und Verkehrsverläufe in der Stadt. Aus Sicht der Verwaltung sind es eher Themen wie Erhalt der Infrastruktur, personelle Absicherung der Aufgabenerledigung, Ordnung - also Erledigung der Pflichtaufgaben einerseits und andererseits die Eröffnung von Möglichkeiten der Stadtentwicklung und der Umsetzung von freiwilligen Leistungen. Die Stadt soll lebenswert sein, dazu gehört mehr als wohnen, essen und Arbeit. Doch um hierfür Angebote zu schaffen, muss es finanzielle Möglichkeiten geben oder Ideen, Dritte hierfür einzuspannen.
Auch in Bernburg steigen die Mieten, die Menschen ächzen unter der Inflation. Wie kann die Stadtverwaltung sozialen Zusammenhalt organisieren?
Der soziale Zusammenhalt kann gefördert werden, wenn die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglicht wird. Hierfür brauchen die Bürgerinnen und Bürger finanzielle Freiräume. Durch die städtische Wohnstätten GmbH wird das Angebot sozial verträglichen Wohnraums gesichert und außerdem kann am Thema Verhinderung von Segration gearbeitet werden. Die Stadt sorgt außerdem für Unterstützungsangebote, die niederschwellig sind und allen offen stehen. Dies betrifft zuerst die Vereinslandschaft, die über zahlreiche Themenbereiche hinweg durch das Ehrenamt Angebote schafft. Die Sport- und Kultureinrichtungen werden entweder selbst oder über die städtische Freizeit GmbH vorgehalten oder mittels Förderung unterstützt. Zahlreiche kostenfreie Veranstaltungen - Stadtfest, Weinmarkt, Bergzeitfahren, Skaternacht, um nur einige zu nennen, ergänzen das Angebot in der Stadt. Außerdem gibt es für Jung und Alt einige Anlaufstellen und Veranstaltungen, die zu einem Miteinander beitragen können, z. B. das Nachbarschaftszentrum oder Jugendclubhaus.
Die Kommunen kämpfen mit knappen Mitteln. Wie gelingt es trotzdem, soziale Projekte am Laufen zu halten oder sogar neue Initiativen zu starten? Was gibt es für Möglichkeiten das Miteinander zu stärken?
Eine wichtige Voraussetzung ist die Kommunikation mit den Stadträten. Natürlich kann und soll eine Verwaltung Ideen entwickeln, um Probleme zu lösen oder deren Entstehung für die Zukunft zu verhindern oder zumindest deren Eintrittswahrscheinlichkeit zu mindern. Hier greifen wir, wie die meisten, auf Förderungen zurück, denn Prävention ist billiger als heilen. Wird der Stadtrat hier umfassend informiert und einbezogen, hilft das oft bei der Entwicklung neuer Projekte oder bei der Verstetigung vorhandener.
Manchmal hilft nur persönliches Engagement. Dann spricht man mögliche Helfer an. Manchmal hilft die eigene Mitwirkung am Projekt oder das Interesse für dieses. Dann setzen wir Zeit ein. Ich hätte nie gedacht, dass Wertschätzung durch Präsenz bei den Akteuren eine stark motivierende Wirkung haben kann.
100 Mrd. aus dem Sondervermögen sind für Investitionen in den Kommunen in die Infrastruktur vorgesehen. Was kommt bei euch davon tatsächlich an?
Bisher noch nichts, die Verteilung der Mittel ist noch nicht geklärt, hier müssen die Bundes- und Landesverwaltungen noch Vorleistungen erbringen. Ich gehe davon aus, dass diese Mittel dann aber in den Erhalt der Infrastruktur und den Klimaschutz gehen werden.
Wir erleben einen gefährlichen Rechtsruck, in Bernburg wurde die AfD bei den letzten Bundestagswahlen die stärkste Partei. Was heißt für dich Antifaschismus auch ganz konkret vor Ort?
Haltung zeigen! In Bernburg (Saale) war eine der Euthanasieanstalten des dritten Reichs, deshalb kann dank der Gedenkstätte gut sichtbar vor Ort erinnert werden. Aber unsere gemeinsame Aufgabe muss es sein, im Alltag zu reagieren und Haltung zu zeigen. Das müssen wir sicherlich alle noch mehr verinnerlichen und lernen. Ich freue mich, dass beide weiterführenden Schulen sich mit der Thematik Stolpersteine auseinandersetzen und an deren Verlegung mitwirken und ich begleite das schwere Thema Erinnerungskultur selbst aktiv.
Wie schafft ihr demokratische Begegnungsräume, welche Bildungs- oder Kulturprojekte gibt es in Bernburg (Saale)?
Etwas habe ich ja schon hierzu gesagt, hinzu kommt die Arbeitsgruppe Jüdische Geschichte in Bernburg (Saale), die den jüdischen Friedhof betreut und ihn am Totensonntag der Öffentlichkeit zugänglich macht. Außerdem hat der Jugendbeirat Themen zur politischen Bildung öffentlich zum Thema gemacht. Hervorzuheben ist sicherlich auch das Bernburger Bündnis „Für Demokratie und Toleranz – gegen Rechtsextremismus und Gewalt“, dass neben Veranstaltungen auf öffentlichen Plätzen inzwischen zu öffentlich zugänglichen Gesprächsrunden zu politischen Themen einlädt. Zum dritten Mal lädt die Stadt ein, am Bürgerbudget mitzuwirken, auch das hilft Demokratie wahzunehmen.
Hast du selbst Bedrohungen oder Anfeindungen erlebt? Wie gehst du damit um?
In den sozialen Netzwerken wird immer wieder mal von einzelnen auf meinen politischen Ursprung in der SED abgestellt, aber das kann ich vernachlässigen. Auch meine Mitgliedschaft in unserer Partei ist mal Thema. Spricht mich jemand direkt dazu an, dann rede ich und dann kamen wir immer zu einer guten Verständigung. Die Angriffe in den sozialen Netzwerken bekomme ich meist nicht mit oder ignoriere sie, weil zu erkennen ist, dass hier kein Austausch gewollt ist. In einem Fall habe ich in Abstimmung mit Freunden über eine Anzeige nachgedacht.
Welche Projekte oder Veränderungen möchtest du in den kommenden Jahren unbedingt umsetzen?
Da gibt es einige - ich möchte unsere angefangenen Infrastrukturgroßprojekte Kurhaus, Friedensallee und präventiver Hochwasserschutz noch in meiner Wahlperiode vollendet sehen und als Baustellen erhoffe ich mir bald eine Grundschule im ländlichen Bereich und eine zentrale Feuerwehr für zwei Ortswehren. Ich hoffe auf eine weitere Verbesserung der Umgangskultur zwischen Stadtrat und Verwaltung, schließlich sitzen wir im selben Boot, das wird manchmal vergessen. Das Angebot Bürgersprechtag auf dem Markt darf gern durch mehr Teilnahme der Bürgerschaft am Entscheidungsprozess ergänzt werden. Die weitere Verstärkung des Ehrenamtes liegt mir ebenfalls am Herzen. Letztlich wünsche ich dem Land Sachsen-Anhalt 2026 ein wunderbares und vor allem friedliches Landesfest in meiner Stadt und lade herzlich dazu ein.
Herzlichen Dank!