„Es ist ein Fehler, die Beschäftigten nicht wertzuschätzen“
Die Tarifverhandlungen des öffentlichen Diensts sind nach drei erfolglosen Runden in einem Schlichtungsverfahren geendet. Es liegt jetzt eine Empfehlung der Schlichtungskommission vor, die aber bisher nicht angenommen wurde. Du hast dich während der Tarifverhandlungen für höhere Löhne im öffentlichen Dienst ausgesprochen. Du bist damit eigentlich die Ausnahme unter Bürgermeister*innen. Der Verweis auf knappe Kassen ist da sehr viel üblicher. Warum siehst du das anders?
Die Ausgaben des Staates sind ja im Grunde vorweggenommene Steuereinnahmen. Das ist eigentlich der Punkt. Und insbesondere in Zeiten der Rezession sollte man sich die Frage stellen, wie wir da eigentlich reingerutscht sind. Wir haben erhöhte Kosten auch bei den Kommunen. Das bestreite ich gar nicht. Auch mein Haushalt ist nicht ausgeglichen. Wir sind seit zehn Jahren erstmals wieder in die Haushaltssicherung gerutscht. Also, es ist nicht so, dass uns die Finanzlage nicht wehtun würde. Die Frage ist doch: Wie kommen wir da raus?
Gerade geht die Wirtschaftsleistung zurück. Die Rezession hält jetzt schon über zwei Jahre an. Das kann dazu führen, dass die Wirtschaft wirklich dauerhaft Schaden nimmt. Um das abzuwenden, muss man jetzt schauen, was man als Gegengewicht einsetzen kann.
Der Staat kann es sich am ehesten leisten, die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen. Die Lohnerhöhungen, die wir im öffentlichen Dienst vornehmen, könnten wir dann langfristig wieder über Steuern einziehen. Das heißt, das Geld ist nicht verloren auf unserer Seite. Natürlich gilt das nur langfristig, das amortisiert sich nicht innerhalb von fünf Jahren.
Warum gibt es dann so massiven Widerstand gegen höhere Tarifabschlüsse im öffentlichen Dienst?
Dafür gibt es mehrere Gründe. Es gibt viele Kommunen, die aus meiner Sicht die Möglichkeiten der öffentlichen Hand nicht ausschöpfen. Wir haben ganz andere Möglichkeiten als Privatunternehmen, was die Abschreibung und Tilgung von Investitionen angeht. Es gibt beispielsweise die gesetzliche Regelung, dass öffentliche Gebäude über 80 Jahre abgeschrieben werden. Investitionen in Schulen, Kitas, Rathäuser und so weiter können also über einen sehr langen Zeitraum abgegolten werden.
Mit der Umstellung auf Doppik, also auf die kaufmännische Buchführung, nutzen viele Kommunen diesen Handlungsspielraum aber nicht völlig aus. Sie agieren unternehmerisch. So tilgen sie beispielsweise Gebäude häufig schneller, als die Abschreibungen im Haushalt erwirtschaftet werden. Das belastet ihren Finanzhaushalt, also ihre Liquidität. Dabei haben wir den gesetzlichen Auftrag, einen ausgeglichenen Haushalt zu führen. Das bedeutet, dass wir keine Gewinne erzielen sollen. Wer aber schneller tilgen will als abgeschrieben wird, der muss notwendigerweise Überschüsse machen.
Das hört sich nicht nach kluger Finanzpolitik an ...
Ich habe mir sehr viele Haushaltspläne angesehen. Viele von ihnen könnten sich mehr Spielraum verschaffen. Was passiert stattdessen? Die Banken kriegen das Geld vorzeitig – also früher als gesetzlich notwendig – von den Kommunen überwiesen. Am Ende fehlt Liquidität und damit Möglichkeiten. Sie haben damit die falschen Prioritäten gesetzt als Kommunen.
Kannst Du Beispiele nennen?
Die Kommunen des Landes Brandenburg haben die höchsten Bargeld- und Sichteinlagen deutschlandweit. 1.600 Euro pro Kopf liegen da auf den Konten herum. Bei unseren Kommunen in Brandenburg somit etwa 4 Milliarden Euro. Das entspricht ungefähr 4 Prozent der Wirtschaftsleistung in Brandenburg. Es ist aber nicht unser Auftrag als öffentliche Hand, die eigene Währung zu horten und darauf auch noch Zinsen zu bekommen. Also, wenn man das zu Ende denkt, haben wir Kommunen 4 Prozent der Wirtschaftsleistung eingezogen. Und das müsste jetzt ausgegeben werden.
Aber warum nutzen so wenige Kommunen diese Spielräume?
Statt in der volkswirtschaftlichen Bandbreite zu agieren, haben wir uns Kommunen zu sehr in engere betriebswirtschaftliche Zwänge begeben.
Meine Gemeinde befindet sich seit zwölf Jahren im Kassenkredit (Dispo). Das ist aus meiner Sicht aber nichts Schlimmes. Ein kommunaler Kassenkredit funktioniert in gewisser Weise ähnlich wie eine Staatsanleihe, worüber sich der Bund finanziert. Diese hat den Vorteil: Die Bank rechnet nicht damit, dass du sie zurückzahlst. Es gibt keine vereinbarten monatlichen Tilgungsleistungen, sondern nach Ablauf der Vertragszeit zahlt man entweder zurück oder nimmt neu auf. Trotzdem erhält die Kommune wie auch der Bund sehr günstige Zinskonditionen.
Das große Problem aber bleibt, dass die meisten Kommunen ihre Investitionskredite zu schnell tilgen. Statt sich an den gesetzlichen Abschreibungszeiten zu orientieren, verschulden sich Kommunen mit ähnlichen Tilgungszeiten wie Unternehmen oder private Haushalte, was wir nicht sind. Dadurch fehlt dann wieder Liquidität, um Investitionen anzuschieben und die Wirtschaft zu stärken.
Aber liegt der Vergleich mit einem privaten Haushalt nicht auch auf der Hand?
Nein. Nehmen wir die Verschuldung einer Familie zum Vergleich. So ist diese mit ihrem Hauskredit um ein Vielfaches ihres Jahreseinkommens verschuldet. Davon sind wir Kommunen meilenweit entfernt. Kaum eine Kommune erreicht einen Schuldenstand in Höhe ihrer laufenden Erträge. Wir liegen drunter.
Viele denken also, dass wir Kommunen stark verschuldet sind. Aber das stimmt so nicht, weil viele gewählte Vertreterinnen und Vertreter in den kommunalen Gremien von ihrem Wirken im Privaten oder von ihrem Unternehmen auf den kommunalen Haushalt schließen. Dann werden Diskussionen über Kreditaufnahmen, die beschlossen werden müssen, in den politischen Gremien wie folgt geführt: „Aber ich nehme auch keinen Kredit über 80 Jahre auf!“
Also müssen wir als Verwaltung auf einer sehr grundsätzlichen Ebene erklären, dass es hier einen gewaltigen Unterschied zwischen öffentlicher Kreditaufnahme und Kreditaufnahme durch Unternehmen und Privatpersonen gibt. Ich persönlich lebe vielleicht, wenn ich Glück habe, 80 Jahre oder ein bisschen länger. Diese Kommune wird noch 200 Jahre existieren, außer wir machen uns jetzt nicht auf den Weg und investieren in die Zukunft. Das ist der Unterschied, und den kann man einpreisen. Die landeseigene Investitionsbank Brandenburg macht es zum Beispiel möglich, dass wir bei Abschreibungen von 80 Jahren auch über 80 Jahre tilgen können. Daraus ergeben sich kommunale Handlungsspielräume.
Welche Auswirkungen hat es denn auf den sozialen Zusammenhalt, wenn Kommunen ihre Spielräume nicht nutzen?
Man kann das gut an den aktuellen Tarifverhandlungen festmachen. Aktuell sind viele Kommunen im Minus. Darum agieren sie gewissermaßen aus einer Haltung der Schwäche. Das verstärkt in unserer Gesellschaft das Gefühl der Unsicherheit. Trotz dieser prekären Lage könnten Kommunen jedoch für höhere Tarifabschlüsse sein und somit der Verunsicherung entgegenwirken.
Ein Beispiel: Nun sind wir als Gemeinde schon lange im Kassenkredit. Wir haben also im Grunde seit über einer Dekade kein Geld auf dem Konto. Dies jedoch auch deshalb, weil wir die Steuern noch nicht eingezogen haben, die wir zum Abbau unseres Kassenkredits bräuchten. Warum nicht? Weil wir mit Steuern steuern. Wir entscheiden, wann wir die BürgerInnen mehr belasten und wann nicht. In Krisenzeiten sollten wir jedenfalls nicht die Wirtschaft zusätzlich durch unser Verhalten abwürgen.
Unser Kassenfestkreditzins liegt derzeit bei 2,9 Prozent. Ein Privathaushalt bekommt solche Zinskonditionen nicht. Wenn wir als Gemeinde jetzt die Steuern erhöhen, obwohl wir wissen, dass bestimmte BürgerInnen das Geld nicht haben und diese BürgerInnen dann auf einen Dispokredit zurückgreifen müssen, zahlen sie 7 bis 17 Prozent. Wenn sie überhaupt einen bekommen. Diejenigen mit höheren Einkommen bekommen natürlich dann auch die besseren Zinsen. Das heißt, die Schere zwischen Arm und Reich geht weiter auf. Darüber hinaus entsteht ein größerer volkswirtschaftlicher Schaden, als er sein müsste.
Was folgt daraus für dich politisch?
Als Kommunen sollten wir daher genauer abwägen, wenn wir finanzielle Entscheidungen treffen. Sollen die Tariflöhne steigen? Wem würde das am meisten wehtun? Uns Kommunen ist es jedenfalls deutlich einfacher möglich, in Vorleistung zu gehen. Ich möchte in dem Zusammenhang das bekannte Zitat: „Die Schulden von heute sind die Steuern von morgen.“ auch mal richtigstellen. Dieses Zitat impliziert, dass der Staat weitere „neue“ Steuern erheben wird. Es ist aber vielmehr so: Die Schulden von heute sind die Steuereinnahmen von morgen. Das heißt, der Staat verzichtet darauf, Steuern vorzeitig einzuziehen, um beispielsweise unsere Wirtschaft zu stützen. Wenn diese dann wieder gut läuft, führt dies automatisch zu höheren Steuereinnahmen. In der Volkswirtschaftslehre spricht man auch von automatischen Stabilisatoren, die es gilt einzusetzen.
Wir haben seit Corona immer noch Kaufkraftverluste bei den ArbeitnehmerInnen. Diese gilt es aufzuholen, um die Konjunktur zu beleben. Das muss auch das Ziel der Tarifverhandlungen sein.
Welche gesamtwirtschaftlichen Effekte hätte denn ein höherer Tarifabschluss im öffentlichen Dienst?
Wir haben durch die derzeitigen Unsicherheiten eine hohe Sparquote bei den privaten Haushalten und bei den Unternehmen. Konsum und Investitionen werden zurückgehalten. Als öffentlicher Dienst sind wir der größte Arbeitgeber und setzen damit auch ein Zeichen, was die weitere wirtschaftliche Entwicklung angeht. Wenn wir ebenfalls Unsicherheit signalisieren und unsere Ausgaben zurückfahren, ist das fatal. Wie wollen wir von der Wirtschaft verlangen, dass diese neue Produktionskapazitäten und Arbeitsplätze schafft, wenn wir als größter Arbeit- und Einkommensgeber gleichzeitig alles anders machen? Wer denkt, dass, wenn der Staat spart, mehr Geld für die Förderung und Steuersenkung in der Wirtschaft vorhanden ist, der übersieht, dass die Schaffung von Arbeitsplätzen eine staatliche Aufgabe ist.
Darüber hinaus wären höhere Tarifabschlüsse aber auch eine Frage der Wertschätzung. Wir beschäftigen einen Großteil der Angestellten, die die Daseinsvorsorge aufrechterhalten. Aber das gerät gerade aus dem Blick. Wir reiben uns stattdessen in Neiddebatten um sichere Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst auf, währenddessen in der Wirtschaft Arbeitsplätze abgebaut werden. Unsere Beschäftigten stehen ständig in der Kritik. Dabei sichert insbesondere in strukturschwachen Räumen das Familienmitglied, welches öffentlich beschäftigt ist, jenes Einkommen, welches es braucht, um beispielsweise ein kreditfinanziertes Haus zu halten.
Es ist ein Fehler, wenn wir jetzt nicht wertschätzend den Beschäftigten gegenüber sind, die die Daseinsvorsorge, das öffentliche Leben, die Ordnung und Sicherheit gewährleisten. Es ist kein gutes Zeichen, wenn beispielsweise das Land Brandenburg einen Einstellungsstopp bei den Lehrern verhängt. Als Unternehmen, welches auf gut ausgebildete Fachkräfte angewiesen ist, würde ich jedenfalls überdenken, in einem Bundesland zu investieren, in dem Bildung nicht den Stellenwert hat, den mein Unternehmen für sich selbst ansetzt. Denn abgesehen von den Fachkräften von morgen, wünschen sich MitarbeiterInnen eine gute Bildung für ihre Kinder. Bildung ist mehr und mehr ein Standortfaktor.
Können einzelne Gemeinden wie Wiesenburg/Mark freiwillig übertarifliche Löhne bezahlen? Und glaubst du, dass eine Gemeindevertretung für einen solchen Vorstoß offen wäre?
Das muss ich beides verneinen. Können ja, aber die Kommunen sehen sich als kommunale Familie.
Wir haben in unserer Gemeindevertretung viele tolle Beschlüsse gefasst, sehr mutige Beschlüsse. Aber losgelöst von den anderen Kommunen höhere Gehälter zu fordern, wird keine Gemeinde machen. Als Bürgermeister möchte ich aber eine, aus meiner Sicht notwendige, Debatte anstoßen.
Welche Anpassungen auf gesetzlicher Ebene bräuchte es denn, um den finanziellen Spielraum der Kommunen zu verbessern?
Mit der Einführung der Doppik wurden Fehler gemacht. Die kommunale Selbstverwaltung ist zusätzlich unter Druck geraten. Zum Beispiel bei der sogenannten Haushaltssicherung. Das ist mit das Schlimmste, was uns passieren kann, weil dann der Gestaltungsspielraum der Kommune von der Kommunalaufsicht eingeschränkt wird. In die Haushaltssicherung müssen Kommunen, wenn sie keine Rücklage aus Überschüssen mehr ausweisen.
Gleichzeitig ist es aber so, dass Überschüsse gar nicht gesetzlich vorgesehen sind. Es soll mit ausgeglichenen Haushalten gearbeitet werden. Doch wenn wir immer einen ausgeglichenen Haushalt von Null hätten, gäbe es keine Überschüsse und demnach auch keine Rücklagen. Das heißt also, um überhaupt eine Rücklage zu haben, müssen wir Überschüsse erzielen. Dadurch häuft sich auch die teils hohe Liquidität bei manchen Kommunen an. Also Geld, was wir von den Bürgerinnen und Bürgern sowie von den Unternehmen eingezogen haben, obwohl wir es nicht gebraucht haben. Das ist grundlegend verkehrt.
Der zweite Punkt ist das immer noch viel zu hohe Zinsniveau in Anbetracht der strauchelnden Konjunktur. Anders als die Fed in den USA hat die EZB nicht den Auftrag für Vollbeschäftigung zu sorgen. Private, unternehmerische und öffentliche Investitionen werden dadurch ausgebremst. Dabei ist es Augenwischerei, so zu tun, als hätte die Politik keinen Einfluss auf die EZB. Natürlich hat sie das. Alles ist Politik!
Was hältst du davon, dass im Schlichtungsergebnis jetzt eine freiwillige, individuelle Erhöhung der Arbeitszeit auf 42 Stunden vorgesehen ist? Ist der Arbeitskräftemangel wirklich ein Problem, das man auf diese Art lösen kann?
Ich beschäftige mehrheitlich ErzieherInnen, weil eine Sicherstellung der Betreuung in ländlichen Räumen durch Dritte kaum mehr attraktiv erscheint. Allerdings nicht in Vollzeit, denn es kommt auf die Kinderzahlen an. Es gibt einen Grundvertrag mit 30 Stunden, und das ist schon deutlich besser als früher. Ich habe also einen Teil der Beschäftigten, die unfreiwillig in Teilzeit arbeiten, deren Einkommen aber wichtig für die Familie ist. Mehr Arbeit für Frauen ist aber auch für die Region wichtig. Strukturschwache Räume haben oft einen Männerüberschuss. Dadurch entstehen neue gesellschaftliche Probleme.
Das ist die Realität in peripheren ländlichen Räumen. Die Beschäftigten, die jetzt auf 42 Stunden aufstocken könnten, um Reallohnverluste auszugleichen, sind nicht die wirklich prekär Beschäftigten, sondern jene, die ohnehin recht gut durch Vollzeit verdienen. Wer also überhaupt nicht davon in meiner Gemeinde profitieren würde, wären die vielen insbesondere weiblichen Beschäftigten in den Kitas. Sie sind aber so wichtig für uns und die Region. An sie sollte mehr gedacht werden.
Marco, vielen herzlichen Dank für das Gespräch!
(Die Fassung des Interviews wurde am 6.4.25 aktualisiert)