Mit praktischem Antifaschismus gegen den Rechtsruck

Demonstration gegen Rechtsextremismus in Frankfurt am 20. Januar 2024

Scheinbar unaufhaltsam erringt die AfD einen Wahlsieg nach dem anderen - daran werden auch Demonstrationen “für die Demokratie” nichts ändern. Es ist allerhöchste Zeit für eine langfristige politische Strategie, die der AfD ihren Nährboden entzieht: Einen praktischen Antifaschismus mit populärer linker Wirtschaftspolitik, starker Verankerung vor Ort und einer linken Kritik am etablierten Politikbetrieb.

Die Bilder zum Jahresanfang 2025 wecken Erinnerungen an 2024. Mehrere Millionen Menschen gingen deutschlandweit auf die Straße, um gegen Rechts und für „die Demokratie“ Gesicht zu zeigen. Offensichtlich ist eine breite Masse nicht bereit, dem Rechtsruck tatenlos zuzusehen – das ist gut. Allerdings wird dieser bürgerliche Antifaschismus den Aufstieg der Rechten nicht verhindern. Denn die Demonstrationen sind im Kern unpolitisch. Es geht vor allem darum, Haltung und Solidarität zu zeigen. Das ist an sich nicht falsch. Es fehlt aber eine kritische Analyse zu den politischen Ursachen der Rechtsentwicklung. Dementsprechend werden die Regierenden auch nicht für ihre Mitschuld am Aufstieg der AfD kritisiert. Im Gegenteil: Spitzenpolitiker der sogenannten Mitte nutzen die Gelegenheit, um sich medienwirksam als Retter der Demokratie inszenieren. Anstatt den Kontakt zu den Menschen zu suchen, die wütend auf die herrschende Politik ist verbleibt man in der eigenen Wohlfühlblase. Die Proteste sind damit vor allem ein Happening, ohne gemeinsame Analyse und Strategie zur Veränderung. Damit erzeugt der bürgerliche Antifaschismus zwar eine Illusion von Handlungsfähigkeit. In Wahrheit ist es eine Sackgasse.

Nur einen Monat nach den Großdemonstrationen wird die AfD bei der Bundestagswahl mit 20,8 Prozent die zweitstärkste Kraft. In einigen Umfragen hat sie die Union mittlerweile überholt. An dieser Situation wird auch die Einstufung als „gesichert rechtsextrem“ durch den Verfassungsschutz nichts ändern. Es ist ein Novum in der Nachkriegsgeschichte und eine Erinnerung an düstere Zeiten. Rechnerisch gibt es damit im Deutschen Bundestag jetzt eine schwarz-blaue Mehrheit. Eine Hegemonie links der Mitte ist in weite Ferne gerückt.

Das ist aber nicht in Stein gemeißelt. Was es aber braucht, ist eine langfristige Strategie, die aus der Defensive kommt und den Nährboden der Faschisten trockenlegt. Das geht aber nur, wenn wir die gemütlichen Plätze verlassen, Menschen organisieren und dahin gehen, wo unsere Anwesenheit wirklich einen Unterschied macht.

Das Comeback rechter Ideologien ist weder vom Himmel gefallen noch ein deutsches Phänomen. Ähnliche Entwicklungen lassen sich, mehr oder weniger zeitversetzt, in vielen (spät-)kapitalistischen Gesellschaften des Westens beobachten. Entgegen der landläufigen Meinung lässt sich ein Zusammenhang zwischen der Stärke der AfD und dem Migrationsanteil nicht erkennen. So ist die AfD in den ländlichen Regionen Ostdeutschlands mit geringem Migrationsanteil besonders stark. Im Gegensatz dazu spielt sie in Städten wie Hamburg, mit hohem Migrationsanteil, eine vergleichsweise geringe Rolle.

Ausschlaggebend für die Stärke der Rechten ist etwas anderes: die Angst vor Abstieg, Kontrollverlust und Abwertung in einem krisenhaften Kapitalismus. So hat die AfD bei der Bundestagswahl bei Menschen mit finanziellen Sorgen 39 Prozent der Stimmen bekommen - meilenweit vor der SPD (12 Prozent) und der Linkspartei (11 Prozent). Eine Studie der Bertelsmann Stiftung zeigt, dass sie in den prekären Milieus 45 Prozent holt, in der sogenannten adaptiv-pragmatischen Mitte immer noch 32 Prozent. Sie schafft es also, insbesondere Menschen in den unteren Lohngruppen zu mobilisieren.

Das ist umso bedrohlicher, weil geopolitische Konflikte und Handelskriege das Potenzial haben, die Inflation weiter anzuheizen. Zu den finanziellen Sorgen kommen kulturelle Abwertungen und zunehmende gesellschaftliche Isolation in Zeiten der Hyperpolitik. Es ist ein Versagen der Parteien der selbsternannten Mitte, diese Zusammenhänge zu ignorieren und stattdessen die Sündenbockdebatte befeuert zu haben. Das hat es der AfD erst ermöglicht, ein breites Spektrum von gesellschaftlichen Milieus, von ideologisch gefestigten rechtsextremen, über traditionell bürgerliche bis zu weniger ideologisch gefestigten Protestwählern unter einer Erzählung zu versammeln: „Der Ausländer ist schuld”.

Um die AfD nachhaltig zu schwächen und perspektivisch eine linke Hegemonie aufzubauen, muss dieses Bündnis aufgebrochen werden. Nur knapp die Hälfte der AfD Wähler gaben bei der Bundestagswahl 2025 an, die Partei aus Überzeugung gewählt zu haben. Für linke Politik bedeutet das: Wir müssen die Menschen, für die ein Kreuz bei der AfD in erster Linie der maximale Stinkefinger gegen die etablierte Politik ist, wieder für eine solidarische Alternative gewinnen.

Um Menschen von der AfD zurückzugewinnen, braucht es zuerst eine Erkenntnis, die in den Weiten deutscher Redaktionsstuben gerne übersehen wird: Die Wut vieler Menschen auf die etablierte Politik ist berechtigt. Jahrzehnte des Neoliberalismus haben eine Spur der Verwüstung hinterlassen: Altersarmut, steigende Mieten, sinkende Reallöhne und kaputte Infrastruktur. Fast die Hälfte der Menschen lebt von der Hand in den Mund. Dazu kommt die verständliche Sorge, zu Verlierern der ökologischen Transformation zu werden. Gleichzeitig werden Milliardäre immer reicher und Politiker erhöhen sich selbst die Diäten. Die Wut ist Ausdruck einer sich verstärkenden Klassengesellschaft, in der immer weniger Menschen glauben, dass Umverteilung, soziale Sicherheit und eine bessere Zukunft möglich sind.

Es ist die individuelle Ohnmacht, die es den Rechten erlaubt, Wut gegen Geflüchtete und Bürgergeldempfänger zu richten, anstatt gegen die gesellschaftlichen Verhältnisse des Kapitalismus. Was es dagegen braucht? Einen praktischen Antifaschismus. Aus meiner Sicht braucht es dafür mindestens drei Bausteine.

1. Antifaschistische Wirtschaftspolitik und wohldosierter Linkspopulismus

Der Kitt der Rechten ist das endlos wiederkehrende Narrativ des “bösen” und “faulen” Ausländers oder Bürgergeldempfängers. Solange diese Platte jede Woche rauf und runter gespielt wird, hat die AfD es denkbar einfach. Das ist aber nicht in Stein gemeißelt. Der Diskurs kann durch eine kluge wirtschaftspolitische Fokussierung von links verschoben werden.

Ein inhaltliches Grundgerüst liefert beispielsweise die antifaschistische Wirtschaftspolitik. Schon das Erstarken der Linkspartei bei der Bundestagswahl hat gezeigt, wie sich der Diskursraum verschiebt, wenn linkspopuläre und anti-elitäre Forderungen nach der “Abschaffung von Milliardären” oder einem bundesweiten Mietendeckel gesellschaftliche Resonanz finden. Das ist ein guter Ausgangspunkt, um mit fokussierten Kampagnen weiter politischen Druck zu erzeugen. Eine öffentliche Debatte, die sich nicht um “die Ausländer”, sondern um Klassenfragen, wie bezahlbare Mieten, dreht, schwächt das rechte Narrativ.

Ein bemerkenswertes Beispiel dafür  bleibt der Kommunalwahlkampf der KPÖ+ im konservativen Salzburg. Durch die klare Zuspitzung auf bezahlbares Wohnen ist es gelungen, dass selbst die rechte FPÖ auf das Thema aufsprang. Dabei gilt links wie rechts: Bringt man den Gegner auf das eigene Spielfeld, zahlt es bei einem selbst ein. Am Ende bekam die KPÖ+ fast 23 Prozent, die FPÖ nur 10 Prozent.

2. Gegenmacht durch Präsenz im Alltag und erfolgreiche politische Kämpfe

Die Gesamtzahl der Menschen, die in Parteien oder Gewerkschaften organisiert sind, ist in den letzten Jahrzehnten massiv zurückgegangen – besonders dort, wo der Neoliberalismus die tiefsten Spuren hinterlassen hat. Politik spielt im Alltag damit eine immer geringere Rolle. Das ist fatal. Wo soziale Probleme ungelöst bleiben, Menschen sich nicht gehört fühlen und parlamentarische Vertretung fehlt, wird (rechte) Protestwahl zum Sprachrohr der Wut.

Das Gegenmittel ist recht offensichtlich – aber arbeitsintensiv. Es braucht Präsenz, Verankerung und kollektive Organisierung vor Ort. Nicht in den Vierteln der linksliberalen Mittelschicht, sondern in den prekären Vierteln muss linke Politik verstärkt stattfinden. Dort, wo unsere Arbeit den Alltag der Menschen konkret verbessern kann. Haustürgespräche, Stadtteilfeste, Sozialberatungen, Diskussionsveranstaltungen oder gemeinsame Kämpfe gegen hohe Mieten und explodierende Heizkosten sind nur einige von vielen möglichen Ansatzpunkten.

Die Heizkostenaktion der Linken zur Bundestagswahl war ein gutes Beispiel dafür, wie es gehen kann. Entscheidend ist, der gesellschaftlichen Vereinzelung eine gelebte Praxis der Solidarität, Gemeinschaft und Selbstwirksamkeit entgegenzusetzen. Die Wahlerfolge der Linken in Neukölln, Lichtenberg oder Leipzig zeigen, dass sich dieses Politikverständnis auch in Wahlerfolge umsetzen lässt. Dabei dürfen Wahlkämpfe nie instrumentell werden, sondern müssen Teil einer langfristigen Verankerung bleiben. Die lokale Verankerung ist dabei kein Ersatz, sondern eine notwendige Ergänzung zur gewerkschaftlichen Strategie. Nur wenn sich die Linke in den Quartieren und Betrieben gleichermaßen verwurzelt, kann sie eine Basis aufbauen, die dem Aufstieg der Rechten tatsächlich etwas entgegensetzt und der Macht des Kapitals die Stirn bietet. Gegenmacht zu den Millionären gibt es nur durch Verankerung bei den Millionen.

3. Kritik am etablierten Politikbetrieb 

Seit Jahren wird die Kritik am (abgehobenen) Politikbetrieb in großen Teilen der AfD überlassen. Es ist fatal, wenn es dafür kein Gegenangebot von links gibt. Die Gefahr des rechten Autoritarismus darf nicht dazu führen, dass Linke unkritisch alle Aspekte und Konventionen des etablierten Politikbetriebs verteidigen. Viele Menschen haben die Erfahrung gemacht, dass die etablierte Politik ihre Interessen und Anliegen, wenn überhaupt, dann zweitrangig behandelt – die Profitinteressen des Kapitals haben fast immer Vorrang. Ihre Skepsis gegenüber dem politischen Betrieb ist daher wohlbegründet und nachvollziehbar.

Die Gründe dafür sind vielfältig: Die sozialen und materiellen Privilegien von Abgeordneten sowie der überproportionale Akademikeranteil entfremden vom Alltag der großen Mehrheit. Lobbyismus, Medienmacht und Parteispenden sichern den Einfluss des Kapitals. Jahrzehntelange Privatisierung öffentlichen Eigentums hat die Handlungsspielräume der öffentlichen Hand zusätzlich systematisch eingeschränkt. Das muss von links kritisiert und gleichzeitig eine andere politische Praxis gelebt werden. Für linke Parlamentsarbeit bedeutet das aber auch: Wer Politik gegen das Establishment machen möchte, muss auch seine eigene politische Praxis daran ausrichten. Politische Mandate dürfen deshalb niemals zu einem Karrierepfad werden. Stattdessen braucht es Mandatszeitbegrenzungen, eine Deckelung von Abgeordnetengehältern auf ein durchschnittliches Lohnniveau und Quoten für Arbeiterinnen und Arbeiter. Auch darf man sich nicht bedingungslos allen „demokratischen Gepflogenheiten“ unterwerfen und alle parlamentarischen Spielchen mitspielen. Linke Stimmen im Parlament sind freche, provokante und laute Stimme, die gesellschaftliche Missstände anprangern und genau wissen, dass wirkliche Veränderung nur mit einer starken Verankerung und Diskursverschiebung außerhalb der Parlamente erreicht werden kann.

Die Zeit drängt. Mit wachsender Stärke der AfD werden auf allen parlamentarischen Ebenen zunehmend dysfunktionalere Koalitionen geschlossen. Das Ziel, die AfD von der Macht fernzuhalten, ist zweifellos richtig. Die Volksfront wird die Rechten aber niemals nachhaltig schwächen, sondern im Zweifel stärken. Ich plädiere deshalb für einen praktischen Antifaschismus mit populärer linker Wirtschaftspolitik, starker Präsenz vor Ort und einer linken Kritik am etablierten Politikbetrieb. Es braucht Zeit und große Anstrengungen, um den rechten Geist wieder in die Flasche zu bekommen. Einen einfacheren Weg dazu gibt es nicht. Dieser Weg ist aber die Grundlage dafür, dass wir den Pfad hin zu einer sozial-ökologischen Utopie überhaupt wieder öffnen können.