Klassenbewusstsein statt Volksgemeinschaft
Eine antifaschistische Strategie gegen rechte Wahlerfolge
Die jüngsten Wahlergebnisse der AfD haben die Diskussion über die Ursachen der Erfolge der extrem Rechten neu entfacht. Dabei stellt sich die Frage, warum die AfD gerade in den Bevölkerungsgruppen am meisten gewählt wird, die von der AfD am stärksten sozial benachteiligt werden würden. Manch einer sagt, es liege daran, dass die Menschen vor allem aus Protest gegen die anderen Parteien die AfD wählen. Andere behaupten dagegen, dass die AfD erfolgreich das einsammle, was schon seit langer Zeit im deutschen Volksgeist überwintere. Beide Thesen lassen sich durch unzählige Statistiken stützen, welche die Enttäuschung ebenso wie die wachsende Übernahme rechter Einstellungen belegen. Beide Erklärungen greifen zu kurz.
Warum Menschen die AfD gegen ihre eigenen Interessen wählen?
Die Anhänger der „Protestwahltheorie“ müssten vor allem erklären, warum die AfD vor allem dort erfolgreich ist, wo sie sich am unverhülltesten mit dem Faschismus sympathisiert. Thüringen, die politische Heimat von Björn Höcke, ist die Hochburg der AfD. Dort, wo der AfD-Landeschef offen Sätze sagt wie „Das Problem ist, dass Hitler als absolut böse dargestellt wird“ und aus seiner Gesinnung keinen Hehl macht, ist die AfD nach jüngsten Umfragen mit 35 Prozent stärkste Kraft. Zudem trifft auf die AfD zu, je unverhüllter sie in ihren menschenverachtenden Positionen auftritt, desto stärker ist sie auch bundesweit geworden. Die Anhänger der „Deutschen-Volksgeist-Theorie“ müssten dagegen erklären, warum in Krisenzeiten die AfD gerade Linke Wähler abgegriffen hat. Seit der Bundestagswahl 2017 wechselten über eine halbe Million Wählende ihre Stimme ausgerechnet von der antifaschistischen Partei Die Linke zur rassistischen Partei AfD. Selbst mit ihrem jüngsten Wahlerfolg 2025 waren es weitere 90.000 Stimmen, die an die extrem Rechte gingen. Die SPD verlor seit 2017 sogar über 1 Millionen Stimmen an die AfD. Ganz zu schweigen von den Gewerkschaftsmitgliedern, die mit 21,8 Prozent sogar überdurchschnittlich AfD wählten (vgl. mit dem Bundestagswahlergebnis mit 20,8 Prozent).
Das zeigt, dass das Wahlverhalten widersprüchlicher ist, als man es durch das Jonglieren von Statistiken erfassen könnte. Die Verdrossenheit über die herrschende Politik sowie die Übernahme rechter Positionen geht Hand in Hand mit der Erfahrung jahrzehntelanger Demütigung durch sozialen Abstieg. Obwohl über 80 Prozent aller Deutschen die Idee der Demokratie befürworten, so überzeugt laut einer Studie des EFBI die derzeitig praktizierte Demokratie gerade mal die Hälfte der Bevölkerung. Die meisten halten es für sinnlos, sich politisch zu engagieren. Zudem glaubt kaum jemand, Einfluss auf die Regierung zu haben. Dies zeigt sich im Westen und besonders stark im Osten. Die Neoliberalisierung aller öffentlichen Bereiche, Hartz4, die Ausweitung des prekären Arbeitsmarkts, Inflation usw. haben zudem bei immer mehr Menschen für Abstiegsängste gesorgt. Die Ursache hinter dieser Entwicklung kann man auf einen Nenner bringen: It’s capitalism, stupid!
Die Arbeiterklasse war im Kapitalismus immer schon ökonomischer Konkurrenz ausgesetzt, macht bis heute Abstiegserfahrungen, erlebt sich als austauschbar und sieht ihre Lebensweise kulturell abgewertet. Es gibt eine Wut der „einfachen Leute“, die mit den Werten und Normen zusammenhängen, die sich seit über 200 Jahren in der Arbeiterklasse entwickelt haben; ein Bewusstsein dessen, dass man nichts geschenkt bekommt, dass einem aber Respekt für die eigene Leistung gebührt. Zu diesen Werten gehören auch ein egalitärer Geist, dass jeder gleich viel wert ist, ein Stolz darauf „normal“ zu sein, ein Gemeinschaftssinn mit Lokalpatriotismus und einer rebellischen, zugleich traditionellen Kultur. Arbeit und Wohlstand hieß diesem Sinne nach immer auch Respekt; Armut und Absturz hingegen den Verlust jeglicher Respektabilität. Dies ist der Fall bei Menschen, die atypisch beschäftigt sind, als freie Dienstleister, Werkvertragsnehmer, Leih- und Teilzeit- Arbeitnehmende, die schlecht verdienen und später einmal eine Minipension erhalten. Diese atypische Beschäftigung nahm insbesondere im neoliberalen Kapitalismus zu. Das Ganze wird nochmal gesteigert, wenn man durch das Bürgergeld sowie den Tafeln zum Bittsteller degradiert wird.
Hinzu kommt, überproportional sind vor allem Menschen mit Migrationshintergrund von Armut und prekärer Beschäftigung betroffen. Hier spaltet sich die vom sozialen Abstieg leidende „weiße“ Arbeiterklasse in eine anerkennende Haltung gegenüber der harten Arbeit von MigrantInnen, sowie in eine ablehnende Haltung, welche Menschen mit Migrationshintergrund vorwirft, sie würden den Deutschen die Jobs stehlen oder in die Sozialsysteme einwandern. Nicht selten wird beides gleichzeitig vertreten. Zum Beispiel der Arbeitskollege, der in einem und demselben Gespräch sagt: „Mein Kollege kommt aus Syrien und das ist echt ein feiner und fleißiger Kerl. Aber die ganzen Ausländer liegen uns auf der Tasche.“ Gerade weiße Menschen haben Abstiegserfahrungen gemacht, weil sie öfters als zum Beispiel MigrantInnen aus ärmeren Ländern auf einem Lebensstandard waren, mit dem man auch Absteigen konnte. Man ist frustriert über das, was man verloren hat, und wünscht sich mehr, im Mittelpunt zu stehen. Die Minderheiten stellen jedoch denselben Anspruch, was das Gefühl entstehen lässt, als weiße Minderheit selber Opfer eine Diskriminierung zu sein. Die hiesigen „einfachen Leute“ halten sich für eine Minderheit im eigenen Land. Wenn dann noch eine große Menge Menschen aus anderen Ländern nach Deutschland fliehen und auf völlig unterfinanzierte Kommunen, bröckelnde Schulen, unterversorgten Krankenhäusern etc. treffen, wird dieses Gefühl durch die wachsende Konkurrenz nur verstärkt. Die „Deutschen“ fühlen sich im eigenen Land nicht mehr wahrgenommen und suchen nach Aufmerksamkeit für ihre eigenen Probleme.
Gerade diese Abstiegsfrustration machen Menschen für spaltende Ideologien von Rechts empfänglich. Es ist das Versprechen der jahrzehntelangen Demütigung die Volksgemeinschaft entgegenzusetzen, in der die „einfachen Leute“ bevorzugt werden, von denen vor allem die Weißen und Deutschen gemeint sind. Dies ist rassistische Ideologie, welche das Vorrecht auf sozialen Aufstieg legitimiert und Aufwertung durch die Abwertung anderer verspricht. Dies wird erweitert durch das Versprechen, die im Alltag wahrgenommene Ohnmacht durch einen starken Führer und die Sicherheit eines autoritären Staates zu ersetzen. Die rechtspopulistische Demagogie der AfD kann daher gerade dann fruchten, wenn der soziale Abstieg breiter Massen die Abwertungserfahrung, die Frustration und Konkurrenz unter der Arbeiterklasse nährt. Das gilt insbesondere, wenn aufrüstungsbedingt im Sozialstaat gekürzt wird oder Arbeitslose als Belastung für die Sozialsysteme denunziert werden. Verstärkt wird das Ganze dann, wenn Parteien der so genannten Mitte die Politik der AfD legitimieren, indem sie rechte Diskurse bedienen, rechtspopulistische Positionen übernehmen und dadurch der AfD indirekt recht geben. Je länger so etwas den öffentlichen Diskurs dominiert, desto mehr kann aus einer Protestwahl auch eine wachsende rechte Überzeugung werden.
Wie sieht nun aber eine erfolgreiche antifaschistische Strategie aus?
Falsch wäre es, Menschen, welche die AfD wählen, aufzugeben oder aber von oben herab moralisch zu verurteilen. Abstiegserfahrungen können dazu führen, dass Menschen aus Abwehr zu dem extremen Rechten getrieben werden, weil man sich von denjenigen, die moralisch belehren, degradiert und in seinen sozialen Problemen ignoriert fühlt. Ein Leben in Armut, Angst und Hoffnungslosigkeit macht Moral zum Luxusgut. Richtig dagegen wäre, wenn die gesellschaftliche Linke sich viel stärker jenen Bevölkerungsgruppen öffnet, die am meisten unter der neoliberalen Abstiegsgesellschaft leiden. Das bedeutet auch, dass linke Organisationen mehr zu einem Ort werden müssen, in dem Bevölkerungsgruppen unterschiedlichster Bildungsherkunft zusammenwachsen.
Wenn wir zudem den Aufstieg der extremen Rechten als Teil der sozialen Demütigung breiter Bevölkerungsgruppen begreifen, dann muss klar sein, dass eine Verteidigung des Status Quo nicht ausreicht. So sehr bestimmte soziale und demokratische Errungenschaften es wert sind, zusammen in breiten gesellschaftlichen Bündnissen gegen die Verschlimmerungen der extremen Rechten verteidigt zu werden, so sehr steckt in der Wahl der AfD auch eine Sehnsucht nach anderen Verhältnissen. Wenn wir außerdem davon ausgehen, dass der rechte Diskurs mittels Angst vor „Messermigration“ und „Arbeitsscheuen“ die wahren Ursachen der Ausbeutung verschleiern soll, dann muss klar sein, dass jede Form des Zugeständnisses vor dieser rechten Demagogie letztlich nur die öffentliche Deutungshoheit der extrem Rechten stärkt. Eine Strategie der „Brandmauer“ ist daher genau so richtig, wie unzureichend. Richtig, weil sie versucht, den rechten Diskurs auszugrenzen. Unzureichend hingegen, weil sie letztlich nur Symptombekämpfung bleibt.
Ein Antifaschismus, der an die Ursachen geht, steht nicht nur gegen Rechts, sondern steht auch für eine solidarische, egalitäre und freie Gesellschaft. Dafür braucht es Perspektiven, die aus der Ausbeutungs- und Abstiegsgesellschaft der neoliberalen Jahrzehnte hinausführen. Wolkenschlösser, die jenseits der Alltagserfahrungen jener liegen, für die sie gebaut sind, gehen dabei ebenso sehr am Ziel vorbei wie reformistische Kleinstverbesserungen. Linke Antworten müssen vor allem drei Dinge erfüllen. Erstens müssen sie die gemeinsamen Interessen derjenigen, zwischen denen die rechten Demagogen spalten wollen, in den Vordergrund stellen und mit ihren Antworten zu konkreten Verbesserungen führen. Zweitens müssen sie die Gegnerschaft zu den eigentlichen Profiteuren betonen und darauf gerichtet sein, die Machtverhältnisse zwischen den Klassen zugunsten der großen Mehrheit zu verschieben. Und drittens müssen sie Menschen ermuntern, gegen die empfundene Ohnmacht gemeinsam aktiv zu werden, also aus passivem Unmut aktive Gegenwehr zu machen.