Die AfD und die „einfachen Leute“

Die jüngsten Wahlergebnisse der AfD haben die Diskussion über die Ursachen der rechtspopulistischen Erfolge neu entfacht. Streit herrscht dabei vor allem über das Wahlmotiv. Manch einer sagt, es liege daran, dass die Menschen vor allem aus Protest gegen die anderen Parteien die AfD wählen. Andere behaupten dagegen, dass die AfD erfolgreich das einsammle, was schon seit langer Zeit im deutschen Volksgeist überwintere. Beide Thesen lassen sich durch unzählige Statistiken stützen, welche die Enttäuschung ebenso belegen, wie die wachsende Übernahme rechter Einstellungen. Beide Erklärungen greifen in meinen Augen zu kurz.

Die Anhänger der „Protestwahltheorie“ müssten vor allem erklären, warum die AfD vor allem dort erfolgreich ist, wo sie sich am unverhülltesten mit dem Faschismus sympathisiert. Thüringen, die politische Heimat von Björn Höcke, ist die Hochburg der AfD. Dort, wo der AfD-Landeschef offen Sätze sagt wie „Das Problem ist, dass Hitler als absolut böse dargestellt wird“ und aus seiner Gesinnung keinen Hehl macht, ist die AfD nach jüngsten Umfragen mit 34 Prozent stärkste Kraft. Die Anhänger der „Deutschen Volksgeist Theorie“ müssten dagegen erklären, warum gerade in Krisenzeiten die AfD gerade LINKE Wähler abgegriffen hat. Seit der Bundestagswahl 2017 wechselten rund eine halbe Million Wählende ihre Stimme ausgerechnet von der antifaschistischen Partei DIE LINKE zur rassistischen Partei AfD. Damit hat die LINKE an keine Partei so viele Stimmen verloren, wie an die AfD.

Das zeigt, dass das Wahlverhalten widersprüchlicher ist, als man es durch das Jonglieren von Statistiken erfassen könnte. Die Verdrossenheit über die herrschende Politik sowie die Übernahme rechter Positionen geht Hand in Hand mit der Erfahrung jahrzehntelanger Demütigung durch sozialen Abstieg. Obwohl über 80 Prozent aller Deutschen die Idee der Demokratie befürworten, so überzeugt laut einer Studie des EFBI die derzeitig praktizierte Demokratie gerade mal die Hälfte der Bevölkerung. Die meisten halten es für sinnlos, sich politisch zu engagieren. Zudem glaubt kaum jemand, Einfluss auf die Regierung zu haben. Dies zeigt sich im Westen und besonders stark im Osten. Die Neoliberalisierung aller öffentlichen Bereich, Hartz4, der Boom des prekären Arbeitsmarkts, Inflation usw. haben zudem bei immer mehr Menschen für Abstiegsängste gesorgt. Die Ursache hinter dieser Entwicklung kann man auf einen Nenner bringen: It’s capitalism stupid.

Die arbeitenden Klassen waren im Kapitalismus immer schon ökonomischer Konkurrenz ausgesetzt, machen bis heute Abstiegserfahrungen, erleben sich als austauschbar und sehen ihre Lebensweise kulturell abgewertet. Es gibt eine Wut der „einfachen Leute“, die mit den Werten und Normen zusammenhängen, sie sich seit über 200 Jahren in der Arbeiterklasse entwickelt haben. Dem Bewusstsein, dass man nichts geschenkt bekommt, dass einem aber Respekt für die eigene Leistung gebührt. Zu diesen Werten gehören auch ein egalitärer Geist, dass jeder und jede gleich viel wert ist, ein Stolz darauf „normal“ zu sein, ein Gemeinschaftssinn, mit Lokalpatriotismus und einer rebellischen, zugleich traditionellen Kultur. Arbeit und Wohlstand hieß diesem Sinne nach immer auch Respekt. Armut und Absturz hingegen ziehen häufig den Verlust jeglicher Respektabilität nach sich. Das Ganze wird nochmal gesteigert, wenn man durch das Bürgergeld sowie den Tafeln zum Bittsteller degradiert wird. Menschen, die atypisch beschäftigt sind, als freie Dienstleister, Werkvertragsnehmer, Leih- und Teilzeit-Arbeitnehmende, die schlecht verdienen und später einmal eine Minipension erhalten. Diese atypische Beschäftigung nahm insbesondere im neoliberalen Kapitalismus zu.

Hinzu kommt: Überproportional sind vor allem Menschen mit Migrationshintergrund von Armut und prekärer Beschäftigung betroffen. Hier spaltet sich die am sozialen Abstieg leidende „weiße“ Arbeiterklasse in diejenigen, die auch die harte Arbeit von MigrantInnen anerkennen, sowie diejenigen, welche Menschen mit Migrationshintergrund vorwirft, sie würden den Deutschen die Jobs stehlen oder in die Sozialsysteme einwandern. Nicht selten wird beides gleichzeitig vertreten. Ich habe in meinem Leben viele Menschen kennenlernen dürfen, die in einem und demselben Gespräch gesagt haben: „Mein Kollege kommt aus der Türkei und das ist echt ein feiner Kerl. Aber die ganzen Ausländer liegen uns auf der Tasche.“

Gerade weiße Menschen haben Abstiegserfahrungen gemacht, weil sie öfter als zum Beispiel MigrantInnen aus ärmeren Ländern einen Lebensstandard hatten, den man auch verlieren konnte. Die Folge ist häufig Frustration über den Verlust und der Wunsch, den früheren Status wiederzuerlangen.  Aber auch die nach Deutschland eingewanderten oder geflohenen Menschen sind bestrebt, der Armut zu entkommen. Dies lässt bei einigen das Gefühl entstehen, als weiße Minderheit selber Opfer eine Diskriminierung zu sein. Die hiesigen „einfachen Leute“ halten sich für eine Minderheit im eigenen Land. Wenn dann noch eine große Menge Menschen aus anderen Ländern nach Deutschland fliehen und auf völlig unterfinanzierte Kommunen, bröckelnde Schulen, unterversorgten Krankenhäusern etc. treffen, wird dieses Gefühl durch die wachsende Konkurrenz nur verstärkt. Die „Deutschen“ fühlen sich im eigenen Land nicht mehr wahrgenommen und suchen nach Aufmerksamkeit für ihre eigenen Probleme.

Gerade diese Abstiegsfrustration macht Menschen für spaltende Ideologien von Rechts empfänglich. Es ist das Versprechen, der jahrzehntelangen "Demütigung der Volksgemeinschaft" etwas entgegenzusetzen, indem die „einfachen Leute“, womit vor allem die Weißen und Deutschen gemeint sind, bevorzugt werden. Das ist eine rassistische Ideologie, welche ein Vorrecht auf sozialen Aufstieg definiert und Aufwertung durch die Abwertung anderer verspricht. Das Versprechen, die im Alltag wahrgenommene Ohnmacht durch einen starken Führer und die Sicherheit eines autoritären Staates zu ersetzen. Die rechtspopulistische Demagogie der AfD kann daher gerade dann fruchten, wenn der soziale Abstieg breiter Massen die Abwertungserfahrung, die Frustration und Konkurrenz unter der Arbeiterklasse nährt. Dazu passt die aktuelle Auseinandersetzung um das Heizungsgesetz oder der unsoziale Haushalt der Ampel genau so, wie das rechtspopulistische Gehabe der CDU, welches die menschenverachtende Demagogie der AfD nur legitimiert.

Als LINKE sollten wir uns bemühen, uns von alledem deutlicher zu unterscheiden. Wir sollten der Abwertung von Minderheiten von rechts nicht mit moralischer Höherwertigkeit beantworten, sondern aufklärerisch den Kampf um die Köpfe führen. Wir sollten der Ungleichheitsideologie wie Rassismus und Sexismus keine Zugeständnisse machen, sondern für mehr Egalität zwischen gesellschaftlichen Gruppen und Solidarität gegenüber Diskriminierten streiten. Wir müssen dieser Demagogie Klassenbewusstsein entgegensetzen. Benennen, wer die Profiteure des Abstiegs der arbeitenden Klasse waren und sind. Und wir sollten dem Versprechen der Sicherheit durch den autoritären Staat oder den „starken Führern“ nicht einfach staatstragende Langeweile oder populäre Köpfe entgegensetzen. Wir sollten vor allem Menschen ermuntern, gegen die wahrgenommene Ohnmacht selber politisch aktiv zu werden, also aus der passiven Wut, aktive Gegenwehr zu machen – in den Parlamenten, in den Gewerkschaften und auf der Straße.