Wir müssen über unser Verhältnis zu Osteuropa reden

Für Linke in Deutschland war das Verhältnis zu den Staaten in Ost und Ost(mittel)Europa ein schwieriges in den Jahren seit dem Zerfall der Sowjetunion und den Revolutionen und Transformationen in den sozialistischen Satellitenstaaten. Der große Verbündete im Kampf gegen den westlichen Imperialismus war weg, die Revolution (oder „Konterrevolutionen“) in den ehemals verbündeten Bruderstaaten wurden mit großem Argwohn verfolgt. Er ging einher mit einer Welle des Antikommunismus und Neoliberalismus, der linke Projekte bis in die 2000er hinein in weiten Teilen Europas fast undenkbar machte.

Geblieben sind bei vielen dieser Schock und eine nostalgische Sehnsucht nach der großen, starken Sowjetunion. Dem Bollwerk gegen den US-Imperialismus, der Friedenstifterin innerhalb des sozialistischen Blockes. Das Problem dabei ist: vergessen wird der eigene Imperialismus der Sowjetunion, vergessen wird der Einmarsch des Warschauer Paktes in der Tschechoslowakei, vergessen wird die Niederschlagung von Aufständen in Ungarn oder in der DDR. Auch an Kriegsrecht in Polen wird sich nicht allzu gern erinnert. Die Sowjetunion war vieles und nicht alles war schlecht, eines war sie jedoch nie: die große friedenliebende Utopie, als die sie immer noch verklärt wird.

Auch muss man immer wieder betonen: Russland ist kein sozialistischer Staat, den Linke oder Sozialdemokrat*innen in irgendeiner Form schützen müssten. Gleichzeitig ist es Unsinn nun zu fordern Denkmäler, die an die Befreiung Europas vom deutschen Faschismus durch die Rote Armee erinnern, abzureißen. Besonders da nicht weniger Ukrainer*innen auf Seiten der Roten Armee starben. Genauso absurd ist es, dass die Behörden in Bremen und Niedersachsen bei dem diesjährigen Ostermarsch das Zeigen der Flagge der UdSSR verboten hatten. Zwar steht diese Flagge nicht zwangsläufig für Frieden (auch nicht für ein Frieden zwischen Russland und der Ukraine), sie als Zeichen der Befürwortung des russischen Kriegs in der Ukraine zu werten ist allerdings vollkommen absurd. Übrigens: Das „Z“-Symbol, das tatsächlich als Zustimmung zu diesem Krieg zu werten ist, wurde nicht verboten. Das Erbe der Sowjetunion liegt schwer auf diesem Krieg. Die Ukrainer*innen erinnern sich sehr lebhaft an das gewaltvolle Verhältnis innerhalb der Union der sozialistischen Sowjetrepubliken. Der Holodomor (der Hungertod von sieben Millionen Ukrainer*innen) mutmaßlich von Stalin gewollt, mindestens aber toleriert, ist noch lange nicht vergessen und zeigt sehr deutlich, dass Hammer und Sichel aus ukrainischer Sicht nicht für Frieden und Gewaltlosigkeit stehen.

Besonders deutlich ist die gewaltvolle Herrschaft innerhalb der Union und der sozialistischen Blocksaaten in ihren Nachfolgestaaten in Erinnerung geblieben. Das heutige Russland hat wenig mit der alten UdSSR zutun, ihre Herrschaftsansprüche hat es jedoch unverhohlen übernommen, wie in der Rede Putins zum Einmarsch in der Ukraine sehr deutlich wird. Dieses Russland ist eine reelle Gefahr für die demokratischen Staaten, die es zum Nachbarn haben. Die Baltischen Staaten, Georgien, die Ukraine, aber auch Polen sehen in Moskau daher nicht den großen Bruder aus vergangenen Tagen, sondern einen reellen imperialen Aggressor.

Diese Sicht unterscheidet linke Parteien aus Ost und Ostmitteleuropa von ihren Schwesterparteien in Westeuropa. Dabei täte besonders DIE LINKE in Deutschland gut daran, mehr auf ihre Stimmen zu hören. Während hier hitzig über die Frage nach der Position zu Russland, der Frage nach Waffenlieferungen und allgemein darüber, was eine linke Position auf diesen Krieg sein kann, diskutiert wird, haben Parteien und Bewegungen (auch aus Russland und der Ukraine) längst eine gemeinsame Antwort gefunden. Diese Antwort gefällt vielen Genoss*innen nicht. Denn für die ost(mittel)europäische Linke ist ganz klar, dass praktische, antiimperialistische Solidarität nur meinen kann, der Ukraine bei ihrem Kampf gegen den russischen Imperialismus beizustehen. Ja, auch durch internationale Waffenlieferungen. Stattdessen suchen Friedensbewegte und Linke hierzulande viel zu oft die alleinige Schuld an allen Krisen und Konflikten in Ost(mittel)europa bei der NATO und argumentieren diese mit dem vermeintlichen Wortbruch gegenüber Gorbatschow bezüglich der Osterweiterung der NATO. Dabei wird weitläufig ignoriert, dass die Existenz dieser Zusicherung von  Gorbatschow selbst bestritten wird.

DIE LINKE muss dringend ihr verklärtes Bild der Sowjetunion überwinden, Ambivalenzen in ihrer Geschichte und Gegenwart zulassen und denen zu hören, die von dem russischen Imperialismus direkt betroffen sind. Eine zeitgemäße linke Erinnerungskultur an den Staatsozialismus muss sich aber auch dem geschichtsrevisionistischen Antikommunismus, der gerade im Zuge des Krieges erstarkt entgegenstellen. Denkmäler, die an den Sieg der Roten Armee (in der viele Ukrainer*innen kämpften und starben) gegen Faschismus erinnern, als Symbole für den gegenwärtigen russischen Krieg zu werten, ist Unsinn. Genauso ist es Unsinn, Russlands Krieg als „Entnazifizierung“ zu werten. Russland ist nicht die Sowjetunion, das müssen Linke und ihre Gegner*innen nun endlich verstehen.