Pokerface im Jobcenter

Inge Hannemann ist eine der bekanntesten Kritiker:innen des Hartz-IV-Systems. In ihrer  Kolumne für "Links bewegt" schreibt sie regelmäßig zu sozialpolitischen Themen.

Hand aufs Herz: Das Wort „Eingliederungsvereinbarung (EGV)“ im Jobcenter klingt zumindest nach den Scrabble-Regeln famos. Ohne Prämienzählung ergibt das Wort nach den Scrabble-Regeln alleine 37 Punkte. Meine fortgesetzte Suche nach Synonymen ergab Begriffe wie: Einbeziehung, Integration, Zusammenführung und Verzahnung. Klingt alles sehr verbindend und doch ist die Eingliederungsvereinbarung bis heute eine Art Fremdkörper in einem bürokratischen Konstrukt wie es die Jobcenter sind. Insbesondere für Erwerbslose, die zum ersten Mal die Luft eines Jobcenters einatmen. 2005 wurde die Eingliederungsvereinbarung übrigens mit dem Ziel eingeführt einen „partnerschaftlichen Umgang zwischen Agentur für Arbeit und erwerbsfähigen Hilfebedürftigen“ zu gewährleisten.

Nun ja, ob man eine Partnerschaft mit einem Jobcenter eingehen möchte, bleibt jedem selbst überlassen. Ich glaube allerdings, dass die Partnerschaft mit einer Laterne partnerschaftlicher wäre. Aber zum Thema zurück. Inzwischen ist die Eingliederungsvereinbarung eines der wichtigsten Instrumente, um Druck auf Erwerbslose auszuüben. Das A-B-C der „Frischlinge“ im Jobcenter auf der anderen Seite des Schreibtischs ist die Schulung der „Rechtssicherheit“ einer EGV vor Gericht. Nichts ist peinlicher, als dass die EGV vor Gericht nicht standhält. Schließlich ist sie der Dreh- und Angelpunkt des „Fordern und Fördern“ von Arbeitslosengeld-II-Berechtigten. 

Die Vereinbarung muss ausgewogen sein

“Alte Hasen“ kennen das Spiel mit der EGV und das Einlullen. Sie wissen, dass ein Vertrag gleichwertig austangiert sein muss. Und nichts anderes ist die EGV. Ein beidseitiger Vertrag, der die Rechte und Pflichten gleichmäßig auf das Jobcenter und die Erwerbslosen verteilt. Wenn ich eine Waschmaschine kaufe, kaufe ich ja auch nicht nur die Trommel. Das versucht aber immer wieder das Jobcenter. Sie erhalten nur die Trommel, in dem zum Beispiel das Jobcenter versucht, die Pflicht aufzuzwingen sich zu bewerben, am besten täglich, ohne die Kosten dafür übernehmen zu wollen. Also Pokerface aufsetzen und die Übernahme von Bewerbungskosten durch das Jobcenter verbindlich regeln.

Ich bleibe beim Pokerface. Das sollte bis zum Perfektionismus einstudiert werden. Lachen Sie ruhig darüber. Die Jobcenter können das nämlich ziemlich gut. Gerade dann, wenn sie mit der Sanktionskeule kommen, weil Sie die EGV nicht unterschreiben wollen. Fallen Sie nicht auf die Fürsorgeschiene rein. Und noch weniger auf die Zeitschiene. Jedes Jobcenter muss nämlich erst eine sogenannte Potenzialanalyse durchführen. Also, zunächst in einem persönlichen! Gespräch erfahren, wo Ihre beruflichen Stärken, Fähigkeiten und Eignungen liegen. Beharren Sie darauf. Und wenn dafür ein zweiter oder ein dritter Termin notwendig ist. Und nehmen Sie die EGV mit nach Hause. Überlegen Sie sich eigene Eingliederungsangebote, die in der EGV Platz einnehmen sollen. Eine Woche muss mindestens drin sein, um das zu überschlafen bzw. Rat einzuholen.

Pokerface aufsetzen und sich nicht in die Karten schauen lassen

Sanktion abgewendet

Nun denken Sie vielleicht, die Frau hat gut reden. Wenn ich nicht sofort unterschreibe, bekomme ich womöglich kein Geld. Das Jobcenter ist nicht Gott – auch, wenn sie sich ab und an mit ihm verwechseln - und die EGV muss verhandelbar sein. Sie müssen also Gelegenheit haben, realistische eigene Vorschläge zu unterbreiten oder einen Alternativentwurf als Verhandlungsgrundlage vorzulegen. Rechtswidrige oder unzumutbare Eingliederungsvereinbarungen müssen nicht unterzeichnet werden und dürfen deswegen auch nicht sanktioniert werden. Sollte sich im Nachhinein herausstellen, dass z.B. die Anforderungen an Bewerbungen unerfüllbar sind, sollten Sie eine Änderung der EGV verlangen, um Sanktionen zu vermeiden. Das natürlich am besten schriftlich als Antrag.

Wenn Sie sich gar nicht einigen können, haben Sie auch die Möglichkeit, eine EGV per Verwaltungsakt abzuschließen. Und hier werde ich persönlich: Mein heimlicher Favorit. Hier unterschreibt nur das Jobcenter. Auch in diesem Fall müssen der Umfang und die Eigenbemühungen konkret an Ihren Fähigkeiten benannt werden. Alles andere wäre individueller Jobcenter Unfug. 

Die Eingliederungsvereinbarung ist ein großes Thema. Der Ausschnitt in dieser Kolumne konnte jetzt nur einen kleinen Teil wiedergeben. Natürlich reicht ein Pokerface nicht aus. Deswegen bei Unklarheiten: Hilfe und Rat holen. Vor Ort bei „LINKE hilft“, bei Erwerbsloseninitiativen, Sozialverbänden oder Anwälten. Und zu zweit macht Scrabble spielen immer mehr Spaß!