Seide und Granit

Brotlose Kunst

Was braucht die Künstlerin zum Leben? Sie braucht Applaus. In diesem Jahr ging der Applaus aber nicht an die Künstlerin, sondern an die Pflegekraft. Es soll ja auch gerecht zugehen. Schließlich können nicht immer dieselben im Rampenlicht der Anerkennung stehen. Was aber, wenn das Rampenlicht von niemandem reguliert wird, weil nicht nur die Lichttechnikerin, sondern die gesamte Veranstaltungswirtschaft coronabedingt keine andere Wahl hat, als daheim zu bleiben? Da muss der Staat in Form des Finanz- und des Wirtschaftsministeriums tätig werden. Diese haben sich allerhand Maßnahmen ausdenken müssen, um quasi der kompletten Gesellschaft ein Sicherungsnetz zu spannen.

Was für eine Erleichterung, dachte ich, nachdem ich mich im an den Umstand hatte gewöhnen müssen, dass der komplette Festivalsommer, also der Arbeitszeitraum, der unsereins finanziell so ziemlich über das gesamte Jahr bringt, gestrichen wurde. Ich versuchte mehrfach die Mitarbeiterin an der Info-Hotline des entsprechenden Landesministeriums zu einer unmissverständlichen Aussage zu bewegen, um bei der Antragsstellung der Corona-Soforthilfe für Solo-Selbständige keine böses Erwachen zu riskieren.Tatsächlich konnte ich mich schon sechs Wochen später über einen Zahlungseingang auf mein, bis dahin beträchtlich geschrumpftes, Konto freuen. Nur hielt die Freude nicht lange vor, denn die sicher nicht von Applaus lebende Mitarbeiterin hatte sich über den Verwendungszweck ausgeschwiegen. Es kam wie es kommen musste: Ich überwies den jüngst erhaltenen Betrag wieder zurück, denn ich verfüge weder über ein Büro, dessen Miete ich hätte davon bezahlen dürfen, noch begleiche ich monatliche Leasingraten für einen Firmenwagen. Auch diesen Posten hätte ich mit der Corona-Soforthilfe decken können. Hingegen durfte ich von dem Geld weder Krankenkasse zahlen noch den Kühlschrank befüllen. Brotlose Kunst eben.

Auch Künstler*innen müssen essen und die Miete zahlen

Nun kann ich den Herren Scholz und Altmaier nicht vorwerfen, dass sie sich nicht mit den schmalen Budgetdetails einer in Brandenburg lebenden antifaschistischen Musikerin auskennen und ihre Maßnahmenpakete dementsprechend abstimmen. Aber es ist ja auch nicht so, als wäre ich mit diesem Beruf allein auf weiter Flur. Das Bündnis Alarmstufe Rot, das zahlreiche Initiativen und Verbände der deutschen Veranstaltungswirtschaft in der pandemischen Zeit vertritt, nennt Zahlen einer anderen Dimension: 130 Milliarden Euro Umsatz mache der sechstgrößte Wirtschaftszweig mit über einer Million Beschäftigten. Keine Größenordnung, die zu vernachlässigen wäre.

Und so klar wie es ist, dass diese ganzen Menschen nicht alle individuell unbürokratisch und passgenau finanziell vom Staat aufgefangen werden können, so klar müsste es auch sein, dass die Ministerien sich mit der Interessenvertretung dieser Steuerzahler*innen in einen Dialog begeben, um zeitnah angemessene Lösungen herbeizuführen, die dieser Branche nicht das Gefühl gibt, sie sei - sagen wir mal - egal. Dies ist aber nicht erfolgt, wie sich dem Forderungskatalog der Alarmstufe Rot entnehmen lässt.
Schade eigentlich, wo man sich doch in den so oder anders benannten Leitkulturdebatten der letzten Jahre so gern auf deutsche Kunst bezog und diese als identitätsstiftend und wertvoll romantisierte. Aber Schiller und Wagner sind schon etwas länger tot und müssen keine Miete mehr zahlen und ihren Familien eine warme Mahlzeit garantieren.

Aber auch wir Bühnen-Menschen an den Mikrophonen, die wir, ob zu Lebzeiten oder danach, Anerkennung dafür kriegen, dass wir die Gesellschaft mit unserer Kunst reflektieren, inspirieren und bereichern, sind eben auch nur die sichtbaren Wenigen. Oder wer erinnert sich am Ende dieses Beitrags, den ich im Rampenlicht dieser Kolumne schreiben darf - noch an die eingangs erwähnte Lichttechnikerin? Scholz und Altmaier jedenfalls nicht.