Über Erinnerung sprechen
- Lother Herzog Film
- Lothar Herzog Film
Die Protagonisten des Dokumentarfilms „Das Ungesagte“ sind beinahe 100 Jahre alt, die Erinnerungen an ihre frühen Jahre scheinen ihnen jedoch deutlich wie gestern. Den Ausgangspunkt des Films beschreibt Regisseurin Patricia Hector so: „Die meisten Deutschen, die damals für das NS-Regime waren, haben nach 1945 nie wieder über diese Zeit gesprochen. In fast allen deutschen Familien war das Thema tabu: das Ungesagte.“ Eine ehrliche Auseinandersetzung mit der eigenen Familiengeschichte im Hinblick auf die Auseinandersetzung damit, wie die eigene Familie ins NS-Regime involviert war, sei bis heute weitgehend eine Leerstelle in der deutschen Erinnerungskultur.
"Weil ich alles gemacht habe, was mir gesagt wurde"
Wie denken sie heute über das Leben im Nationalsozialismus? Den Einstieg gibt es unter der Kapitelüberschrift „Begeisterung“. Das damalige gesellschaftliche Klima beschreibt die 98-jährige Rosalotte Perlauer so: „Weil ich alles gemacht habe, was mir gesagt wurde, wurde ich als Führerin auserkoren.“
Es folgen Berichte von gemeinschaftlichen Erlebnissen und kollektiver Begeisterung: „Das war unendlich schön für uns“ – zum Beispiel die gemeinsamen Liederabende. Zeitzeuge Albert Emmerling erzählt von einer „traumhaft schönen“ Jugend mit viel Natur. Bei manchen Schilderungen traut man den eigenen Ohren nicht: Diktatur ist anstrengend. Bei überlangem Stehen mit zum Hitlergruß erhobenem Arm griff man damals in die Trickkiste. „Der Arm wurde auf die Schulter des Vordermanns gelegt, damit er nicht abfällt.“ Weitere Details aus dem Alltag, bei manchen traut man den eigenen Ohren nicht, folgen zu Genüge in diesem 144 Minuten langen Film.
Mit Ausbruch des Krieges schildern dann ehemalige Mitglieder der Wehrmacht Erlebnisse voller Gewalt angesichts des Überfalls auf die Sowjetunion. Sie berichten von Massenmord angesichts heranstürmender Rotarmisten. „Das war wie im Film, aber den hätte ich mir nie angesehen, das war zu brutal“, so der Zeitzeuge Rolf Hector. Im Krieg gab es schlimmste Verletzungen, viele tote Kameraden „alles prächtige Kerle“. Der ehemalige Soldat Albert Emmerling fragt sich heute, wie er tun konnte, was er getan hat: „Heute kann man sich gar nicht vorstellen, was man da getötet hat.“ In der Ardennenoffensive tötete er Mann gegen Mann, ansonsten verwendete er Maschinengewehre und andere Distanzwaffen – tausende Schuss Munition und hunderte Tote. „Wahrscheinlich war es Mord.“ Er befinde sich heute in einer „Zwickmühle, die kann ich nicht auflösen“.
Über Gräueltaten wurde nicht gesprochen
Dass nach dem Krieg über Gräueltaten nicht gesprochen wurde, wie eingangs behauptet, mag sein; im Krieg offensichtlich durchaus: So berichtet der hundertjährige Rudolf Schneller von den Erzählungen eines Verwandten, „der war bei der Polizei“: Er habe erzählt, dass die Einsatzgruppen im Osten die Juden große Gruben ausheben ließen, um sie dann dort zu erschießen. Elf Menschen erinnern sich in diesem Film, drei Frauen mit speziellem Blick auf das Leben der Frauen im Nationalsozialismus. Von anfänglicher nationaler Begeisterung bis zur Verabreichung von Zyankali-Kapseln angesichts anrückender alliierter Truppen zu Kriegsende hin. „Wir hatten Angst, von den eigenen Eltern vergiftet zu werden“, sagt Anke Gaier. Aber auch: „Ich fühle heute keine Scham. Wir haben auch büßen müssen für das Reich.“
Direkte Folgen des „Reichs“ filmt die Kamera dann stumm ab. Orte des Gedenkens – wie die Tafel im Eifelort Mayen, die an die Synagoge und ihre Gemeinde erinnert. Beides ist nicht mehr da. Den Angehörigen derer, derer dort gedacht wird, verleiht der Film ebenfalls die Stimme: Der Schriftsteller Max Karlemann schildert seine Familienmitglieder als Menschen, „die gerne Deutsche“ waren, zum Teil hochdekorierte Teilnehmer des 1. Weltkrieges. Bis man ihm deutlich machte, dass sie und er aus einer jüdischen Familie stammten: Er berichtet vom Mobbing in der Schule, angezündeten Geschäften und vom Mord an den Eltern im KZ, von denen er getrennt wurde und die er nie wiedersah. Erinnerung an damals? Die Kinder hätten nach der Vergangenheit nicht übermäßig gefragt, sagt nicht nur Max. Dafür aber die Enkelkinder. Da aber seien die Weltkriegsüberlebenden wiederum selbst scheu gewesen. Die Nachkommen sollten als „normale Kinder“ aufwachsen, ohne Ballast. Aber ist Erinnerung gleich Erinnerung? Max Karlemann sagt auch heute nicht, dass er Jude ist.
Ergänzend zum Thema finden ausgewählte Workshops etwa an Schulen statt. Im Mittelpunkt dieser Sonderveranstaltungen wird es darum gehen, spezifische Themen in Bezug auf die NS-Vergangenheit aufzuarbeiten und die Erinnerungskultur in Deutschland (Schwerpunkt auf blinden Flecken im Familiengespräch) zu thematisieren. Darüber hinaus soll auch eine kritische Medienkompetenz mit thematischem Schwerpunkt auf Zeitzeuginnen und Zeitzeugen als historische Quellen vermittelt werden.
„Das Ungesagte“. Regie: Patricia Hector und Lothar Herzog. Kinostart: 6. November 2025. Termine und Infos: https://dasungesagte.de/termine/
Trailer: https://www.youtube.com/watch?v=zed3JwjKfds