Nicht unser Kanzler
Merz, ein Kanzler der spaltet.
- Jörg Meyer
Die Wahl ist gelaufen. Dass Friedrich Merz im ersten Wahlgang durchgefallen ist und sechs Stimmen zur erforderlichen Mehrheit fehlten, war ein Novum in der Geschichte der Bundesrepublik. Im zweiten Wahlgang haben Union und SPD Merz zum Bundeskanzler gewählt. Für Die Linke war im ersten wie im zweiten Wahlgang klar: keine Stimme für den Kanzler der Konzerne und der Superreichen. Und gleich nach der Regierungsübergabe liefert der neue Bundesinnenminister einen ersten Eindruck der inhumanen Politik der neuen Regierung.
„Der Abgeordnete Friedrich Merz hat die erforderliche Mehrheit von mindestens 316 Stimmen nicht erreicht", stellte Bundestagspräsidentin Julia Klöckner nach dem ersten Wahlgang fest. Insgesamt hatten 621 der 630 Bundestagsabgeordneten im Bundestag an der geheimen Wahl am Montagmorgen teilgenommen. Im Vorfeld der Kanzlerwahl hatten Merz selbst und SPD-Chef Lars Klingbeil siegessicher betont, sie rechneten mit der Wahl im ersten Gang. In der Geschichte der Bundesrepublik war es seit 1949 auch noch nie vorgekommen, dass ein designierter Kanzler die erforderliche Mehrheit aller Abgeordneten im ersten Wahlgang nicht erzielte. Diesmal ging es schief.
„Ein Kanzler, der offenbar die eigenen Leute spaltet, wie soll der das Land vereinen“, kommentierte Linke Ko-Chef Jan van Aken gegenüber n-tv. Eine passende Einschätzung. Schließlich war es Merz, der im Januar die Kooperation mit der mittlerweile als gesichert rechtsextrem eingestuften AfD suchte und damit den seit 1945 bestehenden Konsens aufkündigte, nicht mit Faschisten gemeinsame Sache zu machen.
Gemäß Grundgesetz-Artikel 63 hatte der Bundestag nun zwei Wochen Zeit, um einen weiteren Wahlgang anzusetzen. Ohne Abweichung von der Geschäftsordnung des Bundestags wäre eine weitere Kanzlerwahl am selben Tag nicht möglich gewesen. Aber wäre es verantwortlich gewesen, aus Prinzip den zweiten Wahlgang am selben Tag zu blockieren?
Um den zweiten Wahlgang sofort möglich zu machen, musste die Geschäftsordnung des Bundestags mit einer Zweidrittelmehrheit geändert werden. Und dazu waren Stimmen von den Grünen und der Partei Die Linke nötig. Die AfD hatte zwar ihre Unterstützung signalisiert. Doch Merz hatte möglicherweise aus seinem historischen Tabubruch Ende Januar als er seine CDU einen Antrag zur Migrationspolitik zusammen mit der AfD abstimmen ließ, gelernt. Und falls nicht: Sein Koalitionspartner hat ihm signalisiert, dass er für eine Mehrheitsbildung mit der AfD nicht zur Verfügung stünde.
Die CDU trat also an die Fraktionen von Grünen und Die Linke heran, um über den vorliegenden Geschäftsordnungsantrag zu verhandeln. Auch das war ein Novum. Denn der CDU-Parteitag im Jahr 2018 hatte einen aberwitzigen Unvereinbarkeitsbeschluss verabschiedet, der jede Zusammenarbeit mit der Linken ausschloss. Aber wenn die Union den zweiten Wahlgang noch am selben Tag durchführen wollte und auf so verhindern wollte, dass die AfD ihre eigene Unfähigkeit, die Kanzlermehrheit zu organisieren, in den kommenden Tagen politisch genüsslich ausschlachtet, musste sie sich auf Die Linke zubewegen. Nachdem sich die Union ihren unsinngen Unvereinbarkeitsbeschluss praktisch aufgegeben hat und das Gespräch mit den Spitzen der Linken suchte, konnte der Antrag schließlich mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit verabschiedet werden.
Der Thüringer Bundestagsabgeordnete und ehemalige Ministerpräsident des Freistaats, Bodo Ramelow, sagte dazu in den sozialen Medien: „Es ging bei dem Geschäftsordnungsantrag darum, ob ein zweiter Wahlgang am gleichen Tag oder erst am nächsten Tag stattfinden kann.“ Es sei dabei auch um Klarheit gegangen. „Wird Merz nun Kanzler oder nicht? Wir sind schließlich nicht dagegen, dass ein Kanzler an sich gewählt wird. Dass wir gegen Merz gestimmt haben, ist selbstverständlich. Wir werden die soziale Opposition zu seinem Kabinett der Lobbyisten sein“, so Ramelow weiter.
Merz wurde mit 325 Stimmen der Abgeordneten zum Bundeskanzler gewählt. Abgeordneten der Linken hat nicht für Merz gestimmt, auch wenn sie den Geschäftsordnungsantrag mit beschlossen haben, der den zweiten Wahlgang am selben Tage ermöglichte
Nun könnte der überkommene Unvereinbarkeitsbeschluss der CDU fallen. Der neue Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) sagte gegenüber der Nachrichtenagentur „afp“, es sei richtig gewesen, „einen Anruf bei den Linken“ zu tätigen. „Da wo Zweidrittelmehrheiten gebraucht werden, wird man das auch in Zukunft tun.“
Linke Ko-Chefin Ines Schwerdtner unterstrich gegenüber der „Neue Berliner Redaktionsgesellschaft“ (NBR): "Dass demokratische Parteien miteinander reden können, sollte der Normalfall sein. Die CDU hat da mit ihrem Unvereinbarkeitsbeschluss ihre antikommunistische Parteifolklore über die Realität gestellt. Wie sie das am Ende lösen, ist nicht unser Problem. Der erste Schritt wurde am Dienstag ja gemacht. Klar ist, dass sie mit uns reden müssen, und zwar auf Augenhöhe. Klar ist auch, dass wir nur mit dabei sind, solange sie nicht parallel mit den Faschisten von der AfD verhandeln."
Die Linke hat dem Geschäftsordnungsantrag zusammen mit den anderen demokratischen Parteien beschlossen und die Kanzlerwahl ermöglicht, um die Demokratie zu schützen. Ein späterer Wahltermin hätte das hausgemachte Chaos der neuen Koalition nur verlängert und letztlich der rechtsextremen AfD am meisten genützt. Das Wahldebakel am Dienstag hat den Menschen in diesem Land keine Sicherheit und kein Vertrauen in die neue Bundesregierung gegeben. Aber es muss jetzt um ihre Nöte und Sorgen gehen, um steigende Preise, um teure Mieten, niedrige Löhne und die Angst vor einer weiteren Militarisierung der Politik.
Die Linke hat Merz nicht zum Kanzler gewählt, weil genau an diesen Punkten nichts von der neuen Bundesregierung zu erwarten ist. Alexander Dobrindt hat kurz nach seiner Ernennung zum Innenminister die Zahl der Bundespolizisten an den Grenzen verstärkt und die Grenzen für Migrant*innen und Geflüchtete noch dichter abgeriegelt, als das ohnehin schon der Fall war.
Gutes plant die neue Regierung ohnehin nicht, Sie plant ein Sammelsurium unsozialer Vorhaben. Die SPD-Linke geht bei den Ministerien leer aus. Im Ministerium für Bauen und Wohnen gibt Unternehmergeist statt Mietendeckel, im Umweltressort ein Minister ohne Erfahrung im Politikfeld statt einer kämpferischen Streiterin fürs Klima. Und nicht zuletzt eine Bundesarbeitsministerin, die das angekündigte Ende des Acht-Stunden-Tages umsetzen soll. Und in den CDU-Resorts finden sich Lobbyist*innen, Unternehmer*innen und unbekannte Gesichter.
Diese Koalition hat keine Idee, um die größten Probleme der Menschen zu lösen, den Mietenhorror und die zu hohen Preise im Supermarkt – geschweige denn die immer größere Macht der Milliardäre oder die Klimakrise zu bekämpfen. Gegen das soziale Versagen schafft die neue Regierung Sündenböcke: Geflüchtete und Bürgergeldempfänger*innen seien für das Leid der Menschen verantwortlich und nicht Milliardäre, Immobilienspekulanten und die abgehobene Politik.
Deshalb hat die Linke Friedrich Merz nicht zum Bundeskanzler gewählt. Wir sind und bleiben die starke linke Opposition im Bundestag.