Vorsicht, Neusprech!

"Die sparsamen Vier"

Die sparsamen Vier und eine sparsame Mitläuferin aus Finnland

Wenn die 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union wieder einmal streiten, dann ist das auch immer ein Kampf um die öffentlichen Meinung und die Deutungshoheit. Und so tauchte während der Verhandlungen über die Corona-Hilfen plötzlich die Selbstbeschreibung "Die sparsamen Vier" für die Niederlande, Österreich, Dänemark und Schweden auf. Eine Bezeichnung, die von Journalist*innen häufig übernommen und medial verbreitet wurde. Seriösere Printmedien setzten die "Sparsamen Vier" noch in Anführungszeichen, offenbar war ihnen die Übernahme des PR-Sprechs nicht ganz geheuer. Die Gänsefüßchen sollten wohl noch einen Rest an journalistischer Distanz signalisieren. Im Fernsehen oder Radio ging selbst diese schnell verloren. Allein sprachbewusste Journalisten, wie Stefan Fries im Deutschlandfunk, empfahlen, auf die Selbstzuschreibung zu verzichten. Aus gutem Grund.


Sparsam oder unverantwortlich?

Sparsamkeit gilt ja gemeinhin als durchaus positiv besetzte Tugend, sofern sie nicht in Geiz umschlägt. Man soll nicht mehr ausgeben, als man zur Verfügung hat. Wer kennt nicht die Metapher von der "schwäbischen Hausfrau"? Sparsamkeit, auf Ebene des Individuums durchaus sinnvoll, mündet volkswirtschaftlich allerdings schnell in eine ökonomische Abwärtsspirale. Rezession nennen es die Ökonom*innen. Übrigens sei hier nur am Rande erwähnt: Kredite sind nicht einfach "Schulden". Ihnen stehen Investitionen und damit Werte und Vermögen gegenüber.

Aber diese volkswirtschaftliche Debatte soll hier nicht weiter vertieft, der Fokus vielmehr darauf gelegt werden, dass diese vier Länder sich durch ihre gewählte Selbstbezeichnung Eigenschaften zuschreiben lassen wollten, die mit Sparsamkeit allgemein verbunden werden: sorgsamer Umgang mit Geld, Verhinderung gemeinsamer Schulden, Selbstverantwortung und politische Kontrolle über gewährte Kredite und Zuschüsse.
Schauen wir uns diese Eigenschaften in Bezug auf die Corona-Hilfen einmal genauer an: Gemeinsame Kredite ermöglichen es den von der Corona-Pandemie am stärksten betroffenen Ländern, von niedrigeren Zinsen zu profitieren. Warum? Weil Länder, die günstigere Zinskonditionen auf den Kapitalmärkten erzielen, ihren Vorteil mit den Ländern mit schlechteren Bedingungen auf den Kapitalmärkten teilen. Es ist also kein sorgloser Umgang mit Geld, gemeinsam Kredite aufzunehmen. Auf diese Weise sinkt nämlich die Gesamtzinsbelastung. Wie so oft im Leben gilt nämlich auch auf den Kapitalmärkten: Die Kraft der Vielen, hier der vielen Länder der EU, kann Dinge positiv beeinflussen. In diesem Falle: niedrigere Zinsen durchsetzen, weil alle gemeinsam bürgen.


Finanzmarktkonzerne profitieren

Faktisch waren diese vier Länder also nicht sparsam, sondern betrieben das Geschäft der Kapitalmärkte. Können Spanien oder Italien als besonders von der Pandemie betroffene Länder nicht von den niedrigeren Zinsen durch europäische Verbindlichkeiten profitieren, verdienen am Ende Banken, Versicherungen und Fonds, also die großen Finanzmarktkonzerne, weil sie gegenüber diesen Ländern einzeln höhere Zinsen durchsetzen können. Die Zinsbelastung steigt in der Summe also. Ein sparsamer Umgang mit Geld ist das nicht. Die vier handeln also nicht sparsam, sie handeln höchstens egoistisch. Und mit dieser Erkenntnis kommen wir einem passenden Begriff für die vier auch schon etwas näher.

Sich während einer weltweiten Pandemie einer gemeinsamen Lösung zu entziehen und auf die finanzielle Eigenverantwortung zu pochen, ist, wie Erkrankte nur zu behandeln, wenn sie das nötige Kleingeld vorweisen können. Für solche Verhaltensweise gibt es eine Reihe von Bezeichnungen. Ein milder, aber treffender Begriff dafür ist sicherlich: unsolidarisch. Und genauso verhielten sich "die sparsamen Vier" im Vorfeld und während der Verhandlungen in Brüssel. Deshalb ist es auch angeraten, sie in der politischen Auseinandersetzung genauso zu bezeichnen, wie es übrigens unser Fraktionsvorsitzender im Europäischen Parlament, Martin Schirdewan, im Interview mit der Tageszeitung "nd" am 20.7