Die stationäre Reha: Alle sind gleich, doch einige sind gleicher

Die medizinische Rehabilitationsmaßnahme soll dazu dienen, dem Alltag, der Hektik oder vielleicht auch der zwangsverordneten Einsamkeit – durch Erwerbslosigkeit oder Krankheit – zu entfliehen. Das arbeitende Volk bekommt nun Schnappatmung und wundert sich, warum ein:e Erwerbslose:r eine Reha benötigt. Schließlich fließen seine Steuern ja schon in das Bürgergeld. Ein weiterer Urlaub auf Staatskosten kann ja nicht angehen. Die verfettete Leber, der Speckbauch, die Raucherlunge und der schiefe Rücken können schließlich auch in Eigenregie zu Hause entfettet oder abgespeckt werden.

Der Blick in den eigenen Spiegel wird wohlweislich vermieden. Die Rückenschmerzen durch den unergonomischen Bürostuhl werden ignoriert und das anschließende Couch-Plattsitzen vor dem Fernseher als wohlverdiente Belohnung nach einem harten Arbeitstag  angesehen. Das schnelle, kohlenhydratreiche Kantinenessen: vergessen.

Reha-Bedarf: Der feine Unterschied zwischen Arm und Reich

Die Rehaklinik macht allerdings keinen Unterschied zwischen Beschäftigten und Nicht-mehr-Beschäftigten. Die Beschwerden, weshalb Menschen sie aufsuchen, ähneln sich. Jede:r Dritte leidet unter chronischen Rückenschmerzen. Sie sind der dritthäufigste Grund für Krankmeldungen und verursachen jährliche Kosten von 3,8 Milliarden Euro, so das Statistische Bundesamt im April 2024. Und so gelobt man in der Reha beim Morgenballett, beim Walken durch den Wald mit Stöcken oder bei der Wassergymnastik, diese Aktivitäten zukünftig in den Alltag einzubauen.

Und doch gibt es einen Unterschied zwischen arm und weniger arm. Allein die Liste der Dinge, die in die Reha mitzubringen sind, liest sich wie ein Roman. Die Turnschuhe für die Turnhalle dürfen selbstverständlich nur helle Sohlen haben. Wer Geld hat, kramt sein Sammelsurium von vermutlich mehreren Sneakers oder Turnschuhen desinteressiert durch. Wer wenig Geld hat, kann von Glück reden, wenn sein einziges Paar zufällig diese Vorgabe erfüllt. Ein Antrag beim Jobcenter oder beim Grundsicherungsamt auf Schuhe mit weißen Sohlen würde zu einem Lachanfall führen. Sie sind kein Mehrbedarf. Selbst günstige Sneakers liegen um die 20 Euro. Mit Grundsicherung eine Menge Geld.

Um die Fitness zu stärken, steht bei jeder Reha Sport und Gymnastik auf dem Tagesplan. Eine Sporthose und ein Sportshirt sind kaum für drei Wochen ausreichend. Auch hier entstehen zusätzliche Kosten. Für Wasserballett benötigt man Schwimmzeug. Gut, mit plausibler Erklärung kann man sich davon befreien lassen. Ist eh kalt und nass. Wer aber Wasser mag, checkt im Vorfeld auch hier nochmals seinen Schrank.

Der Frühling naht. Und die Therapeut:innen lieben den Sport zwischen Vogelgezwitscher und Geröll auf dem Weg. Jacke und feste Laufschuhe sowie eine wärmere Hose zum Wechseln wandern ebenfalls in den Koffer. Es könnte ja auch mal dreckig und nass werden. Muss möglicherweise zusätzliche Reha-Sportbekleidung besorgt werden, kommen vor Ort Kosten hinzu.

Mehrbedarf für Reha

Reha kostet. Selbst, wenn die Zuzahlung bei unter 1.415 Euro Einkommen nicht zu leisten ist, kommen weitere Kosten hinzu: TV, evtl. WLAN und die Waschmaschine. Kaffeetrinken, Postkarten schreiben oder Ausflüge in die Umgebung sparen wir uns, selbstverständlich. Das ist ja Luxus und Luxus brauchen wir nicht.

Die Fahrtkosten mit der Bahn werden bezahlt – sofern sie fährt. Die Fahrt mit einem Auto wird übernommen, sofern aus gesundheitlichen Gründen eine Fahrt mit der Bahn nicht möglich ist. Eine Erstattung pro Kilometer von 20 Cent erfolgt im Nachhinein. Geizige Krankenkassen bezahlen übrigens nur einen Koffer und dessen Transport. Die Deutsche Rentenversicherung übernimmt zwei Koffertransporte.

Es ist egal, wie man es dreht und wendet: Reha kostet Geld. Wer arm ist, muss sich eine Reha leisten können. Auch hier erleben wir eine Zwei-Klassen-Gesellschaft. Natürlich können die persönlichen Ausgaben minimiert werden und es fallen keine Ernährungskosten an, da es ja Essen vor Ort gibt. Aber nur auf dem Zimmer zu sitzen, ohne Kontakte, ist auch nicht das Ziel der Rehabilitationsmaßnahme.

Die Reha soll ja gerade auch die soziale Teilhabe und soziale Kontakte wieder stärken. Sich abzugrenzen und sich anderen nicht bei Ausflügen oder in der Cafeteria anzuschließen, wirkt somit kontraproduktiv. Aus diesem Grund plädiere ich für einen einmaligen Mehrbedarf für einen stationären Rehaaufenthalt in Höhe von 100 Euro, damit nicht gilt: „Alle sind gleich, doch einige sind gleicher.“