Linnemann vergiftet das gesellschaftliche Klima

„Wir wollen das Bürgergeld in dieser Form wieder abschaffen“, sagte CDU-Generalsekretär Linnemann dieser Tage und möchte das neue Hartz IV durch ein anderes Modell ersetzen. Linnemann führt weiter aus und fordert zudem eine Arbeitspflicht: „Wir müssen die Anreize zur Jobaufnahme erhöhen.Jeder, der arbeiten kann und Sozialleistungen bezieht, muss spätestens nach sechs Monaten einen Job annehmen, ansonsten gemeinnützig arbeiten.“

Und da sind wir wieder. In der alten sozialen wiederkehrenden (Arbeiter)-Frage: Was ist der Mensch wert? Und erneut dreht sich diese Frage um die Agenda 2010 und das damit verbundene Bürgergeld. Dabei ist diese Frage schon längst mit unserem Niedriglohnsektor, Leiharbeit, Minijobs und Midijobs, befristeten Arbeitsverhältnissen, fehlenden Tarifbindungen, Ein-Euro-Jobs und dem dritten Arbeitsmarkt als neue soziale Frage auferstanden und für viele Millionen Menschen Alltag. Arbeiter:innen und Angestellte verkaufen sich unter Wert, um ein Teil der Gesellschaft zu sein. Knapp eine Million Erwerbslose stocken ihren kargen Lohn mit Bürgergeld auf oder sie stecken in gemeinnütziger Arbeit fest – immer mit dem Wissen, dass sie bei ihrem Beschäftigungsträger keine Aussicht auf eine Festeinstellung haben, wenn ihr Arbeitsvertrag „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ ausläuft. Linnemann weiß genau, dass Millionen von Erwerbslosen in Beschäftigung sind. Wer eine Arbeitspflicht, oder anders ausgedrückt, einen Arbeitszwang fordert und den Leistungsberechtigten per se unterstellt, dass sie „nicht wirklich bedürftig sind“, sollte mindestens sechs Monate oder länger gemeinnützigen Dienst in einem Jobcenter ableisten.

Die CDU sitzt vorverurteilend auf dem Richterstuhl

Das Bürgergeld ist, neben den noch niedrigen Asylbewerberleistungen, bereits die unterste soziale Stufe an Sozialleistung und gesellschaftlicher Anerkennung. Die CDU, in Gestalt des Generalsekretärs, sitzt vorverurteilend und bei diesem Punkt ungebildet auf dem Richterstuhl und degradiert die Erwerbslosen zum reinen Kostenfaktor. Fernab von jeglichem Wissen über deren Wünsche, Bemühungen und Voraussetzungen. Dabei sind die geringe Vermittlungsquoten und die hohe Zahl der Langzeiterwerbslosen hausgemacht. Wer von „Fördern“ spricht, aber in den letzten 18 Jahren das „Fordern“ in den Vordergrund stellte, anstatt ordentliche anerkannte Qualifizierungen zu unterstützen, muss sich nicht wundern, dass Erwerbslose mit dem Stigma Hartz IV auf dem Arbeitsmarkt sehr schwer unterkommen. Den ganzen Tag puzzeln, bügeln oder eine Maßnahme auf dem Stuhl absitzen fördert nicht gerade die berufliche Qualifikation. Den Wenigen, denen eine anerkannte Qualifizierung zugesprochen wurde, findet man in der Regel auf dem ersten Arbeitsmarkt wieder. Während ich diese Kolumne schreibe, fühle ich mich an den Anfang der 2000er-Jahre zurückversetzt. Damals war es die SPD-Führung, die Front gegen den sogenannten „Rundum-Sorglos-Staat“ machte und den sie durch den „aktivierenden Sozialstaat“ ersetzen wollte. Die Agenda 2010 kam. Heute spricht Hubertus Heil (SPD) davon, dass das Bürgergeld kein bedingungsloses Grundeinkommen ist.

Aus gemeinnütziger Arbeit wird sozialversicherungspflichte Tätigkeit

Auch, wenn die CDU in der Opposition ist, vergiftet sie mit ihren neuen Aussagen das gesellschaftliche Klima. Es ist ein autoritäres Politikverständnis, in dem Macht das Privileg ist und die Ärmsten unter uns keine Stimme mehr haben und bekommen sollen.  Sie sollen sich fügen, wie bereits unter der Agenda 2010. Orientiert sich Linnemann mit der Forderung nach „gemeinnütziger Arbeit“ noch am Gemeinwohl? Das kann man bezweifeln. Gemeinnützige Arbeit bringt kaum mehr Geld in die eigene Kasse. Die Abhängigkeit vom Jobcenter bleibt. Demnach bleibt man unten arm. Ein sinnvollerer Vorschlag wäre gewesen, diese gemeinnützige Arbeit als sozialversicherungspflichtige Tätigkeiten auszubauen, um weitere Arbeitsplätze zu schaffen, die eine Unabhängigkeit vom Bürgergeld garantiert. Das scheint aber nicht gewollt zu sein. Einfacher ist es Bürgergeld-Berechtigte pauschal und erneut in die Ecke zu stellen, dass sie nicht arbeiten wollen. Und wie sagte Loriot bereits:

„Ich liebe Politiker auf Wahlplakaten. Sie sind tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen.“