Ihr oppositioneller Geist wird fehlen

Barbara Borchardt (* 26.03.1956 ✝ 11.08.2023)

Barbara Borchardt auf dem Bonner Parteitag 2019

Es gibt diesen lapidaren, etwas abgegriffenen Spruch, dass man sich immer ordentlich von Leuten verabschieden solle, weil man nicht weiß, ob man sie wieder sehen wird. Gestern erfuhr ich, dass meine Genossin Barbara Borchardt ihrer Krankheit erlegen ist.

Beim letzten Bundesausschuss war sie noch anwesend, kritisch und mahnend wie immer, sie war erst tags zuvor aus dem Krankenhaus entlassen worden. Ich dachte mir, in der Pause solltest du sie in Ruhe sprechen, aber es kam immer irgendwas dazwischen und am Abend verließ sie die „AG Zusammenwachsen“ (Generationendialog) etwas früher. Ich kann mir den Bundesausschuss beim besten Willen nicht ohne Barbara vorstellen.

Mit der ihr eigenen Ernsthaftigkeit machte sie - als einzige - ihre Vorschläge in der Strukturreformkommission transparent, mit akribischer Genauigkeit prüfte sie unter demokratiepolitischen Gesichtspunkten mögliche Reformen. Was neu sein muss, erneuern, was sich bewährt hat, behalten. Ein Satz von Barbara aus ihrer letzten Rede im Bundesausschuss, der mir hängen geblieben ist: „Wo wir nicht sind, ist die AfD.“ Ein Satz, der angesichts unseres Ressourcenschwundes und des Zwangs zu priorisieren besonders schmerzt und mit dem sie an ihrem Wirkungsort in Mecklenburg-Vorpommern aus Erfahrung spricht.

Barbara wuchs in Templin auf, wurde 18-jährig erstmals Mutter, 23-jährig Bürgermeisterin in Groß Daberkow. Sie studierte Staatswissenschaften im Fernstudium. Nach dem Mauerfall sagte man ihr, dass ihre Chancen als Juristin gering seien, wenn sie weiter in der PDS blieb. Aber sie konnte ihren Glauben an ein anderes, gerechteres System nicht verleugnen. Sie wurde erwerbslos, engagierte sich auch da als Unbeugsame in der Erwerbslosenbewegung. Später war sie langjährige Landtagsabgeordnete der PDS und der Linken in Mecklenburg-Vorpommern.

In jedem Gespräch, das wir in den Raucherpausen zwischen den Beratungen des Bundesausschusses führten, betonte sie, dass die wesentliche Entscheidung sei, ob DIE LINKE Mainstream würde oder nicht. Dieser oppositionelle Geist hat mich sehr gefesselt und beeindruckt. Ich würde nicht allem zustimmen, da ich es gut finde, wenn linke Ideen Mainstream werden, aber ich lerne für mich daraus, dass wir als Sozialist:innen immer in Opposition zu den kapitalistischen Verhältnissen stehen müssen, egal, wie schwer es gerade ist.

Unvergessen bleibt, wie Barbara standhaft dem ganzen Sturm von Gülle trotzte, als sie in Mecklenburg-Vorpommern Verfassungsrichterin wurde - als erklärte Antikapitalistin. Das Grundgesetz spricht über die Würde des Menschen, aber nicht, dass dieses Wirtschaftssystem bis in alle Ewigkeit bleiben muss, im Gegenteil. Barbara wusste das besser als alle anderen, die ihr da peinlich und uneloquent Steine in den Weg legten.

Barbara war immer ein Einspruch gegen den Kurs des Parteivorstands. Man tat gut daran, ihre Einwände zu prüfen, auch wenn man ihnen nicht folgen wollte oder konnte. Sie hatte oft mindestens einen bedenkenswerten Punkt und agierte immer vor der Prämisse, Sahra in der Partei zu halten, um eine Abspaltung ihres Umfeldes zu verhindern. Dahinter stand eine Angst, die wir beide teilten: Die einer zersplitterten und noch machtloseren Linken, ähnlich wie in Italien.
Barbara ging es immer um eine starke, geeinte Linke.

Ich werde Barbara, ihre Erfahrung, ihren politischen Weitblick und ihr breites Rückgrat vermissen. Es gab viel von ihr zu lernen und ich hoffe, dass sie uns ein bisschen von ihrem Durchhaltevermögen von da oben aus schickt.