Mit Impfpflicht auf den Herbst vorbereiten

„Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt und das Gesetz, das befreit.“ (Jean-Jaques Rousseau) 

Eine allgemeine Impfpflicht ist zur Überwindung der Corona-Pandemie wohl unumgänglich. Dass wir heute in einer Situation sind, in der eine gesetzliche Verpflichtung dafür notwendig ist, dass Menschen sich selbst und andere durch die Impfung schützen, ist allerdings auch Ergebnis einer irrlichternden und immer wieder fehlerhaften Pandemiepolitik in den letzten zwei Jahren. 

Insgesamt sind in Deutschland über zehn Millionen Personen mit dem Coronavirus infiziert gewesen und über 120.000 damit verstorben. Fachleute gehen von bis zu 10% der Genesenen aus, die langfristig unter gesundheitlichen Folgen der Erkrankung leiden, also schon jetzt bis zu eine Million Betroffene. 

Maßnahmen wie Lockdowns und Kontaktbeschränkungen greifen tief in Grundrechte ein und haben erhebliche soziale, wirtschaftliche und gesundheitliche Folgen: Schulschließungen treffen besonders Kinder und Jugendliche aus sozial benachteiligten Familien. Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht geimpft werden oder keinen ausreichenden Immunschutz aufbauen können, werden in die Selbstisolation gezwungen. 

Besuchseinschränkungen als Schutzmaßnahme für Menschen in Einrichtungen verstärken Einsamkeit, Traurigkeit und Depressionen. Patient*innen mit anderen schweren Erkrankungen haben unter der Bedingung der Pandemie nur begrenzt Zugang zu notwendigen Therapien. Und Beschäftigte im Gesundheitswesen, die schon vor der Pandemie am Limit waren, sind heute weit darüber hinaus.

In einer solchen Situation kann die Gemeinschaft von jedem Mitglied verlangen, einen zumutbaren Beitrag zur Beendigung dieser Belastungen zu leisten. Die Impfung mit einem sehr sicheren und milliardenfach erprobten Impfstoff, die in allen Altersgruppen auch einen individuellen Nutzen hat, ist ein solcher Beitrag.   Dreifacher Kontakt zum Virus durch Impfung oder Genesung bietet bei allen bekannten Varianten einen sehr guten Schutz vor schweren Verläufen und Todesfällen. Die Impfung ist auch Fremdschutz, da Geimpfte weniger ansteckend sind als Ungeimpfte. Ein hoher Anteil von Geimpften ist die beste Vorsorge, um den Übergang von der Pandemie in die Endemie mit möglichst wenig gesundheitlichen und gesellschaftlichen Schäden zu erreichen. 

Die in Deutschland zugelassenen Impfstoffe haben ein sehr gutes Nutzen-Risiko-Profil. Schwere Nebenwirkungen sind sehr selten und der gesundheitliche Vorteil der Impfung überwiegt in allen Altersgruppen das Risiko. Ab Ende Februar steht zudem ein weiterer Impfstoff zur Verfügung, der nicht auf der mRNA-Technologie beruht und für Menschen, die Bedenken gegen diese Technologie haben, eine Alternative bietet. 

Um auf die sicher erwartete Welle im nächsten Herbst besser vorbereitet zu sein, müssen wir die Impflücken bei Erwachsenen über den Sommer schließen. Wir sehen aus dem bisherigen Verlauf, dass die Impfbereitschaft immer zusammen mit den Inzidenzen ansteigt und abfällt. Mit Aufhebung aller Zugangsbeschränkungen (2G/2G+) ab dem 20. März wird ein weiterer Anreiz zum Impfen wegfallen. Und im Herbst 2022 wird es zu spät sein, alle bisher Ungeimpften noch dreimal zu impfen. 

All dies spricht für eine allgemeine Impfpflicht ab 18, die begleitet wird von einer Aufklärungs- und Beratungskampagne durch die Krankenversicherungen. Diese informieren ihre Versicherten über die Gefahren von COVID-19, den Nutzen der Impfungen sowie Beratungs- und Impfangebote. Wer dreimal geimpft oder genesen ist oder aus gesundheitlichen Gründen nicht geimpft werden kann, weist dies der Krankenkasse nach. Die anderen werden aufgefordert, sich bis Ende September durchimpfen zu lassen.

Ab ersten Oktober melden die Krankenversicherungen den zuständigen Behörden, wer den Nachweis nicht vorgelegt hat, die dann ein Bußgeldverfahren einleiten. Die Verhängung von Erzwingungshaft wird gesetzlich ausgeschlossen, so dass niemand ins Gefängnis muss, weil er oder sie das Bußgeld nicht zahlt. 

Es bleibt aber dabei, dass die Impfpflicht nicht zum Placebo werden darf, um sich weiter vor den notwendigen Verbesserungen im Gesundheitswesen zu drücken. Da reicht auch keine einmalige „Pflegeprämie“, zumal deren konkrete Ausgestaltung erst recht Ärger unter den Pflegefachkräften hervorruft. Unser Gesundheitssystem muss der Profitlogik entzogen werden. Krankenhäuser müssen sich nicht „rechnen“, sie müssen auf Dauer solide finanziert und mit genug Personal auch in den nichtärztlichen Bereichen ausgestattet sein. Dazu müssen die Fallpauschalen fallen und die Löhne steigen. Die Beschäftigten brauchen planbare Arbeitszeiten, ausreichend Zeit für die Patient*innen und Arbeitsbedingungen, die ihre Gesundheit schützen.

Global gesehen bleibt die Aufhebung der Patente eine dringende Notwendigkeit. Die Omikron-Variante hat noch einmal gezeigt, dass die Pandemie nicht bekämpft werden kann, wenn nur in den reichen Ländern eine hohe Impfquote erreicht wird.  Nur so, gerecht, nachhaltig und am Gemeinwohl orientiert, werden wir auch auf künftige Pandemien gut vorbereitet sein.