Geschätztes Vermögen: 22 Milliarden Euro

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Vom Profiteur des Holocaust zum heimatverbundenen Mäzen: Die Kühnes

Die Geschichte, wie Klaus-Michael Kühne zu seinem gigantischen Vermögen kam, hat viele Parallelen zu der anderer deutscher Milliardäre – Stichwort Nationalsozialismus –, weist aber auch bemerkenswerte Besonderheiten auf – Stichwort CIA.
 

Kühne, der Hamburger Mäzen

Der mittlerweile 84-jährige Kühne bildet vor allem insofern eine Ausnahme unter den deutschen Superreichen, als dass er nicht so öffentlichkeitsscheu ist. Gerne gibt er sich als heimatverbundener Mäzen seiner Geburtsstadt Hamburg. Mediale Aufmerksamkeit erhielt er vorwiegend für sein Engagement beim Fußballclub HSV. Aber auch die Elbphilharmonie hat er mit einer Millionensumme unterstützt. Seine Stiftung ist Hauptförderer des Hamburger Literaturfestivals. Der mit 10.000 Euro dotierte Preis trägt sogar seinen Namen: Klaus-Michael-Kühne-Preis.

Ein stiller Förderer ist Kühne nicht. Und er möchte natürlich selbst entscheiden, wem oder was sein Geld zugutekommt. Zwar habe er nichts gegen Steuern, er »hätte nur gern das Gefühl, dass sie für die richtigen Dinge ausgegeben werden«, erklärte er dem Manager-Magazin. Folgerichtig hat er seinen Wohnsitz in die Schweiz verlegt.

Auch der Hauptsitz seines Konzerns befindet sich dort. Sein Vater Alfred Kühne hatte den Firmensitz auf der Flucht vor hohen Steuern und Willy Brandts Mitbestimmungsgesetzen bereits 1969 dorthin verlegt.

Ein Gaudiplom für den »Nationalsozialistischer Musterbetrieb«

Aber woher kommt das viele Geld? Klaus-Michael Kühne ist Erbe des Logistik- und Gütertransportunternehmens Kühne+Nagel, das sein Großvater 1890 mitgegründet hatte. Als der Senior 1932 starb, erbten seine Söhne Alfred und Werner den Betrieb.

Doch es gab noch einen anderen Teilhaber. Der jüdische Kaufmann Adolf Maass war 1910 in den Konzern eingestiegen. Im April 1933, keine drei Monate nach der Machtergreifung der Nazis, trennten sich die Wege nach »freundschaftlicher Abstimmung«, wie es in der Festschrift zum 125-jährigen Firmenjubiläum heißt.
Maass verließ den Konzern, wurde 1938 verhaftet und 1945 in Auschwitz ermordet.

Alfred und Werner Kühne waren nun alleinige Eigentümer und traten bereits am 1. Mai 1933 der NSDAP bei. Ihr Unternehmen erhielt 1937 als »Nationalsozialistischer Musterbetrieb« ein Gaudiplom.

Als Nazi-Deutschland ab 1939 ein Land nach dem anderen überfiel, war die Zeit reif für Expansion. In den Fußstapfen der Wehrmacht konnte sich der Konzern in Europa ausbreiten. Die Regimetreue der Kühne-Brüder wurde belohnt, indem sie mit Aufträgen für den Abtransport der Wohnungseinrichtungen deportierter Jüdinnen und Juden in Frankreich und den Benelux-Ländern bedacht wurden.

Etwa 70.000 Wohnungen wurden im Rahmen der sogenannten M-Aktion von den Nazis leer geräumt und das Inventar nach Deutschland gebracht. Kühne+Nagel hatte quasi das Monopol auf diese gleichermaßen lukrativen wie widerwärtigen Staatsaufträge.

Nach dem Krieg hilft die CIA

Nach dem Krieg mussten sich die Brüder einer Untersuchung zu ihrer Rolle im Faschismus stellen. Zwar wurden sie von US-Stellen nur als »Mitläufer« eingestuft, aber auch nicht freigesprochen. Damit hätte keiner der beiden die international tätige Spedition weiter führen dürfen.

Doch man hatte mächtige Freunde und fand einen Weg. So findet sich in den Entnazifizierungsakten ein Vermerk über eine Intervention der CIA, die als »top secret« klassifiziert wurde. Das Schreiben enthält die Anordnung, dass Alfred und Werner Kühne zu entnazifizieren seien. Der Grund für diese Intervention: Kühne+Nagel wurde zu einem der wichtigsten Tarnunternehmen der neu aufgebauten »Organisation Gehlen«, dem Vorläufer des deutschen Auslandsgeheimdiensts BND. Die Spione nutzten im Kampf gegen die »bolschewistischen Gefahr« Büroräume des Konzerns und tarnten sich als Mitarbeiter:innen der Speditionsfirma. Im Gegenzug durften die Brüder Kühne weitermachen, als wäre nichts geschehen.

Alfred Kühne erhielt 1960 das Große Bundesverdienstkreuz für seine »Verdienste um den Wiederaufbau«. Anfang der 1960er stieg sein Sohn Klaus-Michael Kühne mit 26 Jahren in den Konzern ein und übernahm nach dem Tod des Vaters 1981 den Betrieb als Alleinerbe.

Der mittlerweile greise Junior trieb die Internationalisierung des Konzerns voran, kaufte andere Firmen auf und bewies dabei mal mehr und mal weniger ein gutes Händchen. Schließlich brachte er den Konzern an die Börse, ohne freilich seine Mehrheitsbeteiligung aufzugeben – ein Schritt, der sich angesichts schwindelerregender Kurssteigerungen auf dem Aktienmarkt besonders in den letzten Jahren bezahlt machte.

Das Unternehmen ist heute in über hundert Ländern tätig und betreibt 1.000 Betriebsstätten mit insgesamt rund 7 Mio. Quadratmetern Lagerfläche.
Etwa 80.000 Beschäftigte erwirtschaften den Reichtum, der Klaus-Michael Kühne zu einem der vermögendsten Deutschen macht. Da er keine Kinder hat, wird seine Stiftung einmal alles erben.

"Wir wollen uns möglichst reinrassig deutsch verhalten

Vielleicht findet dann auch bei Kühne+Nagel endlich eine Aufarbeitung der finsteren Konzerngeschichte statt. Klaus-Michael Kühne meinte dazu nur, er habe kein Verständnis dafür, dass das Thema »immer wieder hochgekocht wird«.
Es ist auch lästig, daran erinnert zu werden, dass die ehrbare Unternehmerfamilie ihren Aufstieg in erheblichem Maße Deportation und Massenmord verdankt.

Dass der Apfel nicht weit vom Stamm fällt, wurde auch auf einer Podiumsdiskussion in Berlin im Jahr 2008 deutlich, als Kühne in Bezug auf Fremdbeteiligungen an seinem Konzern der Satz rausrutschte: "Wir wollen uns möglichst reinrassig deutsch verhalten".

Auch diese Familiengeschichte beweist wieder einmal eindrucksvoll: "erarbeitet" ist am Reichtum recht wenig - er ist im besten Fall ererbt, aber zu großen Teilen erstohlen.