Koalitionsverhandlungen

Kosmetisches Bürgergeld

Raider heißt Twix, aus Facebook wird Meta und aus Hartz IV das Bürgergeld.

Zwei Jahre ist es her, dass Andrea Nahles (SPD) davon sprach: »Wir werden Hartz IV hinter uns lassen.« Aus den zwei Jahren wurde eine »Sozialstaatsreform 2025« und aus dieser ein Wahlprogramm, aus dem nun eine Arbeitsgruppe entstand, die im Rahmen der Ampel-Koalitionsverhandlungen das neue »Bürgergeld« verhandelt. Aus Nahles wurde Saskia Esken, die in einem taz-Interview davon spricht, dass das »Bürgergeld« »auskömmlich« sein muss. Eine Summe nennt sie dabei nicht. Allerdings pocht sie auf das Lohnabstandsgebot: »Wer Vollzeit arbeitet, muss mehr in der Tasche haben als Bezieher:innen einer Lohnersatzleistung. Wenn die Löhne steigen, kann das entsprechend höher sein.« Selbstverständlich lassen sich die Arbeitsgruppen nicht in die Karten schauen. Und die Debatte um das Bürgergeld und allgemein die Diskussionen um die Sozialleistungen ist ein heißes Eisen. Kostete die Agenda 2010 einst der SPD viele Wähler:innenstimmen, stellt sie nun vermutlich den Kanzler.

Kindergrundsicherung lenkt von der Armut der Eltern ab

Rückblick Wahlkampf: Sozialleistungen und die Folgen daraus waren nicht wirklich Thema. Irgendwie war es ein Schmuddel-Thema. Im Fokus stand die Kindergrundsicherung. Sind die Kinder aus der Armut heraus, gibt es demnach auch keine armen Eltern mehr. Dass die Kindergrundsicherung ein längst überfälliger Schritt ist, und ich hoffe sehr, dass sie im Tausch gegen andere Ampelpunkte nicht zu viel einbüßen muss, dürfte jedem klar sein. Allerdings sollen die Kinder und Jugendlichen weiterhin im Jobcenter bleiben und dort »betreut« werden. So bleiben sie in der Bevormundung der Jobcenter und es ist bestenfalls eine Notlösung, solange sich deren Eltern nicht aus Hartz IV lösen können. Aber wo blieben die Kinderlosen? Die Kanzlerkandidatin und Kanzlerkandidaten konnten sich darauf verlassen, dass der Begriff »Bürgergeld« zumeist medial nicht weiter hinterfragt wird. Und damit es auch nicht erst soweit kommt, erwähnt man ihn am besten nur am Rande oder nur wenn man gefragt wird. Und irgendwie klingt Bürgergeld ja auch ganz nett. Geld für die Bürger:innen. Und das Geld ist das eine.

Sanktionen im neuen Gewand

Auf die Frage, ob die Sanktionen bei Hartz IV wegmüssen, spricht Esken in der taz von »bessere Teilhabe«, »Verantwortung«, »wertschätzende Kultur in den Jobcentern« und von einer »Entbürokratisierung«. Ihre Schulung in Nicht-Antworten war auf jeden Fall schon mal erfolgreich. Oder abgekürzt à la SPD-Wahlprogramm: »Sinnwidrige und unwürdige Sanktionen schaffen wir ab.« Ergo: Sanktionen bleiben und die Jobcenter müssen nur noch zwischen sinnwidrigen und unwürdigen Sanktionen unterscheiden. Das Sondierungspapier der möglichen Ampelkoalition gibt dazu nicht viel her. Zwar spricht es von einer Mitwirkungspflicht und wie sie diese entbürokratisieren können. Aber das kann vieles sein: Dokumente vorlegen, Bewerbungen schreiben oder Termine im Jobcenter einhalten. Wer dieses nicht erfüllt, dem kann das Arbeitslosengeld II ganz (mangelnde Mitwirkung zum Beispiel bei fehlenden Dokumenten) oder bis max. 30 Prozent (klassische Sanktion bei fehlenden Bewerbungen) einbehalten werden. Wir drehen uns also weiter im Kreis und um nichtssagende Begriffe wie »auskömmlich«, oder »unwürdig«. DIE LINKE und Sozialverbände haben errechnet, dass ein sanktionsfreies Existenzminimum mindestens 600 bis 658 Euro betragen muss. Kommendes Jahr soll der Hartz-IV-Regelsatz für einen Erwachsenen um drei Euro auf 449 Euro ansteigen. Bis »auskömmlich« ist es somit noch ein weiter Weg.

Armutsfeste Grundsicherung

»Wir werden Hartz IV hinter uns lassen«, hat von Beginn an die Garantie gegeben, dass sich zwar der Name ändert, aber nicht die grundlegenden Rahmenbedingungen dahinter. Die Verpackung bleibt gleich. Und ob Raider nun Twix heißt oder aus Facebook Meta wird, Respekt und Würde müssen sich auch in der Ampelkoalition erst hart erarbeitet werden. Und solange ist das neue »Bürgergeld« eine kosmetische Korrektur und eine Mogelpackung der Ampelkoalition. Wenn es die Ampelkoalition mit der sozialen Gerechtigkeit ernst meint, muss die neue Grundsicherung im Unterschied zu Hartz IV armutsfest, sanktionsfrei und bedarfsdeckend sein. Dazu gehört auch die Übernahme der tatsächlichen Energiekosten, wie Strom- und Heizkosten, die bisher nur im angemessenen Rahmen übernommen werden oder eklatant darunter liegen, wie bei den Stromkosten. Armutsfest bedeutet, dass der Betrag über dem von der EU gesetztem Standard liegenden Armutsgrenze liegt. Das sind für eine alleinstehende Person 1.074 Euro, bei Alleinerziehenden mit einem Kind unter 14 Jahren 1.396 Euro, bei einem Paar ohne Kinder 1.611 Euro und bei einem Paar mit zwei Kinder ab 14 Jahren 2.685 Euro. Bedarfsdeckend bedeutet, dass Sonderbedarfe, wie erhöhte Schulkosten, Bedarfe bei chronischen Erkrankungen oder ähnliches stärker und individueller berücksichtigt werden müssen.