Was heißt es, arm zu sein?

Arm sein heißt auch, immer wieder Anträge ausfüllen zu müssen.

Der Bundesrat hat am Freitag einer Erhöhung der Hartz-IV-Sätze zugestimmt. Allerdings sollen die Sätze ab nächstem Jahr nur um 14 Euro steigen. Alleinstehende erhalten dann 446 Euro pro Monat. Das ist immer noch zu wenig für ein menschenwürdiges Leben. Es bleibt dabei: Hartz IV ist Armut per Gesetz Doch was bedeutet es eigentlich, arm zu sein in einem reichen Land? „Wär ich nicht arm, wärst du nicht reich“: Wer kennt dieses Zitat nicht? Nur, wie definieren wir eigentlich Armut. Wo sehen wir uns selbst auf der Skala zwischen Arm und Reich? Bei der Definition von Armut wird gern die absolute Armut herangezogen, um den Armen in Deutschland zu vermitteln, dass es ihnen doch gut geht.

Es fällt im Zusammenhang mit der absoluten Armut immer wieder der Satz: „Du hast doch wenigstens zu essen und ein Dach über dem Kopf“. Das ist richtig, aber bemessen wir den Reichtum auch nach diesen mittelalterlichen Kriterien? Würden wir jemand, der eine eigene Hütte bewohnt, zwei Pferde hat und einen Karren als reich bezeichnen? Doch wohl eher nicht. Warum also halten viele, und auch viele der Armen, an einem mittelalterlichen Armutsbegriff fest, jedoch beim Begriff des Reichtums nicht?

Viele schämen sich für ihre Armut

Die einzige Erklärung, die mir dazu einfällt: Alle wären gerne reich. Zudem schämen sich viele ihrer Armut und versuchen, sie zu relativieren, damit sie zumindest noch jemanden haben, über dem sie stehen können. Dies ist zwar keine schöne Einsicht, jedoch wahrscheinlich eine sehr zutreffende. Viele, die arm sind, wollen sich nicht als arm betrachten. Mehr als die Hälfte der Menschen mit einem Einkommen, das unter der Armutsgefährdungsgrenze liegt, gibt bei Umfragen an, nur „etwas ärmer“ zu sein. Ein Viertel dieser Menschen sagt von sich, weder arm noch reich zu sein. Knapp 8 Prozent fühlen sich sogar als „etwas reicher“. Nur rund 13 Prozent schätzen ihre Situation richtig ein.

Bei der Einschätzung, was Reichtum ist, sieht es nicht besser aus: Für knapp ein Drittel der Befragten beginnt Reichtum bereits bei einem Nettomonatseinkommen zwischen 2000 und 5000 Euro. Weitere 25 Prozent denken, dass man mit einem Nettomonatseinkommen von 5000 bis 10 000 Euro reich ist. Über solche „Einkommen“ lachen sich die wirklich Reichen natürlich schlapp. Allein die Geschwister Quandt/Klatten konnten in diesem Jahr 769 Millionen Euro an Dividenden einstreichen. Das macht netto ca. 48 Millionen Euro im Monat.

Was heißt es, arm zu sein?

In erster Linie das Verzichten auf Selbstverständlichkeiten. Eine Arme setzt sich nicht einfach mal in ein Café. Ein Armer geht nicht mal eben zum Friseur. Das sind Ausgaben, die geplant werden müssen, da sich die ganze Existenz nur noch darauf reduziert, mit dem Geld den Monat zu überstehen. Es bedeutet aber auch, dass man seinen Kindern fast jeden Wunsch abschlagen muss. Gesellschaftliche Teilhabe? Fehlanzeige! Spätestens nach der dritten Einladung von Freunden, die sie nicht sofort zurückgezogen haben, nimmt man diese nicht mehr an, weil man sich schämt, nichts mitbringen zu können oder die Freunde nicht einladen zu können.

Und was hat das Ganze mit Hartz IV zu tun?

Eigentlich alles. Wer vom Regelsatz leben muss, liegt deutlich unter 60 Prozent des Äquivalenzeinkommens und ist somit per Definition arm. Somit ist Hartz-IV-Armut per Gesetz! Viele schämen sich ihrer Armut und sehen sich als Verlierer einer Gesellschaft, die diese Armut bewusst produziert und provoziert, um einigen wenigen Reichtum zu bescheren, von dem die Mehrheit der Bevölkerung ausgeschlossen ist. Darin wird die nun beschlossene Regelsatzerhöhung nichts ändern.