Links ist die Hoffnung
Geht der Traum doch noch in Erfüllung, dass wir eine Gesellschaft unter Gleichen erleben? Obgleich das in Anbetracht der düsteren Nachrichten, der Krisen und Kriege, der heftigen Ungerechtigkeiten im Land und dem weltweit spürbaren Rechtsruck weit weg erscheint, ist die richtige Antwort: Es liegt vor allem an uns.
Wir haben unseren Erfolg vom Anfang des Jahres noch nicht gänzlich begriffen. Es ist an der Zeit, ihn ernsthaft anzunehmen – mitsamt der Verantwortung und der Aufgaben, die daraus entstehen. Bislang galten wir als die Partei, die Missstände benennt und aufdeckt, die den Finger in die Wunde legt. Das bleibt wichtig, genügt aber nicht mehr. Denn viele Menschen setzen ihre Hoffnung inzwischen ganz auf uns: darauf, dass wir den Faschismus aufhalten und eine bessere, solidarische Zukunft möglich machen. Das ist mehr als den Finger in die Wunde legen. Das ist größer. Enttäuschen wir die Menschen nicht.
Wir müssen einen Weg eröffnen, der über den alten Sozialstaat hinausweist
Wir sehen gleichzeitig den tiefen, schwarz-braunen Abgrund, in das das Land fallen könnte – und der gegenwärtig näherliegt als ein sozialistischer Erfolg. Die Welt steht bereits an einigen Orten vor den Abgründen, in Deutschland machen sich AfD und einige in der Union langsam bereit: Man kann den Moder bereits riechen. Dabei helfen die da oben: Wie in den USA orientieren sich auch hierzulande immer mehr der Milliardäre weiter nach rechts, ran an die restriktivste, autoritärste Form des Klassenkampfs von oben.
Wenn wir unsere neue Verantwortung ernst nehmen, müssen wir 2026 Schritte gehen, die über das Verhindern von Schwarz-Braun hinausgehen: Wir müssen die Grundlage für eine Gesellschaft der Solidarität legen.
Die Linke ist der Hort der Veränderung, die Grundlage einer sozialistischen Wende. Wir müssen uns bewusst werden, wie hart die Auseinandersetzung wird: Gegen die Faschisten sowieso und gegen das Kippen der Anderen nach rechts. Aber die eigentliche Schwierigkeit besteht darin, einen anderen, neuen Weg zu beschreiten. Wir verteidigen nicht einfach das Bestehende, da das nicht genügt. Unsere Aufgabe ist es, einen neuen Weg zu eröffnen, der über den alten Sozialstaat hinausweist. Und weil die gesellschaftlichen Bedingungen in den Regionen sehr unterschiedlich sind, brauchen wir unterschiedliche Taktiken für unterschiedliche Realitäten.
Die Partei muss Masse organisieren
Ein zentrales Problem ist, dass es auf linker Seite gegenwärtig so gut wie keine Bewegungen gibt. Abgesehen von den Kämpfen gegen Rechts, die sich aber nicht klar gegen die kippende Mitte positionierten, und den großen Demonstrationen gegen den Genozid in Gaza, fehlt es an breiten, dauerhaften Massenmobilisierungen. Es fehlt an Protesten, die eine kontinuierliche, landesweite Mobilisierung gegen die Regierung und ihr Handeln ermöglichen.
Auch deswegen schart sich vieles – auch viel Hoffnung – um uns als Partei. Wir können mit der Abwesenheit der Bewegungen nicht zufrieden sein und müssen versuchen, Hebel zu finden, um Kritik wieder vermehrt auf die Straße zu bringen. Gleichzeitig bedeutet die aktuelle Lage aber auch: Wir müssen weiterhin wachsen und zu einer echten Massenpartei werden. Viele sind zu uns gekommen und haben zur Wahl unserer Partei aufgerufen, obwohl sie sich bislang eher distanziert zu Parteienpolitik verhielten. Unsere Partei und unsere Strukturen, unsere Kommunikations- und Bildungsapparate sind darauf nur bedingt vorbereitet.
Daher wird eine zentrale Aufgabe auch 2026 sein, die Basis der Partei zu festigen und sie so zu gestalten, dass sie groß sein kann. Dazu bedarf es der Bildungsarbeit in der – rechtlich möglichen – gemeinsamen Arbeit mit den linken Stiftungen. Dazu gehört eine Kommunikation, die medial unabhängig sowohl von Medienhäusern wie Social Media-Plattformen funktionieren muss. Und dazu gehören vor allem Angebote für ein niedrigschwelliges Mitmachen: Wahlen und die Mieten-Kampagne bieten konkrete Anknüpfungspunkte zur aktiven Beteiligung. Niedrigschwelliges gemeinsames Arbeiten ist die beste Voraussetzung für ein größeres gemeinsames Ganzes.
Unsere inhaltliche Debatte muss sich erweitern, weil wir vorbereitet sein müssen
Die Linke ist die einzige Partei, die sich gegen den Faschismus stellt und sich nicht hilflos an bisher Bestehendes klammert. Dafür braucht es aber den utopischen Überschuss, den zu benennen auch uns manchmal schwerfällt. Wir verfallen dazu, am alten Sozialstaat festzuhalten, wie man ihn vor allem in der alten BRD kannte. Das reicht aus mehreren Gründen nicht aus. Erstens, weil der alte Sozialstaat zu wenig ist für etwas, für das sich gegen eine Übermacht zu kämpfen lohnt. Zweitens, weil der Sozialstaat der Vergangenheit von der neoliberalen Politik und den Konzernen aufgekündigt wurde: Der Sozialstaat war ein Ergebnis von Kämpfen, aber in Teilen auch ein Ergebnis sozialpartnerschaftlicher Einigung. In die Sozialpartnerschaft gibt es kein Zurück mehr, weil sich das Kapital darauf nicht mehr einlässt. Wir werden jede Errungenschaft gegen sie durchsetzen müssen und werden dabei mehr gegen sie durchsetzen müssen.
Wir müssen größer denken, weil das Vergangene nicht mehr wird. Ein Beispiel: Es gibt eine Abwanderung bestimmter Industrien. Wir werden sie nicht halten, wenn wir dem neoliberalen Duktus der Verringerung der Lohnstückkosten folgen, aber auch dann nicht, wenn die berechtigten Forderungen der Beschäftigten nach mehr Lohn und weniger Arbeitszeit durchgesetzt werden. Daher müssen wir weitergehen, uns Schritte überlegen, die die Produktionsstandorte in die Hände der Beschäftigten gibt, Vergesellschaftungsprozesse von Betrieben einleiten, die für die Daseinsvorsorge notwendig sind, und weitere Zweige in den Blick nehmen, wo dies notwendig sein könnte. Unsere inhaltliche Debatte muss sich dahingehend erweitern, weil wir vorbereitet sein müssen, wenn sich Handlungsoptionen öffnen.
Inhaltlich-strategische Ausrichtung im Hinblick auf die anderen Parteien
Wir sind wir schon der Orientierungspunkt für alle, die hoffen. Wenn dabei andere – SPD, Grüne – mitmachen wollen beim Projekt Land der Solidarität, dann gern. Aber wir warten nicht darauf, ob sie Teil einer progressiven Mehrheit sein möchten oder sich weiter denen da oben andienen und der modernden Union die Stange halten. Es gibt keinen inhaltlichen Bereich, den SPD, aber auch Grüne ‚besser‘ könnten. Im besten Fall gehen sie den halben Weg, wenn wir den ganzen gehen. Im schlechteren Fall droht – wieder einmal – der Verrat. Das heißt nicht, sie von Vornherein abzulehnen, wegzudrücken. Das heißt aber, sich nicht an ihnen zu orientieren, sich nicht auf sie zu verlassen: Sie werden sich im Zweifel aber an uns orientieren.
Union und AfD drohen mehr und mehr, gemeinsame Sache zu machen: Wir müssen versuchen, das zu verhindern. Wir müssen versuchen, die Union auf dem Weg in den Abgrund aufzuhalten, aber gleichzeitig deutlich machen, dass die Union eben genau dorthin gleitet. Wie, versuche ich weiter unten deutlich zu machen. In der Verschränkung sind sich beide Parteien in diesem Jahr nähergekommen: Die Union hat die Brandmauer eingerissen. Die AfD hat eine weitere Maske endgültig abgerissen. Sie hatte mit dem mit dem kleinen Mann zwar niemals etwas zu tun, hatte schon immer nur Verachtung übrig für uns da unten. Aber nun ist der personifizierte Klassenkampf von oben deutlich geworden – mit Musk bei der AfD, Weidel bei Milch-Müller, Milliardäre der Tech-Industrie bei Trump oder Medienmogule in rechten Netzwerken: Die AfD wird die Kleinen vernichten, um den Großen zu helfen. Das ist widerlich, aber es klärt die Verhältnisse. Wir wenden uns dagegen – aber müssen dies auf drei unterschiedlichen Weisen im nächsten Jahr, je nach Region und gesellschaftlichem Zustand, tun.
Davor sei folgender Blick in die Glaskugel erlaubt: Auch wenn nicht davon auszugehen ist, dass die Koalition bis 2029 hält, sollten wir in dieser Legislatur stärkste Kraft links der Union werden. Wenn die Brandmauer bei der nächsten Wahl nicht endgültig fällt, wäre es gut möglich, dass SPD und Grünen dann noch einmal mit der Union regieren. In diese Zeit fällt die zentrale Auseinandersetzung, in der wir stärker werden müssen als die faschistische AfD. Es bleibt also nicht viel Zeit.
Im Westen: Verankern, Vertiefen, Helfen
Die Wahlen in Kommunen und Ländern sind die Grundlage für eine wirkliche Verbreiterung in die Gesellschaft hinein. Hilfsstrukturen, regelmäßiges Aufsuchen insbesondere prekärer Viertel, Anlaufstellen für sich politisierende Jugendliche: Das ist unsere Aufgabe für die nächsten Monate überall, aber insbesondere in wahlkämpfenden Bundesländern im Westen. Inhaltlich gilt es, neben der Fokussierung auf die Mietenkampagne unsere politische Grundlage zu stärken, dass eine Umverteilung nötig ist für eine Daseinsvorsorge im Sinne der Menschen – und dass wir Schutzschild sind gegen die Tritte nach unten, im Kampf gegen Rechts.
Strukturell bedeutet das, dass alle der unteren Klasse wissen müssen, wo sie sich hinwenden können, wenn sie mit uns in Kontakt treten wollen. Basisstrukturen an jedem größeren Ort, Anlaufpunkte, Räume, wenn möglich. Wir sind der Fixpunkt, an denen sich Menschen neben politischer Arbeit auch persönlich sicher, ja, an dem sie sich wohl fühlen können. Menschen müssen sowohl tätig werden können, als auch Hilfe finden, wenn die Gesellschaft härter wird.
Berlin – und die großen Städte insbesondere im Osten – werden zu Pfeilern der Solidarität
Was die Partei als Netz überall ist und sein sollte, werden an einigen Orten ganze Städte: nach New York kommt Berlin. Als wir in der Hauptstadt bei der Bundestagswahl stärkste Kraft wurden, schrieb eine Freundin, wie sehr sie sich freue, dass Berlin stabil ist. Das Schöne: So ganz sicher war ich mir bis dahin gar nicht, dass sie sich als Teil unserer Kraft sah. Aber angesichts der faschistoiden Tendenzen im übrigen Land gab dieser rote Punkt den Menschen Hoffnung und Sicherheit, und zwar auch denjenigen, die den Sozialismus nicht mit der Muttermilch aufgesogen haben. Eine starke Linke gibt vielen Menschen diese Sicherheit.
Ich glaube, neben den wichtigen Punkten, die der Landesverband erarbeiten wird und für die wir als Partei alle kämpfen werden, ist das unser entscheidendes Bild für die Zukunft. Wir setzen den No Go-Areas der Faschisten Orte der Unterstützung und Solidarität entgegen: Das kann Berlin werden und mehr und mehr auch die größeren Städte insbesondere im Osten des Landes, in denen wir Oberbürgermeister*innen, in denen wir Mehrheiten stellen. Dass, was im ersten Schritt die Partei als Anlaufstelle bieten soll, das soll im zweiten Schritt gesamtgesellschaftlich funktionieren. Wir schaffen die politische Grundlage dafür, dass die Gesellschaft solidarisch und miteinander funktioniert. Das ist politischer Schutz, das ist ein sicherer Raum. Und es strahlt über sich hinaus: Wie New York seine Strahlkraft in die ganze Welt sendet, wirkt ein rotes Berlin in das Land hinein.
Und ansonsten? Holen wir uns den Raum Stück für Stück zurück
In weiteren Ländern droht die AfD im nächsten Jahr stärkste Partei zu werden, in Sachsen-Anhalt sogar die schwarz-braune Haselnuss. Viele sind ratlos, was dagegen zu tun ist. Dabei ist die Aufgabe zwar schwer, aber nicht unmöglich. Bislang galt es, alles dafür zu tun, die Faschisten von der Macht fernzuhalten: Denn die geben sie so leicht nicht mehr her. Daran hat sich nicht viel geändert – nur hat sich die Union geändert. Die Menschen, die in den vergangenen Jahren die Union gewählt haben, um die AfD zu verhindern, denen muss klar werden: Dafür steht die Union nicht mehr. Union und AfD sind nähergerückt. Für ein Treten nach unten stehen sie im Zweifel zusammen.
Darauf müssen wir zuspitzen. Die Union wird sich 2026 in Sachsen-Anhalt, eventuell in Mecklenburg-Vorpommern entscheiden, auf welcher Seite sie steht. Wir als Linke werden die inhaltlichen Schritte der Union weg von der Faschisierung stützen. Jede Zusammenarbeit mit der AfD oder inhaltliche Schritte hin zur AfD – auch ohne die AfD – werden auf unseren erbitterten Widerstand treffen.
Aber wichtiger als die Diskussion um die Union ist die langfristige Rückeroberung brauner Flecken des Landes. Wir müssen im Osten den Kampf um jeden Platz, jeden Ort führen, in denen aufrechte Linke und Demokrat*innen stabil stehen. Unser Weg muss ein Markieren, ein Halten und ein Ausbauen roter Punkte im Osten sein. Wir sind der antifaschistische Fixpunkt. An uns orientieren sich diejenigen, die den Faschismus nicht wollen. Wir erkämpfen uns Stück für Stück Orte zurück, wo wir einmal stärker waren. Und dafür werden wir im Herbst neben Berlin insbesondere nach Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt gehen.
Dies ist ein langer Weg heftigster Auseinandersetzungen, er endet nicht mit den Wahlen, aber er ist zentral.
Wenn wir im Westen die Verankerung ausweiten, in den Städten solidarische Leuchttürme schaffen und im Osten Schritt für Schritt gesellschaftlichen Raum zurückerobern, dann kann es gelingen, die schwarz-braune Gefahr zurückzudrängen und zugleich die Grundlagen für eine wirklich solidarische Gesellschaft zu legen. Dafür müssen wir unsere gesamte Mitgliedschaft aktivieren, ausbilden und mitnehmen. Wir müssen präsent sein – auf der Straße, in den Vierteln, in den Kommunen, in den Parlamenten. Es wird gelingen, wenn wir begreifen, was wir bereits sind: Die Hoffnung von Millionen, die bereit sind, mit uns für eine solidarische Zukunft zu kämpfen.