Pro - BGE

Fragen über Fragen - Was kann ein emanzipatorisches BGE?

Stellen wir sie! Die Frage nach dem Bedingungslosen Grundeinkommen (BGE)! Wir sind glücklich, dass es unserer BAG Grundeinkommen mittlerweile gelungen ist, den ersten basisdemokratisch erwirkten Mitgliederentscheid in unserer Parteigeschichte auf den Weg zu bringen. Es ist keine Frage der Tagespolitik, sondern eine Frage, die den Arbeitsbegriff, die Frage nach der Umverteilung und Verhandlungsmacht auf dem Arbeitsmarkt beinhaltet.

Zu lange blieben derlei Fragen hinter dem alltäglichen Hickhack des linken Diskurses verborgen, obwohl sie linke Bewegung von jeher definiert und grundlegend beeinflusst haben.

Leider wird bei kaum einer Debatte so oft am Thema vorbeigeredet wie beim BGE. Deswegen geben wir euch hier eine Hilfestellung, wonach bei der Kritik Ausschau zu halten ist:

I.  Die Fallen der BGE-Kritik

a) Um welches BGE geht es?

Es gibt verschiedene BGE-Modelle, darunter auch neoliberale – wie auch bei der Rente oder dem Mindestlohn. Die Kritik an Modellen ohne ergänzende Sozialleistungen teilen wir. Unser Modell, das emanzipatorische Bedingungslose Grundeinkommen, zeichnet Folgendes aus:

  • Es baut den Sozialstaat nicht ab: Die Sozialversicherungen, einschließlich der Erwerbslosenversicherung, werden faktisch ausgebaut.
  • Die Refinanzierung zielt auf ökologische Anreize und Umverteilung ab.[1]
  • Es ist existenzsichernd: 1180 € für Erwachsene, 590 € für Kinder, viele Sonderbedarfe (für Schwangere, Menschen mit Behinderungen und ein ausgebautes Wohngeld) bleiben erhalten.
  • Unser Konzept gibt Anknüpfungspunkte zu anderen linken Themen, wie der Frage nach höheren Löhnen, Geschlechtergerechtigkeit, der Bildung für alle und dem sozialökologischen Umbau.

b) Wie wird zum Thema geredet?

Mit dem BGE kommt nicht automatisch der Sozialismus, nicht der Weltfrieden und es ersetzt keine linken Forderungen nach guter Bildung, guter Arbeit und guter Rente. Das stimmt: Es ist ein sozialpolitisches Instrument, das diese Prozesse erleichtern kann. Darum geht‘s.

c) Gelten für das BGE andere Regeln?

Es heißt: Reiche würden bei einem BGE nicht mitmachen und Steuern hinterziehen, die Forderungen könnten zudem den Sozialstaat schwächen. Nun, es hieß auch: Der Mindestlohn schade den Tariflöhnen, zudem würden Millionen arbeitslos. Es gilt: Nahezu alle linken Forderungen, wie bspw. auch die Vermögenssteuer, werden vom neoliberalen Mainstream abgelehnt – falsch sind sie deshalb nicht. Außerdem ist es bereits heute der Fall, dass Steuern im großen Stil unterschlagen werden. Hier gilt es, die Mechanismen zu verbessern, die dies verhindern, nicht darum, Reiche aus Angst vor "nicht mitmachen" einfach weiterhin kaum oder nicht zu besteuern.

d) Nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich

Ein BGE sei „die Mutter aller Gießkannen“ – wie beim Tankrabatt bekämen es auch Reiche. Fakt ist: Für den Tankrabatt gibt es keine zusätzlichen Steuerabgaben. Beim BGE hingegen zahlen Reiche auch deutlich mehr ein. Es geht also nicht um die Gießkanne, sondern darum, woher das Wasser kommt!

II.  Konkrete Gegenargumente unter der Lupe

a)  Spaltet ein BGE die Arbeiter*innenklasse?

Die Arbeiter*innenklasse ist derzeit mehrfach gespalten. Es gibt eine Spaltung zwischen gewerkschaftlich organisierten Facharbeiter*innen und Hilfsarbeiter*innen, oftmals studierten Angestellten und Nichtakademiker*innen sowie die immer wieder bemühte Mär vom sozial schmarotzenden Hartz-IV-Empfänger, zu dem niemand mutieren möchte.

Das Grundeinkommen stellt die Frage nach der Umverteilung von Reichtum und entlastet finanziell alle, die unter 6500 € brutto entlohnt werden, also den Großteil der deutschen Bevölkerung. Spaltung lässt sich auf diese Weise im Keim ersticken. Das Grundeinkommen beantwortet die Frage nach der Verteilung von Reichtum in unserer Gesellschaft und stellt einen effektiven Weg zur Umverteilung dar. Höhere Tarif- oder Mindestlöhne sind zwar wichtig und jedes Mitglied der BAG GE fordert diese auch weiterhin, aber sie kommen nur einzelnen isolierten Gruppen zugute, während ein BGE eine deutschlandweite Umverteilungskampagne bedeuten würde. Somit ist das Grundeinkommen – ähnlich wie die Frage nach der Erbschaftssteuer oder einem Mietendeckel – der Inbegriff einer verbindenden Klassenpolitik!

b) Führt ein BGE zu Lohndumping?

Oft hört man, ein bedingungsloses Grundeinkommen würde so oder so die Löhne nach unten drücken, weil die Lebenshaltungskosten der Arbeiter*innen (Essen für die Familie, Geld für die Wohnung) für den Kapitalisten geringer ausfallen würden. Dieser Vulgärmarxismus ist jedoch alles andere als zeitgemäß. Bereits Marx erkannte, dass Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt hier durchaus Abweichungen ermöglichen.[2] In modernen Dienstleistungsgesellschaften, in denen Angestellte nicht mehr nur Arbeitskraft, sondern auch akademische Bildung oder spezielle Kompetenzen (Programmieren, Grafik-Design) mitbringen, trifft dies umso mehr zu.

Ohnehin lässt sich dieses Argument recht einfach überführen, denn es ist schlichtweg nicht bekannt, dass die Löhne in Ländern, die hohe Sozialausgaben für zum Beispiel Kindergeld, Bafög oder ein kostenloses Bildungssystem aufweisen, signifikant niedriger liegen. Außerdem ist unser emanzipatorisches BGE-Konzept klar und deutlich mit der Forderung nach einem höheren Mindestlohn als jetzt verbunden. Tatsächlich gehen, bezogen auf ein BGE, sogar die meisten Ökonomen von einem Steigen der Löhne aufgrund einer Reduktion der angebotenen Arbeitskraft  aus.[3] Dies erscheint auch deutlich logischer, denn gerade in den Bereichen, in denen wenig Möglichkeit zur Selbstverwirklichung oder ein hohes Maß an körperlichem Verschleiß gegeben ist, muss sich der Kapitalismus nun stärkere Anreize überlegen; dies können bessere Arbeitsbedingungen oder eben massiv steigende Löhne sein. Um es zusammenzufassen: In einer Gehaltsverhandlung ist klar, dass ich die besseren Karten habe, wenn der Chef mir sagt: „Na, aber dein Geld reicht doch schon für ein gutes Leben!“, solange ich mit „Dann geh ich halt!“ kontern kann.[4]

c) Also arbeitet dann niemand mehr?

So einfach sollten wir es uns nicht machen. Geld ist nicht die einzige Motivation für gesellschaftlich notwendige Arbeit. Bereits heute engagieren sich ca. 14 Millionen Menschen in Deutschland ehrenamtlich für die und in der Gesellschaft. Unbezahlte Care-Arbeit ist hier noch nicht mit einbezogen. Zudem ist Arbeit mehr als nur Existenzsicherung. Das Bedürfnis nach sozialer Anerkennung innerhalb einer Gesellschaft hat Menschen schon Arbeit leisten lassen, bevor das System Erwerbsarbeit auch nur in den Köpfen entstanden war. Dementsprechend wurde auch bei keinem der Modellprojekte ein Rückgang der Motivation für gesellschaftliches Engagement festgestellt. Ein BGE macht vor allem auch Mut – Mut sich selbstständig zu machen oder ein neues Studium oder eine Ausbildung zu starten, weil einen ein anderer Bereich reizt. Unter „b)“ wurde Folgendes bereits angedeutet: Es gibt Bereiche, in denen der Kapitalismus nun Anreize setzen muss, damit dort Menschen arbeiten, zu nennen wären z.B. die Fleischindustrie oder das Reinigungsgewerbe. Hier müssten Löhne massiv steigen und die Arbeitsbedingungen besser werden. Hier spielen also die Regeln von Angebot und Nachfrage endlich zu Gunsten der Arbeiter*innenklasse. Hieran ist nichts auszusetzen. 

d) Ist das BGE eine verkappte Herdprämie und damit antifeministisch?

Ein Instrument zur Umverteilung von oben nach unten, das jegliche Form existentieller Abhängigkeit von anderen Personen beendet, lebenslange Bildung für alle ermöglicht und darüber hinaus Teilzeit- und Care-Arbeit für alle Geschlechter finanziell absichert, kann keinesfalls antifeministisch genannt werden. Vielmehr stellt es alle Menschen auf dieselbe Stufe und ermöglicht es, in jeder menschlichen Beziehung auf Augenhöhe zu verhandeln.

e) Könnten wir dann nicht auch gleich den Demokratischen Sozialismus durchsetzen?

Ein BGE muss den Kapitalismus als globales Wirtschaftssystem noch nicht komplett überwinden. Es hilft aber dabei, die gesellschaftlichen Voraussetzungen zu schaffen, die eine Überwindung erst denkbar machen. Bereits jetzt sprechen sich in Umfragen[5] zwischen 40% und 50% der Menschen in Deutschland für ein BGE aus. Der demokratische Sozialismus hat diesen Popularitätsgrad seit der Wende bisher nicht erreicht. Auch die Forderung nach einem BGE kann bereits Menschen politisieren und so als ein Katalysator für andere Kämpfe fungieren!

f) Kostet ein BGE Arbeitsplätze in der Verwaltung und in den Gewerkschaften?

In Bezug auf die Gewerkschaften ist zu sagen, dass viele Funktionär*innen Angst vor dem BGE haben, wohingegen es an der Basis immer wieder Interesse und Zustimmung zum Thema gibt.[6] Wir sind selbst größtenteils überzeugte Gewerkschafter*innen und denken gemeinsam mit unseren Freund*innen dort, dass ein BGE die Gewerkschaften stärkt, denn es verhindert soziale Spaltung, schafft Raum für für soziales Engagement[7] und ist faktisch ein kostenloses Streikgeld.

Bezüglich der Verwaltung rechnen wir in unserem Modell dezidiert nicht mit einem Stellenabbau, denn Verwaltungspersonal kann umgeschult werden und wäre bspw. in den Finanzbehörden äußerst sinnvoll einsetzbar. Außerdem stehen wir gemeinsam mit der bisherigen Programmatik der Partei DIE LINKE für ein Zukunftsinvestitionsprogramm, bei dem der Staat mehr Verantwortung für gesellschaftlich notwendige Infrastruktur übernimmt.

III. Warum sollte sich DIE LINKE also genau jetzt für ein BGE entscheiden?

DIE LINKE rangiert aktuell kurz vor der politischen Bedeutungslosigkeit. Der Mitgliederentscheid zum BGE bietet ihr jedoch viele Chancen. Zum einen könnte sich DIE LINKE hier als Mitgliederpartei zeigen, in der solidarisch und auf Augenhöhe politische Fragen diskutiert werden, die eine, die Gesellschaft stärkende, Zukunftsperspektive darstellen. Im nächsten Schritt würde DIE LINKE mit dem Wunsch nach einem Bedingungslosen Grundeinkommen eine völlig neue Forderung im Bereich ihrer Kernkompetenz stellen – der Bekämpfung von Armut und der Umverteilung.

Die Menschen im Land haben eine riesige Sehnsucht nach neuen Ideen, die ein besseres Leben, Freiheit und Sicherheit versprechen. Die Idee des BGE schlägt hier in eine Kerbe, die wir lange nicht mehr füllen konnten. Sie ist unvorbelastet, frisch und nicht abstrakt, sondern lässt die Menschen von einer positiven Zukunft träumen. Diesen politisierenden Effekt bemerkten wir, die Autor*innen, auch bei den zahllosen Workshops zum Thema, die wir bereits abgehalten haben – Menschen, die sonst nicht Teil der traditionalistischen und überakademisierten Linken sind, fangen an, angeregt zu diskutieren und entdecken ein Thema, das ihnen Lust auf Engagement bereitet.

Wir hoffen nun, auf der Zielgeraden der Mitgliederentscheids, zweierlei: 1. Dass die Linke zukünftig das Element der Basisdemokratie ausbauen und – endlich – öffentlichkeitswirksam nutzen wird. 2. Dass DIE LINKE sich nun endlich für eine Idee ausspricht, die von einer Mehrheit ihrer Wähler*innen geteilt wird, neue Wähler*innenschichten erschließen kann und die Partei für junge, aktivistische Menschen attraktiv macht. Gehen wir es an!

 

[1] Die Refinanzierung setzt sich aus Primäreinkommensabgabe, Sachkapitalabgabe, Primärenergieabgabe und Finanztransaktionssteuer zusammen: genauere Informationen findet man unter  https://www.die-linke-grundeinkommen.de/fileadmin/lcmsbaggrundeinkommen/user/upload/BGE_Konzept.pdf 

[2] Siehe bspw. K. Marx: Lohnarbeit und Kapital

[3] Im Überblick: T. Petersen, Makroökonomische Effekte eines bedingungslosen Grundeinkommens, Wirtschaftsdienst 2017/9, S. 2ff.

[4] Einzuschränken ist dies lediglich bei Jobs, die ein besonders hohes Maß an Selbstverwirklichung bieten. Hier ist zweierlei zu beachten: Die BAG GE sieht weiterhin die Forderung nach einem Mindestlohn von 13€ als obligatorisch an, um Selbstausbeutung in diesen Bereichen nach Möglichkeit zu reduzieren. Auch einer Abdrängung ins Ehrenamt im Sozialbereich muss entgegengetreten werden, was bspw. durch mehr finanzielle Mittel für Kommunen gelingen könnte.

[5] https://www.grundeinkommen.de/25/09/2021/mehrheit-in-deutschland-fuer-grundeinkommen-und-gerechtere-verteilung-von-einkommen-und-vermoegen.html

[6] IG BAU und Ver.di

[7] Vgl. 4 in 1 Modell