Bundestagswahlergebnis der LINKEN

Die Linke muss Klarheit, Verbindlichkeit und Repräsentanz schaffen

Pluralität darf nicht mit Unentschiedenheit in Leitfragen verwechselt werden.

Das Wahlergebnis kam nicht überraschend. Dies insbesondere, weil nicht klar wurde, wofür die Linke steht, wie sie sich also in den zentralen Richtungsentscheidungen positionieren wird. Zudem hat sich nicht erschlossen, weshalb es die Linke neben einer sozial ausgerichteten SPD und den klimaschützenden Grünen noch braucht. Weshalb sollte Rotgrün nicht gut ohne die Linke auskommen? Was der Linken in den letzten Jahren fehlte, waren Klarheit, Verbindlichkeit und eine zeitgemäße Repräsentanz der von Armut und Diskriminierung betroffenen Personen. Eine Linke, die wirkungsvoll für eine befreite Gesellschaft streiten möchte, sollte die folgenden Schlüsse aus den Wahlergebnissen ziehen:

  • Die Linkspartei darf nach außen nicht zerstritten wirken, sondern muss geschlossen auftreten. Dazu gehört zum einen die Disziplin, gemeinsam getroffene Beschlüsse auch nach außen zu vertreten, wenn sie nicht der eigenen (intern vertretenen) Meinung entsprechen. Das bedeutet aber auch, die für eine gesellschaftliche Linke besonders kritischen Richtungsentscheidungen verbindlich zu treffen: Ist die Linke für ein bedingungsloses Grundeinkommen oder dagegen? Ist die Linke für den BDS-Beschluss des Bundestags oder dagegen? Ist die Linke für Auslandseinsätze der Bundeswehr mit UN-Mandat oder dagegen? Hält die Linke die DDR für einen Unrechtsstaat oder nicht? Ist die Linke für den Volksentscheid Berlin autofrei oder dagegen? Ist die Linke für eine Wiedereinführung der Regelanfrage beim Verfassungsschutz oder dagegen? Vertritt die Linke Ansätze der critical race theory oder nicht? Ist die Linke für das Berliner Neutralitätsgesetz zum Verbot religiöser Symbole im öffentlichen Dienst oder dagegen? Ist die Linke für eine Stärkung der Europäischen Union hin zu einem Europäischen Bundesstaat oder dagegen? Das sind sehr schwierige Fragen mit hohem Konfliktpotential. Ihre parteiinterne Diskussion ist aufwendig. Sie müssen aber entschieden werden, damit Dritte wissen, woran sie bei der Linkspartei sind. Enthaltungen oder sich widersprechende Positionierungen in diesen zentralen Fragen vermindern das Vertrauen in die Linke. Pluralität darf nicht mit Unentschiedenheit in Leitfragen verwechselt werden.
  • Die Linke braucht klar erkennbare Leitthemen. Das waren für die PDS das Beitrittsgebiet der ehemaligen DDR und für die WASG Hartz 4. Nun ist der Beitritt schon über 30 Jahre her und die SPD hat sich wieder auf ihre sozialen Wurzeln rückbesonnen. Es ist nicht mehr klar, was dagegen noch das Alleinstellungsmerkmal der Linkspartei ist. Der Einsatz für eine „sozial-ökologische Wende“ ist als Leitthema eher untauglich, da dieses Leitthema bereits umfassend durch Rotgrün vertreten wird, auch dass es die Linkspartei dafür braucht. Viele Leitthemen könnten diskutiert werden. Zwei Leitthemen drängen sich aber geradezu auf:
  1. Beendigung von Armut und Bekämpfung von Klassismus. Hier kann die Linke auf eine jahrelange und intensiv geführte intellektuelle Debatte (Eribon, Louis, Ernaux, Ohde, Mayr, Baron) anknüpfen. Die Berichte der Sozialverbände sind alarmierend. Das Thema erlaubt enge Zusammenarbeit mit Migrant:innenselbstorganisationen, da migrantisierte Menschen besonders häufig von Armut betroffen sind. Diese Menschen werden durch andere Parteien nicht hinreichend repräsentiert. Es bieten sich intersektionale, also die Verschränkungen unterschiedlicher Diskriminierungsformen wie Rassismus und Sexismus zusammendenkende Betrachtungen an. Bei diesem Thema wird der Linken eine hohe Kompetenz eingeräumt.
  2. Schutz der Rechte von Menschen gegen einen überwachenden und repressiven Staat. Gerade junge Menschen sind unzufrieden mit immer enger werdender staatlicher Kontrolle und Normierung sowie mit dem Verlust von Freiräumen. Die Linke sollte hier wieder verlässliche Vertreterin von Menschen- und Bürger:innenrechten gegen den übergriffigen Staat werden. Dazu gehört es auch, diskriminierende, antisemitische und rassistische Strukturen im öffentlichen Dienst effektiv zu bekämpfen und eine diskriminierungsfreie, die Rechte der Menschen wahrende öffentliche Verwaltung zu schaffen. Dies entspricht dem antifaschistischen Konsens der Partei. Auch hier hat die Linke eine hohe Glaubwürdigkeit.
  3. Das dritte Hauptthema betrifft die Repräsentation von Menschen, die von Diskriminierung betroffen sind. Gerade junge und sich links positionierende Menschen haben kein Vertrauen mehr in weiße, akademische und männliche Stellvertreter fortgeschrittenen Alters. Auch hat keine:r Lust auf Politiker:innen, die reine Parteikarrieren aufweisen und nie draußen „im realen Leben“ gearbeitet haben. Seit Jahren ist das bestimmende Thema in linken Diskursen die Bedeutung der eigenen Diskriminierungserfahrungen und die Sichtbarmachung von Privilegien. Die Linkspartei muss dem Rechnung tragen: Über die Beendigung von Armut sollten vorrangig von Armut und Klassismus betroffene Menschen sprechen dürfen. Über Rassismus sollten vorrangig Menschen mit Rassismuserfahrungen sprechen dürfen. Über Antisemitismus sollten vorrangig Jüd:innen sprechen dürfen. Über die Rechte von Frauen bzw. FLINTA* sollten vorrangig von sexistischer Diskriminierung Betroffene sprechen dürfen. Über die Situation von Kindern und Jugendlichen sollten vorrangig eben solche vorrangig sprechen dürfen. Betroffene sollten dabei nicht nur untereinander sprechen, sondern auch im Diskurs maßgeblich gehört werden. Das bedeutet nicht, einen aufklärerischen Universalismus aufzugeben, sondern der Lebensrealität von diskriminierten Menschen Rechnung zu tragen. Diese Sprecher:innenpositionen sollten in der Linken einen Vorrang genießen, maßgeblich in die Positionsbildung einfließen und solche Personen sollten diese Positionen auch nach außen hin vertreten. Eine solche Positionierung der Linken wäre ein Alleinstellungsmerkmal und würde im linken Diskurs honoriert werden.

Diese drei Ansatzpunkte würden dafür sorgen, dass die Linke die Glaubwürdigkeit und Eindeutigkeit erlangt, die sie benötigt, um wieder eine relevante gesellschaftliche Kraft zu werden. Sie würde die erforderliche Klarheit, Verbindlichkeit und Repräsentation erlangen, die erforderlich ist, um eine gesellschaftliche Linke im parlamentarischen Raum repräsentieren zu können und auch zustimmungsfähige Angebote an die Menschen außerhalb der Partei zu machen. Die gesellschaftliche Linke hat über die letzten Jahre viele schwierige, aber auch fruchtbare intellektuelle Debatten geführt. Es wird Zeit, dass sich diese in der politischen Arbeit der Linken niederschlagen.

Sebastian Baunack ist Mitglied des OV Weißensee und der LAG Kinderarmut Berlin