Bundestagswahlergebnis der LINKEN

Statt Entweder-Oder: Sowohl-als-Auch

Die Linke hat eine desaströse Wahlschlappe kassiert. Die mediale Konzentration auf die Kanzler*innenfrage war für Die Linke alles andere als hilfreich. Trotz der Fokussierung auf Trielle könnte sich beispielsweise die FDP behaupten. Was sind also die Fehler und hausgemachten Probleme der Linken? Ohne eine offene und schonungslose Aufarbeitung steuert Die Linke auf eine existenzielle Krise zu. Für das katastrophale Ergebnis der Linken bei der Bundestagswahl gibt es verschiedene Gründe, auf drei zentrale Probleme möchte ich hier eingehen:

1. Die Linke ist die einzige Partei, die ihre Kernkompetenz öffentlich in Frage stellt

Alle Parteien müssen verschiedene Wähler*innengruppen mit unterschiedlichen Interessen hinter ihrem Programm und ihren Kandidat*innen versammeln. Dies kann mitunter ein schwieriger Spagat sein. Den Grünen beispielsweise gelang der Spagat, sowohl Mietenaktivist*innen in Berlin-Kreuzberg von sich zu überzeugen als auch deren Vermieter aus Stuttgart - nicht zuletzt dadurch, dass sie ihre mietenpolitischen Vorschläge so vage wie möglich formulierte. Der FDP gelingt es neuerdings, sowohl alteingesessene Hoteliers als auch junge Erstwähler auf der Suche nach dem nächsten Hotspot auf sich zu vereinen.

Gemessen am Spagat anderer Parteien sind die Interessen von Rentner*innen im ostdeutschen Plattenbau, einer Fridays-for-Future-Aktivistin aus einer Unistadt und einem westdeutschen Schichtarbeiter recht nah beieinander. Es sollte möglich sein, sie alle hinter einer kapitalismuskritischen Haltung zu versammeln und mit ihnen gemeinsam für eine gerechte und nachhaltige Welt zu streiten, die nicht von Profit und Ausbeutung diktiert wird. Doch während alle anderen Parteien ihre Gegensätze und Widersprüche so wenig wie möglich thematisieren und die Strategie der Stimmenmaximierung betreiben, führen prominente Mitglieder der Linken seit Jahren eine Debatte über die scheinbar unüberbrückbaren Gegensätze unserer verschiedenen Wählermilieus und stellen unsere Kernkompetenz für gute Arbeit und soziale Gerechtigkeit in Frage. Leider nicht nur intern. Sie findet in den Leitmedien der Republik statt, in den Talkshows, ganze Bücher wurden dazu veröffentlicht. Nicht nur Sahra Wagenknecht, auch andere sprangen auf die Debatte auf und bescheinigten der Linken, sich nicht länger um die Interessen der Beschäftigten, Rentner*innen und Ostdeutschen zu kümmern. Niemand sonst wäre von alleine auf diese Idee gekommen, denn genau das hat Die Linke all die Jahre getan: für die arbeitende Klasse zu streiten. Diese Diskreditierung der eigenen Partei wurde geduldet und hat der Linken bei den Wahlen massiv geschadet.

Richtig ist natürlich, dass die Frage, warum Die Linke Arbeiter*innen weniger erreicht als früher, ernsthaft angegangen werden muss. Die Wiederbelebung der Pflege- und Mietenkampagne scheint mir dafür allerdings die bessere Idee als etwa die Abgrenzung zur antirassistischen und queer-feministischen Bewegung. Ohne beispielsweise die 40 Prozent Zustimmung für Sören Pellmann im alternativen Leipziger Stadtteil Connewitz, säße Die Linke genauso wenig im Bundestag, wie ohne das starke Ergebnis in den Plattenbauten in Grünau. Die linke »Milieudebatte« ist also überflüssig wie ein Kropf und trägt zur Spaltung linker Wähler*innen und der Partei bei.

Bei der öffentlich ausgetragenen Milieudebatte geht es im Kern um innerparteiliche Machtkämpfe. Das kann sich Die Linke zukünftig nicht mehr leisten. Insbesondere von allen hochbezahlten Mitgliedern der Bundestagsfraktion kann erwartet werden, die eigene Partei nicht länger von der Seitenlinie schlecht zu reden. Statt Entweder-Oder muss zukünftig ein Sowohl-als-Auch gelten, was linke Wählermilieus betrifft. Die zukunftsfähige Linke braucht Connewitz und Grünau, sie muss in den Plattenbaugebieten und im Studi-Viertel stark sein.

2. Keine eigene Handschrift in der Klimapolitik kommuniziert

Kernthemen linker Politik sind soziale Themen, keine Frage. Doch gleichzeitig hat es die Partei nicht allein in der Hand, welche Themen den Wahlkampf bestimmen. Und Klimapolitik war das bestimmende Thema im Wahlkampf. Hier hat Die Linke zu lange eine defensive Kommunikation betrieben. Es gelang nicht, einen eigenständigen kapitalismus- und konzernkritischen Ansatz prominenten nach außen zu kommunizieren.

Dies ist umso bedauerlicher, da Die Linke bereits gute Konzepte hat – der Aktionsplan Klimagerechtigkeit ist voller guter Ansätze und umfasst mehr als 80 Seiten. Auch im Wahlprogramm stecken viele gute Ideen. Allerdings wurden diese guten Ansätze zu lange unter dem Ladentisch gehandelt, eigene Antworten auf die Klimakrise nicht offensiv kommuniziert. Auch bei diesem Thema steht sich die Partei mit innerparteilichen Machtkämpfen im Weg. Bedenkenträger*innen mahnen regelmäßig, Die Linke dürfe »nicht grüner als die Grünen werden«. Anders als in der sinnlosen Milieu-Debatte stehen hier aber tatsächlich zum Teil divergierende Interessen gegeneinander. Ich weiß nur zu gut, dass die Forderung nach einem Ende der Kohleverstromung bis 2030 bei den Kohlekumpels nicht so gut ankommt, schließlich liegt Hoyerswerda, die Stadt, die mit am meisten vom Arbeitsplatzverlusten in Folge des Kohleausstiegs betroffen ist, in meinem Wahlkreis. Und als Bundestagsabgeordnete weiß ich auch, dass der Rest der Republik, insbesondere das linke Wählerpotential, regelmäßig in Umfragen angibt, Klima- und Umweltschutz seien für sie wichtige Themen. Ihnen ist eine längere Kohleverstromung nicht zu verkaufen. Was also tun? Eine De-Thematisierung ist in einem derart zugespitzten Wahlkampf nicht möglich. Man kann nicht mehr nicht zur Klimapolitik kommunizieren. Nachbesserungsbedarf sehe ich eher in den arbeits- und wirtschaftspolitischen Antworten. Was Die Linke braucht, ist eine ausformulierte, sozial-ökologische Industriepolitik, die erst in Ansätzen vorliegt. Ich habe bereits vor ein paar Jahren den Vorschlag gemacht, mit einer staatlichen Weiter-Beschäftigungsgarantie, den Kohlekumpeln die Angst vor dem Ausstieg zu nehmen und eine Weiterbeschäftigung etwa in einem Speicherkraftwerk oder bei den Erneuerbaren in Aussicht zu stellen. Und gleichzeitig wird dadurch klar gemacht: Die Interessen der Kumpel und des Konzerns sind nicht die gleichen.

Für eine zukunftsfähige Linke wird es darauf ankommen, mit einem erkennbar anderen klimapolitischen Ansatz zu punkten, statt plump auf die Grünen draufzuhauen. Klimagerechtigkeit muss unsere Antwort lauten, und dafür haben wir im Aktionsplan bereits eine gute Grundlage gelegt, die es weiterzuentwickeln gilt. Das linke »Klima-Job-Programm« und der kostenlose ÖPNV gehen genau in diese Richtung, denn sie machen klar: der klimagerechte Umbau der Wirtschaft und der Infrastruktur kann auch eine Chance für neue Arbeitsplätze sein. Kostenloser ÖPNV ist gut fürs Klima und schafft mehr soziale Gerechtigkeit. Angesichts der dramatisch steigenden Energiekosten ist klar, dass die CO2-Bepreisung, also die Verteuerung von Verbraucherpreisen, keine linke Antwort auf die Klimakrise ist und grundsätzlich das falsche Instrument. Eine gute Klimapolitik muss sozial gerecht sein und darf nicht darauf bauen, dass eine vierköpfige Familie auf Hartz IV die Zeche zahlt, während sich die oberen Zehntausend ihre Luxusyachten weiter werden leisten können. Mit einem solchen eigenständigen systemkritischen Ansatz hätte Die Linke den radikalen Teil der Klimabewegung für sich gewinnen können. Und vielleicht gelingt es so, linke Forderungen, wie die nach Vergesellschaftung der Netzte, einer öffentlichen Preisaufsicht, für ökologische Stadtwerke, solidarische Bürgerenergien statt profitgetriebener Energiekonzerne, mit dem öffentlichen Nachdruck zu versehen, der bislang gefehlt hat. Die Ampel-Koalition und ihr Kernbestandteil, der ökologische Neoliberalismus, böte eine gute Gelegenheit dazu, eine eigenständige linke Klimapolitik weiter auszuformulieren und gesellschaftliche Bündnispartner zu finden.

3. Die Außenpolitik als Achillesferse linker Politik

Für viele unerwartet, wurden Afghanistan und die NATO Wahlkampfthemen. SPD und Grüne witterten die Chance, uns mit unseren außenpolitischen Positionen als nicht ernstzunehmende politische Kraft zu diskreditieren. Natürlich war das von SPD-Kanzlerkandidaten Olaf Scholz geforderte herzliche Bekenntnis zur NATO ein durchsichtiges Manöver, um der Linken die Schuld für seinen Ampel-Kurs und das baldige Brechen der meisten Wahlversprechen in die Schuhe zu schieben. Doch das gelang ihm mit großem Erfolg. Auch der Verlauf der Afghanistan-Debatte hat uns geschadet. Linke Außenpolitik wurde zur Achillesferse in diesem Wahlkampf.

Es gibt wahrlich keinen Grund, Sympathien für die NATO zu haben. Mein Argument ist auch nicht, dass die Kritik der Linken an der NATO falsch ist. Aber es gibt ein Vermittlungsproblem. Vor allem bei jüngeren Generationen, die den Kalten Krieg nicht miterlebt haben. Nach Scholz’ Bekenntniszwang wurde es dann zu einem der am meisten diskutierten Themen am Wahlstand. Jüngere Wähler*innen kamen mit kritischen Fragen bis hin zu völligem Unverständnis für unsere Position - erst recht darüber, dass daran eine Mitte-Links-Regierung scheitern soll. Für andere war es sicherlich auch eine Frage der Prioritäten. Für die Pflegekraft, die sehen muss, wie sie ihre Miete bezahlt, war der Austritt oder Verbleib in der NATO wohl kaum das oberste Thema auf der Agenda. Noch in den neunziger Jahren wollten Teile von SPD und Grünen die NATO überwinden. In ihrem Wahlprogramm 1998 sprach die SPD von einer »gesamteuropäische[n] Friedensordnung […] [g]emeinsam mit allen Staaten Osteuropas und mit Russland«. Dennoch dürfte die von uns gewählte Formulierung, eines »neuen Sicherheitsbündnisses unter Beteiligung von Russland«, im westdeutschen Facharbeitermilieu, das zu erreichen immer wieder angemahnt wird, eher abschreckend gewirkt haben. Das alles müssen wir nicht gut finden, aber wir müssen diese Haltung vieler potenzieller Wähler*innen als Teil der Realität zur Kenntnis nehmen.

Anders als bei vielen anderen Kernforderungen der Linken gibt es für den Austritt aus oder die Auflösung der NATO derzeit keine gesellschaftlichen Mehrheiten. In Umfragen plädiert selbst die Hälfte der Linke-Wähler*innen für den Verbleib in der NATO. Es kann also nicht in unserem Interesse sein, dieses Thema ins Zentrum unserer Kommunikation im Wahlkampf zu stellen. Jedoch fehlte es nicht nur an Zustimmung zu unseren Positionen, sondern auch an Klarstellung, wie zum Beispiel das neue kollektive Sicherheitsbündnis aussehen soll und mit wem wir es in welchen Schritten umsetzen wollen. Kann es überhaupt Schritte auf dem Weg zum neuen Sicherheitsbündnis geben, und wenn ja, welche? Auch diese Frage ist im Kern unbeantwortet.

Tragischerweise wurde auch ausgerechnet die Afghanistan-Debatte für uns zu einem richtigen Problem. Der Afghanistan-Einsatz ist gescheitert. Es bestätigte sich genau das, was wir Linke viele Jahre lang gesagt haben: Dass dieser Krieg falsch war. Bei der Afghanistan-Debatte Anfang September lag der Ball auf dem Elfmeter, weil sich unser konsequentes Nein zu diesem Einsatz bestätigt hat. Diese Situation wurde durch eine absolut defensive Kommunikation in ein Eigentor verwandelt. Zur Abstimmung stand ein Einsatz zur Evakuierung von Ortskräften, deren Evakuierung wir selbst gefordert hatten. Aus der Binnensicht war es ein großer Schritt, erstmals bei einem Auslandseinsatz der Bundeswehr nicht mit »nein« zu stimmen. Doch auch hier klaffen Binnensicht und Fremdwahrnehmung weit auseinander. Eine Enthaltung war für Menschen, die sich nicht den ganzen Tag mit Politik beschäftigen, nicht einleuchtend und möglicherweise ein Fehler. Aber wenn schon Enthaltung, dann hätte sie mindestens offensiv inhaltlich begründet und erklärt werden müssen. Stattdessen tagelanges Schweigen, obwohl alle Augen auf uns gerichtet waren. Ein »Kommunikationsfiasko«, wie Bernd Riexinger richtig schreibt. Auch ein Organisationsdesaster, weil es selbst wenige Tage vor den Wahlen noch nicht einmal gelang, die Fraktion auf ein gemeinsames Abstimmungsverhalten einzuschwören. Im Ergebnis blieb die – falsche – Behauptung, wir seien gegen die Evakuierung der Ortskräfte gewesen, unwidersprochen im Raum. Zum Leidwesen des Wahlergebnisses.

In Zukunft geht es nicht darum, die außenpolitische Position der Linke zu schleifen, sondern um eine anschlussfähige Kommunikation. Es reicht heutzutage nicht mehr, wie noch im Anti-Imperialismus der 80er Jahre, gegen die USA zu sein, um eine zeitgemäße linke Außenpolitik zu formulieren. Wir brauchen eine aktuelle Analyse der verschiedenen geostrategischen Interessen und eine klare Abgrenzung zu jedwedem Großmachtstreben und zu autoritären Staaten aller Art. Weder Putin noch Maduro verkörpern den demokratischen Sozialismus, den wir uns vorstellen, da darf kein falscher Eindruck entstehen. Zweierlei Maß und doppelte Standards für Menschenrechte, kann sich eine linke Partei nicht leisten. Wir brauchen eine konzeptionelle Untersetzung, um Bündnispartner*innen für unsere großen Vorhaben zu gewinnen. Schwerpunkt muss der Kampf gegen Waffenexporte und Kampfeinsätze der Bundeswehr sein. Das sind Forderungen, für die wir Mehrheiten haben.

Und schließlich ist Außenpolitik nicht nur eine militärische Frage. Es muss vor allem um eine gerechte Weltwirtschaftsordnung, um eine bessere Entwicklungszusammenarbeit, um Abrüstung und eine zivile Konfliktlösung gehen. Themen, die bislang unterbeleuchtet sind und bei denen wir als Linke gewinnen können.

Diese drei zentralen Probleme muss Die Linke lösen, um zukunftsfähig zu sein und wieder ein attraktives Angebot für die Menschen zu bieten. Die Linke wird gebraucht. Wir können es uns nicht länger leisten, uns zu zerlegen.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der Onlineausgabe der Tageszeitung nd.