Kolumne

Kein Grund zur Schuldenpanik

Die Goldreserven bleiben trotz Schuldenrekord im Safe

Der Bund plant, dieses Jahr etwa 220 Mrd. Euro neue Schulden aufzunehmen. Droht also eine Schuldenkrise? Nüchtern betrachtet, ist der deutsche Staat von einer Schuldenkrise weit entfernt. Seit Jahren kann er sich zu Niedrigst- oder sogar negativen Zinsen verschulden. Noch im Jahr 2008 wandte er 68 Milliarden Euro für Zinsen auf. Im Jahr 2019 waren es gerade einmal 29 Milliarden Euro, Tendenz weiter fallend. Ein Ende der Niedrigzinsphase ist nicht in Sicht und selbst dann würde die Zinslast nur sehr langsam wieder steigen. Nach Berechnungen der Bundesbank haben die Niedrigzinsen dem deutschen Staat seit dem Jahr 2007 eine kumulierte Zinsersparnis von über 400 Milliarden Euro gebracht. Zusammen mit der relativ guten Konjunktur ist so der Schuldenstand in den vergangenen Jahren drastisch gesunken. 220 Milliarden einmalige Neuverschuldung erscheinen vor diesem Hintergrund verkraftbar. Sicherlich hätte ohne Krise mit diesem Geld viel anderes finanziert werden können. Es besteht aber kein Grund, nun alle möglichen staatlichen Leistungen zusammenzustreichen.

Aus ökonomischer Sicht besteht auch keine Notwendigkeit, die Corona-bedingten Schulden möglichst schnell wieder zu tilgen. Es reicht, die Schuldtitel am Ende ihrer Fälligkeit durch neue Titel abzulösen. Schulden müssen immer in Relation zur Wirtschaftskraft gesehen werden. Deswegen ist auch die absolute Schuldenhöhe weniger interessant als die Schuldenquote, d.h. der Schuldenbestand in Bezug zur jährlichen Wertschöpfung (BIP). Liegt die „nominale“ Wachstumsrate (einschließlich Inflation) auf lange Sicht über dem Zins – was angesichts niedriger Zinsen bei nicht besonders hohen Wachstumsraten erfüllt ist – kann der Staat nach der Krise ohne Tilgung aus den Schulden herauswachsen. Unter moderaten Annahmen kann sich der deutsche Staat durch den Wachstumseffekt sogar eine regelmäßige jährliche Neuverschuldung von über 50 Milliarden Euro leisten, ohne dass die Schuldenquote steigt – weit mehr, als die deutsche Schuldenbremse vorsieht.

Laut Beschlüssen der Großen Koalition sollen auf der Bundesebene in den nächsten 20 Jahren die Corona-bedingte Schulden getilgt werden. Die Pflicht zur Tilgung hat sie sich mitsamt der Schuldenbremse vor einigen Jahren ins Grundgesetz geschrieben – gegen den Rat auch konservativer Ökonomen. Sinnvoller wäre es, den Betrag über einen viel längeren Zeitraum von 50 Jahren zu strecken (so beschlossen im Bundesland NRW), wenn es denn unbedingt eine Tilgung geben muss. Dann sollten die Mittel dazu auch nicht durch Ausgabenkürzungen „herausgespart“ werden, sondern durch das Heranziehen hoher Vermögen erfolgen.

Im internationalen Vergleich ist die deutsche Schuldenquote nicht außergewöhnlich hoch, auch wenn sie jetzt auf 80 Prozent des BIP steigen könnte. In Japan beträgt sie derzeit etwa 240 Prozent des BIP - also etwa das Dreifache. Trotzdem ist das Land weit von einer Schuldenkrise entfernt. Denn die japanische Zentralbank kauft die japanischen Staatsschulden einfach auf. Selbst wenn der japanische Staat darauf nennenswerte Zinsen zahlen müsste (auch in Japan sind die Zinsen aktuell extrem niedrig), kämen diese als Zentralbankgewinne wieder an den japanischen Staat zurück. Seit der Finanzkrise sind die wichtigsten Zentralbanken der Welt mit Anleihenkäufen diesem Beispiel gefolgt.

Auch die Europäische Zentralbank hat diverse Ankaufprogramme aufgelegt. Zur vielbeschworenen Inflation ist es nicht gekommen – im Gegenteil. Seit Jahren liegt die Inflationsrate unter dem Ziel von zwei Prozent. Inflation kann nur entstehen, wenn es zu viel Nachfrage auf den allgemeinen Güter- und Dienstleistungsmärkten gibt. Das Geld der EZB-Aufkaufprogramme landet aber in keinem Euro-Land im privaten Konsum oder in hohen Unternehmensinvestitionen. Es fließt teilweise in kreditfinanzierte Immobilienkäufe und auf die Aktienmärkten. Ökonom*innen nennen dies „Vermögenspreisinflation“. Mit „Inflation“, d.h. der Preissteigerungsrate für die privaten Haushalte, in deren monatliche Ermittlung natürlich auch steigende Mietkosten einbezogen werden, hat dies aber auch künftig wenig zu tun.