Deutsche Wohnen und Co enteignen

Weste, Klemmbrett und gute Argumente

Auch in Neukölln wird gesammelt

Das rote Lastenrad steht. Daneben ein Aufsteller mit Plakaten der Initiative „Deutsche Wohnen und Co enteignen“, auf denen in verschiedenen Sprachen zum Unterschreiben aufgefordert wird. Während wir weiter aufbauen und inmitten von Plakaten, Flyern, Beuteln und Stickern noch überlegen, wie alles so drapiert werden kann, dass es auch zur Geltung kommt, steht da auch schon die erste Passantin. Sie fragt, ob denn schon eine Unterschriftenliste da sei, sie würde gerne unterschreiben. Natürlich kann sie das!

Der Stand ist mittlerweile mit Sonnenschirm, Fahnen und Plakaten geschmückt und auch wir, die Sammler:innen, stehen in unseren lila Westen mit gelbem Aufdruck "Deutsche Wohnen und Co enteignen" mit Klemmbrett und Abstand um den Stand herum. Natürlich mit Maske und einem Kugelschreiber für jede Person, die unterschreibt. Hygiene muss sein!

Jetzt kann es endlich losgehen!

Warum stehen wir hier? In Berlin startete am 26. Februar nach langer Vorbereitung die Kampagne „Deutsche Wohnen und CO enteignen“ (DWE) mit einer Vielzahl an Kundgebungen und Aktionen in die zweite Phase des Volksentscheids im Kampf für eine gerechte Mietenpolitik. Bis Mitte Juni müssen knapp 200.000 Unterschriften zusammenkommen, damit im September zeitgleich zur Landtags- und Bundestagswahl auch über die Vergesellschaftung von 240.000 Wohnungen entschieden werden kann. Mehr als tausend Sammler:innen sind dabei und können es kaum erwarten, nach monatelanger Vorbereitung auszuströmen und all den Mieter:innen eine Stimme zu geben. Wir haben uns im Vorfeld auf Zoom-Konferenzen beraten, wir haben Flyer und Poster layoutet und plakatiert. Jetzt kann es endlich losgehen!

Das rote Lastenrad ist unsere mobile Einsatzzentrale

Auch in Kreuzberg am Südstern finden sich heute eine Handvoll Genoss:innen ein, um das Unterschriften sammeln mal auszutesten. Hier ist samstags immer Markt, also sollten auch trotz Corona und grauem Himmel ein paar Menschen unterwegs sein, so die Überlegung. Im Laufe des Nachmittags kommen noch viele Menschen auf direktem Weg mit zielsicherem Blick auf den Stand zu. Da bleibt dann in der Regel gar nicht genug Zeit, um die reichlich überlegte Ansprache auszuformulieren, denn die meisten greifen sofort nach einem Kugelschreiber und unterschreiben.

Eine Krankenpflegerin kommt trotz Nachtschicht schnell vorbei

Sie wissen alle schon, um was es geht, haben die Plakate in der ganzen Stadt gesehen, die Diskussionen verfolgt und in den allermeisten Fällen am eigenen Leib erlebt, was es bedeutet, wenn mit einem Grundrecht wie Wohnen Profite gemacht werden. So auch eine junge Krankenpflegerin, die trotz Nachtschicht zum Unterschreiben kommt. Sie hat die Ankündigung, die Genoss:innen einige Tage zuvor an den Haustüren im Kiez angebracht haben, gesehen und sich extra deswegen nochmal auf den Weg gemacht. Für ihre WG nimmt sie gleich noch ein paar Unterschriftenlisten mit.

Eine Unterschrift, bitte!

Neben der Krankenpflegerin steht eine Familie mit kleinen Kindern, die ebenfalls darauf wartet, dass ein Klemmbrett oder einen Platz am Stand zum Unterschreiben frei wird. Schnell den Kleinen ein paar Kugelschreiber und Sticker in die Hand gedrückt, damit die Eltern auch genug Zeit haben, eine leserliche Unterschrift dazulassen und weiter geht's: Einmal bitte die Hundeleine, das Fahrrad oder die Einkaufstasche halten, Klemmbrett und Kugelschreiber übergeben, nach der Unterschrift ein paar aufmunternde Worte austauschen, Flyer und weitere Listen für das eigene Wohnhaus mitgeben, vielleicht sogar noch ein Plakat zum Aufhängen im Ladenfenster.

Es gibt auch Skepsis und viele Fragen

Natürlich ist es nicht immer so einfach wie in diesen Fällen und es gibt auch Passant:innen, die ablehnend reagieren und zügig vorbeilaufen, aber wenn Menschen mit den Worten "Ich bin nicht ganz sicher, ob das der richtige Weg ist, aber so geht es auf gar keinen Fall weiter" unterschreiben, wird deutlich, wie brisant das Thema Mieten in Berlin gerade ist und wie wichtig es ist, heute hier zu sein. Verstärkt wird dieser Eindruck auch durch die Menschen, die sich bei uns bedanken, dass wir hier stehen und ihnen die Möglichkeit geben, ohne großen Aufwand zu unterschreiben.

Zwischen dem Markttreiben und den schnellen Unterschriften gibt es auch immer wieder Passant:innen, die Zeit und Interesse an längeren Gesprächen haben. Da geht es dann häufig um Unklarheiten in Bezug auf die Umsetzung des Volksentscheids. Egal ob Fragen zur Entschädigungssumme, zur Anstalt öffentlichen Rechts, die die enteigneten Wohnungen verwalten soll, oder auch mal ein vermeintliches Gegenargument, irgendjemand der Genoss:innen hat immer die passende Antwort parat. Gut, dass es mit dem Lastenrad einen Ort gibt, zu dem alle immer wieder zurückkommen können, um sich auszutauschen, kurz durchzuschnaufen, die ausgefüllten Listen zu bunkern und die Klemmbretter neu zu bestücken.

Jede Stimme zählt!

Nach zweieinhalb Stunden zählen wir mit eiskalten Händen noch schnell, wie viele Unterschriften heute zusammengekommen sind: 280 sind es – was ein toller Erfolg! Wir kommen auf jeden Fall wieder. Egal ob an diesem oder einem anderen Ort in Berlin, denn für uns ist jetzt nochmal klarer geworden "Erst deckeln, dann Enteignen" klingt nicht nur gut, sondern spricht auch vielen Berliner:innen aus dem Herzen.

Marie Müller ist Mitglied im Bezirksverband DIE LINKE. Friedrichshain-Kreuzberg.