Einige Überlegung zur politischen Verantwortung in der Demokratie und ihrer Begründung
- Harald Erben
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- gemeinfrei
Noch Mitte der 70er Jahren des letzten Jahrhunderts hatte ich die Möglichkeit, bei Ernst Bloch in Tübingen zu studieren, dessen Philosophie der Hoffnung sich dem Leitthema des diesjährigen Parteitags der Linken im Chemnitz wunderbar anfügt.
Wir hatten damals durch Blochs Assistenten begonnen, uns die Grundlagen der Kritik der politischen Ökonomie in Auseinandersetzung mit der Hegelschen Logik und Dialektik anzueignen und ich konnte bald die Probleme erkennen, die sich einstellen, wenn man die Kritik in ihrer Erkenntnisart und Methode nicht von einer beschreibenden, erklärenden Theorie unterscheidet.
Bloch hat in seiner Studie zu Marx' Thesen über Feuerbach[1] zwar ein Wechselverhältnis von sich bildender, fortentwickelnder Theorie und der sich an ihr orientierenden Praxis erläutert, aber die eigentümliche Begründungsleistung und begrifflichen Bedingungen der Kritik der politischen Ökonomie – eben als Kritik – bleiben in den Abhandlungen von Ernst Bloch wie auch in den Arbeiten der Frankfurter Schule (zur „kritischen Theorie“) nicht ausreichend bedacht.
Mir ist dann im Laufe der Jahre aufgefallen, dass es ein damit zusammenhängendes Defizit in der auf Marx und den Marxismus bezogenen Diskussionen zu Fragen des Rechts und der Begründung der Anerkennungspflichten von Grund- und Menschenrechten gibt, ein Defizit, das das revolutionäre und kritische Denken mit dem kritisierten bürgerlichen teilt, obwohl beide vom Pathos des Rechts und der Freiheit leben. Solange für den „kategorischen Imperativ, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist“[2] nicht die Würde des Menschen als unbedingt zu achten begriffen und verfassungsgebend durch Anerkennung eines allgemeinen Rechts auf Achtung zum – verpflichtenden – Grund von öffentlich und gemeinschaftlich zu gewährleistenden Menschen- und Grundrechten geworden ist, hat die Kritik keinen die Verhältnisse zu verändern berechtigenden Bestimmungsgrund von Handlungsmacht. Es ist die Idee der Gerechtigkeit, die den Zusammenhang des Grundes der Kritik und des Berechtigungsgrundes eines die politisch-ökonomischen Verhältnisse zu verändern anstrebenden Handelns stiftet.
Das Grundgesetz der BRD von 1949 hat, aus der Begründung der unantastbaren Menschenwürde, die Achtungspflicht von Personenrechten formuliert und zu seinem obersten Grundsatz erhoben. Das daraus sich entfaltende Gefüge der Grundsätze von Art 1 und Art 20, die Demokratie- und Rechtsstaatsprinzipien verbinden, wird durch Art 79 (3) – aus diesen guten Gründen – für unveränderlich erklärt. Diese Unveränderlichkeit lässt sich nur dann rechtfertigen, wenn dadurch die Bedingungen einer Grundrechtsausübung geschützt sind, ohne die kein Volk überhaupt sich selbst auf legitime Weise Gesetze geben kann. Die Würde des Menschen umfasst als unbedingt zu achten die Vermögen der Autonomie, die durch Selbstgesetzgebung eines Volkes dessen Vereinigung so ermöglicht, dass alle legitimierbare Macht von ihm ausgeht und sich Souveränität konstituieren kann. Souveränität ist also durch die unveränderlichen Gründe bedingt, durch deren Bestimmungen sie sich der Willkür entgegensetzt und so erst Freiheit als mit Gemeinschaftsverantwortung verbundenes Recht der Person begründen und orientieren kann.
Jan van Aken hat in einem Interview am Rande des Parteitags zurecht darauf hingewiesen, dass das Grundgesetz sich nicht an eine kapitalistische Wirtschaftsform bindet.
Im Ahlener Programm von 1947 hatte die CDU noch grundsätzlich erklärt:
„Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden. Nach dem furchtbaren politischen, wirtschaftlichen und sozialen Zusammenbruch als Folge einer verbrecherischen Machtpolitik kann nur eine Neuordnung von Grund aus erfolgen. Inhalt und Ziel dieser sozialen und wirtschaftlichen Neuordnung kann nicht mehr als das kapitalistische Gewinn- und Machtstreben, sondern nur das Wohlergehen unseres Volkes sein. Durch eine gemeinwirtschaftliche Ordnung soll das deutsche Volk eine Wirtschafts- und Sozialverfassung erhalten, die dem Recht und der Würde des Menschen entspricht, dem geistigen und materiellen Aufbau unseres Volkes dient und den inneren und äußeren Frieden sichert.“
Daran ist die CDU für die parlamentarische Zusammenarbeit auch mit der Linken zu erinnern.
Die einer gemeinwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung entgegengesetzte Marktwirtschaft, die – sozial nur abgefedert – wieder vom Kapitaleigentum dominiert wird, etablierte sich unter den geschichtlichen Spannungen zwischen Ost und West Hand in Hand mit den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu Freiheitsrechten und Eigentum als individuelle Verfügungsrechte von Einzelnen und Unternehmen. Grundrechte wurden hier – statt vom Verfassungsauftrag zum Schutz der Würde gegen Missachtung – primär als Abwehrrechte gegen Eingriffe des Staates verstanden. Diese wirtschaftsliberale Auffassung geht davon aus, dass Gesetze nur äußerlich den „Spielraum“ von besitzindividualistisch verstandener Freiheit beschränken, die so in ihrem Rechtsgrund eben nicht mehr als unabtrennbar von Gemeinschaftsverantwortung begriffen wird.
Entsprechend macht sich ein Selbstverständnis der Liberalen breit, dass alles erlaubt sei zu tun, was immer man will, solange es ein positives Gesetz nicht verletzt (so unter anderem Wolfang Kubicki von der glücklicherweise derzeit im Bund nicht mehr gesetzgebungsrelevanten FDP). Die Kritik des Wirtschaftsliberalismus hat dieses begrifflich verfehlte Verständnis für die öffentliche politische Bildung zu berücksichtigen. Nur wenn man das Grundverhältnis des Freiheitsrechtes zur Achtungspflicht der Würde beachtet, wird das kriteriell Maßgebliche erkennbar, das in der Konstitution von Souveränität angenommen ist und das die Gesetzgebungsentscheidung für die Unabhängigkeit von fremder, nötigender Willkür selbst vernünftig leiten und begründen kann.
Um hier also ein für die politische Bildung (von sozialer Freiheitsverantwortung) relevante und tragfähige Orientierung geben zu können, ist eine angemessene Auslegung des genannten Grundsatzgefüges des GGs der BRD als Begründung von Menschenrecht in der sozialen Geltungs- und Verpflichtungsform von demokratischer Rechtsordnung und demokratischen Grundrechten der Teilhabe und der (notwendig auch politisch-ökonomischen) Mitbestimmung notwendig: Sie erfordert eine grundlegungstaugliche Begriffsarbeit.
Diese auf die Bedingungen von Demokratie, Selbstgesetzgebung und einer wahrhaft demokratischen, Verantwortung für die Erhaltung der natürlichen und menschlichen Lebensbedingungen auf der Erde bezogene, für eine gemeinschaftliche Wirtschaftsordnung tragfähige Begriffsarbeit erfordert eine streitlösendes Verfahren, das zur Widerstreit auflösenden Methode der Kritik gehört. Sie ist als Grundlegungsarbeit notwendig, um eine allgemeine Verbindlichkeit stiften zu können, ohne die allgemeine Gesetze und Ordnungen nicht gemeinschaftlich anerkannt und selbstbewusst getragen werden können. Jeder Bürger muss sich als Personen bewusst sein können, als gemeinschaftliche Gesetzgeber diejenigen Gesetz zu befolgen, die jede Person qua eigener Vernunft und Urteilskraft selbst geben und aus eigener Einsicht in deren Güte und Angemessenheit diesen selbst zugestimmt haben kann.
In der Gesetzgebung, die Gleichheit voraussetzt und Gleichheit vor dem Gesetz und seiner Anwendung ermöglicht und fordert, werden Leit- und Grundbegriffe in verhaltensorientierender, Befolgungsverpflichtungen begründeter Bestimmung unter dem Anspruch gebraucht, dass sie allgemein gelten und in derselben Bedeutung grundsätzlich von allen verstanden werden können. Nur so kann der Gleichheitsgrundsatz gewahrt und durch die vereinheitlichende Rechtsprechung in Anwendung von Gesetzen zu einem einheitlichen öffentlichen Rechts- und Unrechtsbewusstsein beitragen – und die rechtliche Urteilskraft als allen gemein bilden. Ohne die sich letztlich auf Bedingungen und Vermögen des Menschen als Person beziehenden Begriffe von Freiheit, Recht, Gerechtigkeit und Gesetz, Grund und Vernunft oder Würde und Achtung als Person ist ein stabiler, von den Bürgern getragener demokratischer Rechtsstaat nicht zu begründen und darum nicht dauerhaft und nicht wehrhaft zu verteidigen.
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Der Methodenweg, um die Kriterien der berechtigten Kritik auszuweisen, muss die Bedingungen reflektieren, die jeder in Anspruch nimmt, der an einem Streit über die Bestimmung von – durch ihre Thematisierung zugleich gemeinschaftlich in Anspruch genommenen Leit- und Maßbegriffen – teilnimmt. Solche durchaus lehrreichen Auseinandersetzungen zu Begriffen von Prinzipien und Ideen im Ringen um ihre tragfähige Bedeutung lassen sich aus der gesamten Philosophie- und Geistesgeschichte aufnehmen. Bereits Heraklit hat auf das „allen Gemeinsame“ verwiesen und – wenig bekannt – weist Sokrates in Platons Politeia den für die Erhaltung der Polis Verantwortlichen die Aufgabe der „Bewerkstelligung der Freiheit“ zu. Als untauglich zur Begründung einer guten und gerecht verfassten Gemeinschaft hingegen hat sich die Berufung auf „Werte“ erwiesen.[3] Auch die Diskurstheorie hat ihren Begründungsanspruch verfehlt.
Denkt man hier konsequent und sucht die Voraussetzung einer gemeinschaftlich sich orientierenden, reflektierten Urteilskraft zu entdecken und für die Orientierung der gemeinschaftlichen Bildung begriffswahrend darzustellen, dann erschließt sich ein Grundgefüge von Prinzipien- und Ideenbegriffen, das jenen Maßstab von Gerechtigkeit einzubegreifen und zu entfalten vermag, wie er auch für die Kritik der politischen Ökonomie maßgeblich ist und für die daran sich anschließende Konzeption von Politik maßgeblich sein können muss.
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Was Karl Marx unter dem Titel Das Kapital als eine „Kritik der politischen Ökonomie“ verfasst hat, stellt keine Theorie dar, da sie weder bestehende Verhältnisse nur erklärt noch gar sie rechtfertigt. Sie misst vielmehr die Politik der Ökonomie an dem ihr eigenen Anspruch auf Vernünftigkeit und Bestandsfähigkeit ihrer Organisation. Die Kritik von Marx bezieht sich darum auf Begriffe (wie den des Werts), die in der bürgerlichen ökonomischen Theorie (von Adam Smith, Ricardo und anderen) zu deren rechtfertigenden Darstellung gebraucht werden. Als Kritik ergibt sie sich, weil sie erkennbar macht, dass eine bürgerlich-kapitalbasierte, auf die Vermehrung von Mehrwert ausgerichtete Wirtschaftsweise nicht widerstreitfrei bestehen und organisiert werden kann. Die politische Theorie der Ökonomie verfehlt ihre Rechtfertigungsintention, weil die theoretisch unlösbaren Widersprüche und Widerstreite in der Ökonomie dazu führen, dass die „kapitalistische Produktionsweise wiederkehrend und kapitalvernichtend „Krisen und Katastrophen“ durchläuft.[4] Sie ist vom Grunde her nicht friedensfähig.
Eine in ihrer Darstellung widerspruchsfreie Theorie des Kapitalismus ist wegen dessen ihm immanenten Widerstreiten nicht möglich. Es sind logisch zwingende Vernunftgründe, die für die Kritik maßgeblich werden und in der ausgeübten Urteilskraft – als dem Vermögen der Kritik – zur Geltung kommen. Die von Maß und Grund her orientierte praktisch bedeutsame Dimension der Kritik wird also nicht durch einen Zweck oder ein vorgegebenes Interesse bestimmt. Ihre maßgeblichen Bestimmungsgründe weisen einen verflochtenen Zusammenhang von Grund- und Kriterienbegriffen auf, zu denen mit dem Kriterium der Rechtfertigbarkeit, das die Kritik aus dem Theorieanspruch der politischen Ökonomie aufnimmt, auch die Idee der Gerechtigkeit gehört.
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Die Einsicht in den Mangel von Rechtfertigbarkeit der kapitalistischen Produktionsweise, die eigene Urteilskraft erfordert, wird im Vernunftgrund der Beurteilungskaft zugleich auch von einem Empfinden und – zwar von Ungerechtigkeit – begleitet, da sie das Achtungs- und Selbstachtungsvermögen des Menschen in seinem Selbstbewusstsein als Person mit Beurteilungsvermögen tangiert. Achtung vereinigt Vernunft und Empfindung des Würdigen und das Gerechtigkeitsempfinden motiviert eine für die Achtungsgemeinschaft bedeutsame, sich gemeinschaftlich organisierende Praxis. So ist sie zukunftsbezogen und hoffnungsgetragen auf eine in ihrem leitenden Maß recht gegründete Veränderung durch persönlich verantwortendes Handeln ausgerichtet.
Das auch geschichtlich wirksame Motiv des Gerechtigkeitsempfindens wurzelt nicht einfach in einer Klassenzugehörigkeit. Es kann sich für die in wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zusammenhängen mitwirkenden, arbeitend und handeln teilnehmenden Menschen zum Beispiel auch an der widerfahrenen Verachtung von Natur- und Lebensbedingungen, dem Missbrauch von Menschen oder dem Verlust der Artenvielfalt unter Pflanzen und Tieren entzünden. Einem jeden gerecht zu werden und das Angemessene vom Unangemessenen unterscheiden zu können, ist als Vermögen ein hohes Gut, das der Pflege und nicht nur der intellektuellen, sondern auch einer sinnlich-ästhetischen Bildung bedarf.
Das sich zum politischen Gemeinsinn ausgestaltende Beurteilungsempfinden bedarf zu seiner Sicherung eine Bildungsarbeit, wie sie in den Bildungsvereinen der sozialistischen und sozialdemokratischen Bewegungen seit dem späten 19. Jh. organisiert wurde. Ohne ein wenig Methodenerkenntnis aus Achtung von Begriffen und Vermögen und aller wesentlichen, auf keinen Fall zu vernächlässigenden Bedingungen in persönlich verantwortbarer Gemeinschaft lässt sich deren Bildung und die Erziehung zur Mündigkeit heute kaum sinnvoll und recht orientieren.
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Es ist ein alter, bereits zur Begründung der attischen Demokratie gehörender Gedanke, dass Gerechtigkeit es ermöglicht, dass ein jedes das Seine tue. Unter Beachtung der sich differenzierenden Aufgabe in arbeitsteiliger Organisation von auf Abstimmung angewiesenen Personengemeinschaften unterscheidet sich die Gerechtigkeit als Idee von einer nur „verteilenden“ oder „ausgleichenden“ Gerechtigkeitsauffassung, in der jedem das Seine als Besitz oder Verdienst nur zugewiesen wird, ausgehend von einem zu verteilenden Kuchen und unter Voraussetzung einer übergreifenden Zuteilungsmacht. In der kapitalistischen Rechtfertigungsideologie stellt der Markt diese Zuteilungsmacht dar: jedem steht zu, was er fähig wird, sich anzueigenen.
Eine Aufgabenverteilung je nach Vermögen im Zweck des eigenen Könnens hingegen bleibt zur Abstimmung in Ermöglichung der Erfüllung der je eigenen Aufgabe an das Gemeinsame gebunden, so dass im einteilend Besonderen die Einheit gemeinschaftlich wirksam bleibt. Zum je Eigenen gehört das allen Gemeinsame. Das ließe sich für Demokratie und Rechtsgemeinschaft höchst bedeutsam an der Struktur der Gewaltenteilung näher zeigen, in der die in Anspruch genommen Vermögen der Gesetzgebung, Rechtsprechung und der exekutiven Verwaltung verschiedene Bestimmungsgründe haben und in den so nach Aufgabe und Auftrag ausgerichteten Vermögen nicht durch das andere ersetzbar sind, aber miteinander umwillen eines jeden zusammenstimmen können müssen. Auch hier ist die Zusammenstimmung nicht theoretisch zu gewährleisten, sondern bedarf der Teilhabe an allen drei Grundvermögen der verfassten Rechtsgemeinschaft.
An Präsidialdemokratien, wie derzeit in der USA, ist die Gefährdung zu sehen, wenn legislative und judikative Gewalt durch Notverordnungen in die Exekutive übernommen werden. (vgl. hierzu „Die US-Verfassung vor dem Zusammenbruch“ von Aziz Rana). Im Gegenzug heißt das: Die mit einer gemeinschaftlich verantwortlichen Wirtschaftsweise einhergehende Demokratie muss einen Rechtsstaat unter Begründung der Gewaltenteilung errichten und in ihrer Verfassungskonstitution für alle mit- und nachvollziehbar sein.
Als Träger der Gesetzgebung ist jeder Bürger als Person sowohl Oberhaupt wie Untertan. Kant hat dies in einer der Formulierungen zum Sittengesetz so zum Ausdruck gebracht. Das Grundgesetz nimmt als Bedingung von Freiheitsrecht der Person in Art 2 (1) ausdrücklich auf das Sittengesetz Bezug und markiert mit dem Rückbezug auf den Würdegrund des Menschen als Person den Abschied vom Obrigkeitsstaat.
Vordemokratisch wurde das Oberhaupt als Souverän durch die Person des Königs repräsentiert, die Gesetzgebung und Rechtsprechung und die oberste Instanz der ausführenden Gewalt auch als Befehlshaber der Streitmacht in sich vereinigte. In der Demokratie hingegen gilt die Unantastbarkeit und Unverletzlichkeit von Würde und Recht der Person eines jeden Bürgers , die zuvor nur der Person des Königs vorbehalten waren. Der als frei mündige Bürger muss diese drei Vermögen haben und als Verantwortungsträger ausbilden, um sich in seiner Handlungsmacht aus der gemeinschaftlichen Orientierung der Arbeit und der Entscheidungsbegründungen der stellvertretenden Verfassungsorgane zu andern Personen – und mit ihnen zusammenstimmungsfähig – verhalten zu können.
In Literatur und Kunst wird diese ethisch-politische Verantwortungshaltung in den Königsmetaphern und Königsfigurationen der Person reflektiert, deren Darstellung weder Leid und Ungerechtigkeit noch die Überforderung des Einzelnen verkennt, wenn er sich für die Gerechtigkeit selbst, ihrer Idee gemäß, einsetzt.
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Jede sozial verantwortlich handelnde politische Bewegung zur Veränderung eines ungerechten, unvernünftigen und nicht rechtfertigbaren Wirtschaftssystems bedarf zu ihrer Orientierung sowohl in der Bildungsarbeit wie in der Programmatik einer Besinnung auf die für sie maßgeblichen Leit- und Maßbegriffe, zu denen im Kriterienverbund die Idee der Gerechtigkeit gehört. Sie wird maßgeblich in der Urteilskraft und reflektiert die Bedingungen von Selbstbestimmung in Verantwortung von (kollektiven) Arbeits- und Handlungsgemeinschaften.
Für die Rechte und Pflichten des Eigentums (nach Art 14 GG) heißt das: Es muss eine gesetzgeberische Legitimation von kollektiven, nicht staatlichen Eigentumsformen (wie Genossenschaften) geben, die – zum Beispiel im Bereich von Wohnungs- und Energiewirtschaft – eine auf die gemeinschaftliche Handlungsverantwortung als ein Volk unter Völkern abgestimmte, nachhaltige (resiliente) und insofern gemeinsinnige Wirtschaftsweise ermöglicht und fördert.
Die ökonomischen Bedingungen von Demokratie werden nicht durch auf privater Willkürentscheidung beruhendes Eigentumsrecht getragen, das erst durch Konkurrenz auf dem „freien“ Markt sich reguliert und gesetzgeberische Eingriffe nur zur Reparatur seiner Friktionen duldet.
Demokratie erfordert kollektive ökonomische Verantwortungsformen, die rechtsstaatlich ermöglicht und gewährleistet, aber selbst nicht als von einer Regierung oder herrschenden Partei verwaltetes Staatseigentum sein sollen. Erforderlich sind ökonomisch regulativ wirkende, den Kapitalmarkt begrenzende, kollektive Eigentumsverantwortungsformen, um dem Verfassungsgrundsatz zu entsprechen, dass „Eigentum verpflichtet.“: Wohnungen sind keine Kapitalanlage, sondern zum Wohnen da.
In diesem Sinne stellen die voranstehenden grundlegenden Überlegungen auch einen unterstützenden Beitrag zu den Initiativen der Linken zu Aufbau und Bestandsicherung nachhaltiger und sozial bewirtschafteter Wohnungsgenossenschaften dar. (vgl. den Beitrag „Keine Profite mit der Miete“ der Rosa-Luxemburg Stiftung)
[1]in: Marx und die Menschlichkeit (Frankfurt, 1968)
[2]Marx: „Einleitung zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie“ (1844)
[3]Vgl. u.a. E.-W. Böckenförde, Kritik der Wertbegründung des Rechts.
[4]Vgl. Karl Marx, „Resultate des unmittelbaren Produktionsprozesses“ (Kapital I, Vorarbeiten)