Kommentar zum zweiten UN-Nachhaltigkeitsgipfel

Nachhaltigkeitsziele endlich umsetzen!

Die Staatengemeinschaft ist 2023 nicht auf Kurs in Richtung einer nachhaltigen Entwicklung. An diesem Eingeständnis ging  kein Weg vorbei, als auf dem 2. UN-Gipfel zur „Agenda 2030“ Zeit für eine Halbzeitbilanz war. Das Versagen der UN-Mitglieder lässt sich nicht schönreden: Bei gerade einmal 15 Prozent der 17 „Ziele für nachhaltige Entwicklung“ (SDGs, Sustainable Development Goals) ist die Weltgemeinschaft auf dem richtigen Weg. Bei den verbleibenden sind die Fortschritte unzureichend oder es gibt sogar Rückschritte – insbesondere bei der Armutsbekämpfung und dem Schutz der biologischen Vielfalt. Auch bei der Bekämpfung des Hungers sind die Zahlen dramatisch: Im Jahr 2022 gab es weltweit 735 Millionen Menschen, die chronischen Hunger leiden, das sind über eine Million Menschen mehr als noch 2019.

Die Nachhaltigkeitsziele sind als Richtschnur jedes politischen Handelns ausgelegt – so hatten es die 193 in der UN organisierten Regierungen 2015 vereinbart. Doch wenn in der konkreten Finanz-, Handels- oder Umweltpolitik Fakten geschaffen werden, gilt die Maxime „jeder gegen jeden“ auch für die EU und ihre Mitgliedstaaten unvermindert weiter. Ob beim Wettrennen um die Rohstoffe von morgen, Hilfen für die Anpassung an die Klimakrise oder der Eindämmung der Covid-19-Pandemie in den vergangenen Jahren – die Bereitschaft, faire Teilhabe zu organisieren und so gemeinsam die Zukunft zu gewinnen, ist nicht zu erkennen. 

Ein Kurswechsel kann nur über die Neubelebung der multilateralen Regelsetzung gelingen. Hier gilt es, auf Augenhöhe Kompromisse zu schmieden und multinationale Unternehmen ohne Ausweichmöglichkeit in die Verantwortung zu nehmen. Neubelebung bedeutet auch, dass etwa in der Welthandelsorganisation Parlamente in Verhandlungsprozesse einzubinden sind, für mehr Transparenz gegenüber den Bürger*innen gesorgt wird. EU-Gesetze wie die Richtlinie über Sorgfaltspflichten in Lieferketten sind ein wichtiger Fortschritt, international tätige Unternehmen in die Pflicht zu nehmen. Ein nächster Schritt, die Ziele der „Agenda 2030“ greifbar zu machen, muss der Abschluss des Verbindlichen UN-Abkommens zu Wirtschaft und Menschenrechten („Binding Treaty“) sein. Im Interesse ihrer Glaubwürdigkeit gegenüber der Weltgemeinschaft und dem Bekenntnis zur Agenda 2030 müssen sich Bundesregierung und EU-Kommission den Prozess endlich aktiv und konstruktiv vorantreiben. 

Und: Wie es das im Mai auf der Beyond-Growth-Konferenz versammelte Bündnis aus fortschrittlichen Ökonomen, Aktivist*innen, Politiker*innen und hunderten jungen Menschen deutlich forderte: Gerade die reichsten Länder des Globus müssen sich von ihrem Wachstumsfetisch lösen, der droht, die Grenzen des Planeten zu sprengen. 

Mit anderen Worten: Es braucht tiefgreifende Veränderungen in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft, um nachhaltige Entwicklung zu erreichen. Politik, Wirtschaft und Governance müssen umfassend auf die Umsetzung der 17 Nachhaltigkeitsziele auszurichten. Dazu gehört auch ein „SDG-Konjunkturprogramm“, wie es UN-Generalsekretär António Guterres diese Woche forderte, mit mindestens 500 Milliarden Dollar pro Jahr. Allerdings fehlen in der Gipfelerklärung dann jedoch konkrete Finanzzusagen. Auch die G7-Gipfel der vergangenen Jahre haben viel versprochen, aber im Nachgang der Umsetzung der Versprechungen wenig geliefert. Das Europaparlament forderte im Mai d.J. auch deshalb von EU-Kommission und Rat eine Umsetzungsstrategie mit konkreten, EU-weiten, mess- und abrechenbaren, zeitlich gebundenen Zielsetzungen und die Installierung entsprechender Monitoring-Systeme. Die 17 Nachhaltigkeitsziele müssen darüber hinaus zu einem horizontalen Kriterium in allen Politikbereichen der EU gemacht und entsprechend ausgewiesen werden. Schönwetterreden und unverbindliche Ankündigungen wie von Bundeskanzler Olaf Scholz, dass die Bundesrepublik bei der Umsetzung der SDGs „sehr vorbildhaft“ vorangehen würde, andererseits als wirtschaftlich stärkster EU-Mitgliedstaat im kommenden Jahr die Gelder für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe drastisch kürzen will, bringen uns nicht weiter. Es sind konkrete Schritte auf allen Ebenen nötig. Bis 2030 verbleiben nur noch knapp sieben Jahre – wir haben keine Zeit zu verlieren! 

 Hintergrund:

Die insgesamt 17 Ziele, die im Jahr 2015 von den 193 Mitgliedsstaaten der UNO aufgestellt wurden, sind ambitioniert. Die Ziele umfassen alle drei Dimensionen von Nachhaltigkeit: Soziales, Wirtschaft und Umwelt. So sollen bis zum Jahr 2030 weltweit Hunger und extreme Armut beseitigt, der Zugang zu sauberem Trinkwasser und eine umfassende Gesundheitsversorgung gesichert, die Gleichstellung von Frauen und Männern sowie der Zugang für alle Menschen zu Bildung durchgesetzt, Frieden und die Begrenzung des globalen Temperaturanstiegs auf 1,5 Grad erreicht werden. 

Die Nachhaltigkeitsziele sind die zentrale Kursbestimmung, an dem sich alles politische und wirtschaftliche Handeln orientieren muss. Sie sind unteilbar, gelten für alle Länder und sollen eine sozial gerechte Welt und einen lebenswerten Planeten auch für die nachfolgenden Generationen schaffen.