Ukrainekrieg

Wir brauchen zivile Alternativen zum militärischen Tunnelblick.

Interview mit Janine Wissler und Martin Schirdewan.

Am 24. Februar jährt sich der Angriff Russlands auf die Ukraine. Millionen Menschen sind auf der Flucht, es gibt bereits Hunderttausende Tote und es ist kein Ende in Sicht. Was schlägt DIE LINKE vor in dieser schrecklichen Situation?

Schirdewan: Wir stellen uns ganz klar gegen Putins Angriffskrieg, fordern den Rückzug der russischen Truppen, eine Verfolgung von Kriegsverbrechen und Druck auf Putins Regime. Aber während die Union versucht, die Ampel bei Waffenlieferungen und Aufrüstung noch rechts zu überholen und die Rechtsaußen den Krieg einfach für ihre Hetze gegen die Demokratie instrumentalisieren, machen wir konkrete Vorschläge für einen Weg zum Frieden. So haben wir schon im Dezember den Start von Waffenstillstandsverhandlungen zwischen den Präsidenten Selensky und Putin auf Einladung der UN unter Hinzuziehung der EU und Indiens/Chinas vorgeschlagen. Warum reisen Scholz, Macron und Biden eigentlich nicht immerzu um die Welt, um internationalen Druck auf Putin für Waffenstillstandsverhandlungen aufzubauen?
DIE LINKE ist und bleibt die Friedenspartei im Deutschen Bundestag. Wir zeigen, dass es zivile Alternativen zum militaristischen Tunnelblick, zu Aufrüstung und weiterer Eskalation gibt - und auch dringend braucht. Wir treten an, um denen Hoffnung zu geben, die an der Regierungspolitik zweifeln, aber fortschrittliche Lösungen wollen.

Warum reisen Scholz, Macron und Biden eigentlich nicht immerzu um die Welt, um internationalen Druck auf Putin für Waffenstillstandsverhandlungen aufzubauen?

Wäre dieses schreckliche Jubiläum vermeidbar gewesen?

Wissler: Es ist ja immer schwer, ‚Was wäre Wenn‘-Fragen zu beantworten. Zuallererst hätte natürlich Putin selbst den Krieg verhindern bzw. längst beenden können. Er ist der Verantwortliche für dieses Grauen. Man muss aber auch sagen, dass die NATO und auch die Bundesregierung leider viel falsch gemacht haben. In diesem Krieg haben die NATO-Staaten bisher einseitig auf eine militärische ‚Lösung‘ des Konflikts gesetzt und kaum auf diplomatische Initiativen. Das hat nicht dazu geführt, dass der Krieg schnell beendet wurde, es droht ein langer Abnutzungskrieg mit erheblicher Eskalationsgefahr.

Putin ist der Verantwortliche für dieses Grauen.

Schirdewan: Wären die Sanktionen gegen die verantwortlichen Personen schnell und konsequent gekommen, hätte das wirklich einiges an Druck erzeugt. Hier ist immer noch viel Luft nach oben. In Russland gibt es über 20.000 Multimillionäre, nur ein kleiner Teil von ihnen wird überhaupt sanktioniert. Und auf der diplomatischen Ebene hätte man daran arbeiten müssen, Putin wirksam zu isolieren - gemeinsam mit Ländern wie Brasilien und China. Aber die Bundesregierung traut sich bis heute nicht aus der Konfrontationspolitik der USA gegenüber China auszuscheren. Und man hätte Richtung Moskau immer klar sagen müssen: Wenn ihr eure Truppen zurückzieht und auf den Boden des Völkerrechts zurückkehrt, dann heben wir die Sanktionen auch wieder auf. Wir wissen natürlich nicht, ob das gereicht hätte. Aber es hätte eine Chance verdient.

In Russland gibt es über 20.000 Multimillionäre, nur ein kleiner Teil von ihnen wird überhaupt sanktioniert.

Und jetzt ist der Zug abgefahren?

Schirdewan: Nein, was zu Beginn des Krieges richtig war, bleibt richtig: Es braucht zivile Alternativen zur Eskalation der Waffenlieferungen. Stichworte zielgerichtete Sanktionen gegen die Oligarchen und diplomatischer Druck der EU, gemeinsam mit Ländern wie Brasilien und China. Und es ist gibt noch einiges mehr. Es ist zum Beispiel überfällig, dass Deserteure und Kriegsdienstverweigerer unbürokratisch geschützt werden und Asyl erhalten, getrau dem alten Spruch ‚Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin‘. Gerade die russischen Wehrpflichtigen wissen ja oft, was sie erwartet, dass sie ohne Rücksicht an der Front verheizt werden. Ich bin sicher, viele, die da kämpfen und getötet werden, wollen nicht in diesen Krieg. Dazu kommt: Die Ukraine braucht endlich einen Schuldenschnitt, anstatt sie mitten im Krieg faktisch weiter zu neoliberalen Reformen zu zwingen.

Deserteure und Kriegsdienstverweigerer müssen geschützt werden und Asyl erhalten.

Zivile Alternativen - das hört sich gut an, aber würde das wirklich helfen? Putin wirkt nicht so als würde er auf zivilen Druck reagieren.

Wissler: Es wäre schön, wenn mit dem gleichen Engagement, mit dem Waffenlieferungen diskutiert werden, endlich auch mal über die zivilen Alternativen gesprochen würde. Es ist auch nicht so, dass es gar keine Verhandlungen gäbe. Das Getreideabkommen zwischen der Ukraine und Russland wurde über die Vereinten Nationen und die Türkei vermittelt und wird jeden Tag in einem Kontrollzentrum in Istanbul kontrolliert. Es finden Gefangenenaustausche statt – auch darüber wird verhandelt. Diese Verhandlungsansätze sollten genutzt werden, um weitere Verabredungen zu treffen, zum Beispiel Schutzzonen um Atomkraftwerke oder Schulen, gefolgt von kleinen Waffenstillständen zu Ostern oder zu Schulbeginn. Das alles bedeutet noch nicht das Ende des Krieges, aber es sind erste Schritte.

Es wäre schön, wenn mit dem gleichen Engagement, mit dem Waffenlieferungen diskutiert werden, endlich auch mal über die zivilen Alternativen gesprochen würde.

Aber wäre die Ukraine ohne Waffenlieferungen nicht Russlands Angriff ausgeliefert?

Schirdewan: Natürlich wird ein Krieg mit Waffen geführt. Aber das erzeugt fürchterliches Leiden. Deswegen braucht es einen Ausweg aus dieser Spirale des Schreckens. Wir lehnen Waffenlieferungen deshalb klar ab. Denn wie soll das alles sonst weitergehen? Nach den Panzern reden wir jetzt schon über Kampfflugzeuge. Bisher wurde noch jede rote Linie von der Bundesregierung wieder eingerissen. Der Krieg geht immer weiter. Und ein langer Abnutzungskrieg zerstört nicht nur unzählige weitere Existenzen in der Ukraine, er treibt auch weltweit Militarisierung und autoritäre Entwicklungen voran und sabotiert alle internationalen Bemühungen, um die Klimakatastrophe aufzuhalten. Profitieren tun davon vor allem die Rüstungskonzerne.

Nach den Panzern reden wir jetzt schon über Kampfflugzeuge.

Aber warum hat sich der Parteivorstand dann nicht dem „Manifest für den Frieden“ von Alice Schwarzer und Sarah Wagenknecht angeschlossen?

Wissler: Wir begrüßen, dass die Verengung der öffentlichen Debatte auf militärische Lösungen langsam überwunden wird und die Sorgen vor einer weiteren Eskalation mehr Gehör finden. Dafür stehen unterschiedliche Beiträge, wie die Forderung von Jürgen Habermas nach mehr Initiativen für Verhandlungen und die breite Unterstützung für diese Forderungen. Sie alle als „Putinversteher“ und „Extremisten“ zu denunzieren, wie das teilweise Vertreter von Bundesregierung und Medien tun, ist Ausdruck einer Verrohung der öffentlichen Stimmung. Das schadet der nötigen Debatte über Auswege aus dem Krieg. Unsere Gesellschaft braucht mehr, nicht weniger Diskussion über zivile Alternativen.

Sie alle als „Putinversteher“ ist Ausdruck einer Verrohung der öffentlichen Stimmung.

Schirdewan: Und wir rufen ja für das ganze Wochenende um den Jahrestag des russischen Angriffes dazu auf, die Position der LINKEN in die Öffentlichkeit zu tragen: Russland muss seine Truppen aus der Ukraine zurückzuziehen, zugleich muss die Bundesregierung endlich die Eskalationsspirale durchbrechen, es braucht zivile Alternativen zur Aufrüstung und eine klare Kante gegen rechts. Denn ‚Nie wieder Krieg‘ und ‚nie wieder Faschismus‘, das gehört für uns natürlich zusammen. Dabei ist es ist völlig legitim, dass Genossinnen und Genossen an unterschiedlichen Veranstaltungen teilnehmen und linke Friedenspolitik bei verschiedenen Gelegenheiten in die Öffentlichkeit tragen. Wichtig ist nur, dass gemeinsam ein klares Zeichen für Verhandlungen, zivile Alternativen zu Aufrüstung und gegen rechts gesetzt wird. Und unsere Mitglieder sind ganz sicher mündig genug, selbst zu entscheiden, wo die passende Gelegenheit dafür ist.

‚Nie wieder Krieg‘ und ‚nie wieder Faschismus‘, das gehört für uns natürlich zusammen.

Am vergangenen Freitag fand die Münchner Sicherheitskonferenz statt – ohne Russland. Nun kann man verstehen, dass der Leiter der Sicherheitskonferenz keine Bühne für russische Propaganda bieten wollte, aber kann man ohne Russland über Sicherheit in Europa verhandeln?

Schirdewan: Ich halte das für einen Fehler. In der Ukraine sterben Menschen, jeden Tag. Die Zivilgesellschaft in Russland wird brutal unterdrückt. Die Auswirkungen des Krieges sind weltweit zu spüren, alles wird teurer. Und Herr Heusgen (Chef der Sicherheitskonferenz, Anmerkung der Redaktion) behindert Gespräche über eine Lösung des Konfliktes, weil er sich dafür ‚zu schade‘ ist. Heusgen fordert inzwischen auch die ‚Deputinisierung Russlands, Russland nennt dagegen ‚Entnazifizierung der Ukraine‘ als Kriegsziel. Dieses großsprecherische Wortgeklingel markiert maximal verhärtete Positionen, das ist hochgefährlich.

Wissler: Mit wem soll man denn sonst verhandeln? Man muss mit Putin verhandeln, denn einen Friedensvertrag kann es nur mit Russland geben. Gesprächsfäden darf man nicht abreißen lassen. Allerdings muss ich auch sagen: Die Münchner Sicherheitskonferenz war nie ein legitimes Gremium, sondern vor allem Kriegsrat und Waffenmesse der Mächtigen. Deshalb habe ich mich jahrelang an den Protesten dagegen beteiligt.

Ein Kriegsrat... allerdings ist ja nun mal auch Krieg. Ist es da so verkehrt, Kriegsrat zu halten?

Wissler: Ja, es ist falsch. Denn was sich hier zeigt, ist ein militärischer Tunnelblick, der alle Probleme mit Waffengewalt lösen will. Wer militärisch denkt, für den ergibt die Lieferung von immer schwereren Waffen Sinn, für den sind irgendwann auch die jetzt diskutierten Kampfflugzeuge der nächste logische Schritt. Das ist ein Weg, der nicht zum Frieden, sondern schlimmstenfalls geradewegs in den Atomkrieg führen kann.

Schirdewan: So gesehen war diese Sicherheitskonferenz ein Mehr vom Falschen. Statt nur darüber zu reden, wer wann wie viele und welche Waffen liefert, sollten endlich Initiativen für eine diplomatische Lösung, wie die des brasilianischen Präsidenten Lula, ernst genommen werden.