Koalitionsvertrag

Versagen vor den Aufgaben der Zukunft.

Diese Koalition macht die Armen ärmer und die Reichen reicher.

Was können wir von der neuen Koalition erwarten? Spoiler: Politik für die Reichen und Unternehmen. (Vielleicht) kommt der 15 Euro-Mindestlohn, dafür Steuergeschenke ans Kapital. Landwirte und Restaurantbetreiber bekommen Steuern geschenkt, für die Mehrheit ändert sich nichts an den hohen Preisen. Kein Mietendeckel, keine Idee gegen Pflegenotstand, nicht mehr Klimaschutz. Dafür mehr Abschiebungen und Armenhass. Weniger Schutz von Beschäftigten und längere Arbeitstage. Investitionen in Bildung – geht vor allem in den reichen Bundesländern – und Rekordinvestitionen in Panzer.

Am Donnerstag hat sich die neue Große Koalition auf die zentralen Regierungsvorhaben geeinigt und ihren Koalitionsvertrag vorgestellt. Eine Koalition der Ignoranz und Hoffnungslosigkeit, sagen Ines Schwerdtner und Heidi Reichinnek. Mit dieser Koalition werden die Armen ärmer und die Reichen reicher.

In der liberalen Presse und von einigen CDU-Leuten hieß es in den vergangenen Tagen oft, die CDU habe sich von der SPD über den Tisch ziehen lassen. Doch tatsächlich wird diese Regierung hauptsächlich Unternehmen und Reiche entlasten. Vermögensteuer, Bürgerversicherung, Klimageld als sozialen Ausgleich für den CO₂-Preis? Fehlanzeige.

Die CDU hat sich in vielen Punkten durchgesetzt. Steuergeschenke fürs Kapital gibt es reichlich: Steuervergünstigungen für Investitionen und Absenkung der Körperschaftsteuer. Unternehmen bekommen damit ihre Investitionen von der Allgemeinheit finanziert, statt sie aus ihren Gewinnen zu bezahlen – und auf ihre Gewinne müssen sie weniger Steuern zahlen. Dazu Absenkung von Standards und Nachweispflichten sowie Öffnungsklauseln für Gesetze, gelabelt als Bürokratieabbau. Die Verhandlungserfolge der SPD (z.B. 15 Euro Mindestlohn, Tariftreuegesetz, Investitionen in Infrastruktur, Entlastung von niedrigen und mittleren Einkommen) stehen unter Finanzierungsvorbehalt, einige werden bereits in den Tagen nach der Vorstellung infrage gestellt oder auf die lange Bank von Kommissionen geschoben.

Stefan Bach vom DIW hat berechnet, dass die unteren 99 Prozent der Bevölkerung im Durchschnitt pro Kopf um 439 Euro entlastet werden (durch Steuern, Sozialleistungen und Subventionen). Im Durchschnitt heißt: Es wird auch welche geben, denen es schlechter gehen wird. Das reichste 1 Prozent hingegen wird pro Kopf im Schnitt um 20.357 Euro entlastet –  46 Mal so viel. Fast 18 Mrd. Euro kosten die neuen Geschenke an die Reichsten.[1] Zum Vergleich: Im Haushalt 2025 sind für das Bürgergeld insgesamt nur 25 Mrd. Euro vorgesehen.

Der 8-Stunden-Tag wird unter dieser sozialdemokratischen Regierungsbeteiligung abgeschafft, es soll nur noch die wöchentliche Höchstarbeitszeit gelten. Damit ist der Weg frei für Arbeitstage bis zu 13 Stunden – im Namen der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Überstunden werden steuerfrei. Das senkt die Lohnkosten für Unternehmen, aber ist schlecht für familienfreundliche Arbeitszeiten. Mit der „Neuen Grundsicherung“ führt die Koalition ein Sanktionsregime ein, das härter ist als Hartz IV. Fordern statt Fördern ist die Maxime. Wer Arbeitsangebote ablehnt, soll die Grundsicherung ganz gestrichen bekommen – das Bundesverfassungsgericht hat bereits vor Jahren festgestellt, dass das nicht zulässig ist.

„Entbürokratisierung“ soll auch für den Staat gelten. Viele haben das Gefühl, dass der Staat nicht richtig funktioniert –zurecht. Das liegt an Personalmangel, Kürzungen und Privatisierungen der vergangenen Jahrzehnte. Der Koalitionsvertrag will nun genau das: Personal kürzen (außer in Polizei und Geheimdienst), Standards senken (KoaV, S. 56) und „Öffnungsklauseln“ für Gesetze, damit Kommunen und Länder davon abweichen können, wenn Personal und Geld nicht reichen (KoaV, S. 59). Zwar soll in Infrastruktur investiert werden, aber mit privater (profitorientierter) Beteiligung. Im Namen des Bürokratieabbaus kündigt die künftige Regierung weniger Kontrollen bei Mindestlohn, Tariftreue, Arbeitsschutz an. Das Lieferkettengesetz wird gleich ganz abgeschafft und damit Kinderarbeit Tür und Tor geöffnet. Bürgerbeteiligung und Umweltprüfungen bei Infrastrukturprojekten sowie das Verbandsklagerecht werden eingeschränkt. Bei der Bahn sollen die Probleme, die durch jahrzehntelange Kürzungen und Privatisierungen erst entstanden sind, durch mehr Privatisierung und Wettbewerb gelöst werden: Die Koalition will die „DB InfraGo und die DB AG entflechten“ (KoaV, S. 27). Das bedeutet die Zerschlagung des Bahn-Konzerns für mehr Wettbewerb auf der Schiene.

Die Koalition will die Beitragssätze für die Kranken- und Pflegeversicherung stabilisieren, indem die Ausgaben gedeckelt werden. Das geht nur durch Beschränkungen der Leistungen für die Versicherten. Hingegen will sie das (einzige) nicht tun, was für die Stabilisierung und Senkung der Beiträge notwendig und erfolgversprechend wäre: die Beitragsbemessungsgrenze anheben und dafür sorgen, dass auch die Topverdiener*innen in die gesetzliche Krankenversicherung einzahlen.

Die Erzählung vom Bürokratieabbau ist eine neue Offensive des Neoliberalismus. Für Reiche ist ein schwacher Staat kein Problem. Kürzungen und schlechte öffentliche Dienstleistungen gehen zulasten der Mehrheit der Menschen.

Die Koalition bekennt sich zwar formell zu den Klimazielen, aber ambitionierte Maßnahmen für sozial gerechten Klimaschutz sucht man vergeblich. Klimaschutz soll weiter über steigende Preise gesteuert werden, aber ein Klimageld wird es nicht geben. Bei der grünen Modernisierung werden Kompromisse formuliert, mit der beide Seiten ihr Gesicht wahren wollen. Das Heizungsgesetz soll abgeschafft, aber „flexibler werden“ (KoaV, S. 24). Das Verbrenner-Aus soll nicht zurückgenommen werden und es gibt steuerliche Begünstigungen für E-Autos – gesetzliche Quoten für E-Autos werden abgelehnt (KoaV, S. 7). Verklausuliert heißt das, dass sich die Regierung auf EU-Ebene für eine Verschleppung des Verbrenner-Aus einsetzen wird. Beide Kompromisse laufen Gefahr, den Klimaschutz in den zentralen Bereichen Verkehr und Wärme komplett zu unterlaufen. Nötige industriepolitische Weichen werden nicht gestellt. Es gibt kein Tempolimit, stattdessen Geld für neue Autobahnen und Märchengeschichten wie Wasserstoffheizungen, Fusionsreaktoren und Hyperloop. Die CSU glaubt mit ihrer Technik-Attacke und dem Raketenministerium scheinbar an alternative physikalische Gesetze.

Die Koalition kann als Kompromiss zweier Hegemonieprojekte für unterschiedliche Kapitalinteressen verstanden werden. Die ökologisch-kapitalistische Modernisierung der Ampel-Regierung wird fortgeführt, aber verlangsamt. Die „Technologieoffenheit“ bei der ökologischen Modernisierung sichert dem fossilen Kapital für eine möglichst lange Zeit ihre Geschäftsmodelle – und trotzdem findet das grüne Kapital Berücksichtigung. Die Profite der Autoindustrie und der Gaslobby sind abgesichert.

Zu Beginn der Ampel-Regierung hatten SPD und Grüne die Geschichte eines Übergangs zu einem sozial- und ökologisch gerechten Kapitalismus erzählt. Jetzt heißt es ganz unverhohlen: Den Deutschland-Turbo starten, damit Deutschland „wettbewerbsfähig“ wird, also die Unternehmen Profite machen können. Klimaschutz ja, aber nur so lange es den Unternehmen dabei gut geht.

Einige krasse gesellschaftliche Rückschritte hat die SPD verhindert: Es gibt (vorerst) keinen Staatsbürgerschaftsentzug wegen Antisemitismus, keine Wiederbelebung der Atomkraft, keine Rücknahme der Cannabis-Legalisierung. Das ist aber zu wenig, um zu zeigen, dass sie Politik für die arbeitenden – geschweige denn erwerbslosen – Menschen macht.

Die Koalition will „weltoffen“ sein (KoaV, S.92), aber die geplante „Rückführungsoffensive“ (KoaV, S. 94) von Geflüchteten verstößt gegen Grund- und Menschenrechte. Den Familiennachzug auszusetzen, ist für Integration und Teilhabe katastrophal. Menschen, die keine Straftat begangen haben, in Haft zu nehmen, ist menschenrechtswidrig. Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan bedeuten für viele Menschen den Tod, genauso wie der Stopp der Aufnahmeprogramme. Vom Thema Migration hat im Wahlkampf (wieder einmal) die AfD profitiert. Jetzt setzt die neue Regierung das Programm der AfD um: Faktisch stehen im Koalitionsvertrag die Vorhaben aus dem „Zustrombegrenzungsgesetz“, das CDU, AfD und BSW im Januar noch gemeinsam durch den Bundestag bringen wollten.

Diese Verschärfungen werden von einer „Zeitenwende in der Inneren Sicherheit“ (S.82) begleitet. Die Überwachungsbefugnisse werden ausgeweitet, unter anderem mit Staatstrojaner und Vorratsdatenspeicherung. „Einwanderung in die Sozialsysteme“ soll durch mehr Datenaustausch zwischen den Behörden beendet werden. Eine derartig scharfe Formulierung sucht man vergeblich beim Vorgehen gegen die Steuerflucht der Großkonzerne und Superreichen. Wer nicht reich ist, nicht leistet und/oder nicht deutsch ist, wird diszipliniert und überwacht. Dieser Neoliberalismus ist autoritär. Wir müssen uns auf vier harte Jahre einstellen.

Der Koalitionsvertrag kann die Zukunftsfragen nicht lösen: Der geplante Klimaschutz reicht nicht annähernd, um die Klimaziele zu erreichen, und die Zeilen zur Klimaanpassung beweisen vor allem, dass die Verfasser*innen die Dimension der Klimakatastrophe nicht begreifen. Es gibt auch in Zukunft keine bezahlbaren Wohnungen, dafür Staatsschulden für Rüstung und perspektivisch eine Wehrpflicht. Die Zukunft für junge Menschen wird düsterer. Nicht für alle: Wer einen Arzt kennt, muss nicht zur Armee und wer Immobilien hat, kennt keine Wohnungsnot. Auch das ist eine Klassenfrage.

Nach unten treten gegen Bürgergeldempfänger*innen und Geflüchtete, ist jetzt Regierungsprogramm. Es wird nicht dazu führen, das Leben zu verbessern. Wenn die nächste Krise kommt, wird weiter gekürzt – und bei den Reichen wird diese Regierung ganz sicher nichts nehmen. Die Frage ist nur, wer dann die Sündenböcke sind.

[1] https://www.surplusmagazin.de/schwarz-rot-ungleichheit-prognose/?ref=wochenbrief-newsletter[1]

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  1. https://www.surplusmagazin.de/schwarz-rot-ungleichheit-prognose/?ref=wochenbrief-newsletter