Ein Bericht vom Kongress der Europäischen Linken

Brot und Rosen, Frieden und Gemeineigentum

Alle drei Jahre findet der Kongress der Europäischen Linken statt, ein Zusammenschluss linker Parteien in Europa. Diesmal tagte er vom 9.-11. Dezember in Wien und stand unter dem Motto „Peace, Bread, Roses“, Frieden, Brot und Rosen. „Brot und Rosen“ ist ein Slogan der Frauenbewegung und verbindet die Kämpfe um das Überlebensnotwendige (Brot) mit denen für das gute Leben und die freudigen Dinge (Rosen). Man könnte es auch als das organische Zusammendenken von Sozial- und Identitätspolitik sehen, die eben nicht im Gegensatz zueinander stehen.

Im Zentrum des Kongresses steht das „Political Document“, eine Art Leitantrag des Vorstands, das die Grundlinien für die nächsten drei Jahre festlegt. Im Dokument wird die Gegenwart als Zeitalter multipler Krisen diagnostiziert, die großen Herausforderungen für linke Kräfte seien: Inflation, Energiekrise, Klimakrise, Pandemie und der russische völkerrechtswidrige Angriff auf die Ukraine. Gefordert werden massive Investitionen, um die wirtschaftliche Transformation sozial und ökologisch zu gestalten und eine Stärkung der öffentlichen Güter wie Wohnen, Pflege, Bildung, Kultur und Energie. In der ökologischen Transformation müssten die Beschäftigten mehr Mitsprache erhalten, damit sie zu ihren Konditionen und nicht nach der Pfeife der Großkonzerne ablaufe. Verteidigung der Demokratie gegen den Faschismus nimmt eine prominente Rolle im Document ein. Das menschenverachtende Sterben an den EU-Außengrenzen müsse beendet und Frieden für die Ukraine organisiert werden. Gleichzeitig wird eingeräumt, dass es einer vertiefenden und ernsthaften Debatte über eine eurpäische Sicherheitsarchitektur bedürfe.

Dem Document gingen lange Verhandlungsprozesse voraus, denn die EL arbeitet nach einem Konsensprinzip. Dass das Document am Ende so reibungslos mit über 90% verabschiedet wurde, ist vor allem der hartnäckigen und unermüdlichen Arbeit von Heinz Bierbaum als EL-Präsident zu verdanken. Entsprechend wurde er auch mit standing ovations verabschiedet. Die Fraktion The Left im Europaparlament wurde durch ihren Fraktionsvorsitzenden Martin Schirdewan repräsentiert, der in seiner Rede am Freitag Abend die Erfolge der Fraktion thematisierte und kommende Auseinandersetzungen vor den Wahlen skizzierte. Martins Rede erntete wie nur einige wenige mehr regelmäßigen Zwischenapplaus.

Die LINKE-Delegation arbeitete in den verschiedenen Kommissionen auf dem Kongress fleißig mit: Political Document (Heinz Bierbaum), Motion (=Antrag) Commission (Martin Günther), Präsidium (Ulrike Grosse-Röthig und Konstanze Kriese), Evaluation-Evolution Commission (Markus Pohle und Daphne Weber, =Auswertung der Arbeit und Weiterentwicklung der EL) sowie Betreuung internationaler Gäste (Judith Benda und Claudia Haydt).

Besonderer Dank gebührt Alicja Flisak, die hauptsächlich in die Kongressorganisation eingebunden war, und Julia Wiedemann. Beide sind in der Internationalen Abteilung der LINKEN beschäftigt.

v.l Janis Ehling, Heinz Bierbaum, Daphne Weber

Wahlen

Neben der politischen Debatte wählte der Kongress einen neuen Vorstand. Als neuer Präsident wurde Walter Baier von der KPÖ mit über 90% bestimmt. In seiner ersten Rede hat er vehement Frieden in Europa eingefordert: Es müsse eine Verhandlungslösung gefunden werden, um das Schießen zu beenden, und Russland müsse seine Truppen zurückziehen. Als Subjekt des Handelns hob er die Beschäftigten, die Klasse, hervor und als Konsequenz daraus müsse eine Politik für die Mehrheit der Menschen folgen, die nur von den linken Parteien gefordert und organisiert werden könne. Dazu brauche es auch Demokratie in der Wirtschaft und eine Infragestellung der kapitalistischen Eigentumsverhältnisse. Baier positionierte sich sehr deutlich gegen die Diskreditierungen von gegenseitiger Solidarität als „Wokeness“, und Verunglimpfungen der Kämpfe um Feminismus, Antirassismus und Klimagerechtigkeit. Er sagte deutliche Sätze wie: „Solidarität ist keine Frage der „Wokeness“, sondern eine Frage der Klasse.“ Wir werden ihn bald in den Parteivorstand einladen.

Kontrovers war zunächst die Bestimmung die Stellvertreter*innen. Ursprünglich waren 4 vorgesehen, die regional und politisch ausgewogen sein sollten. Da die einzelnen Parteien aber nur Männer schickten, war die Geschlechterquotierung nicht möglich. In einer mühseligen Verhandlung der Vorsitzenden einigten sich die Parteien auf 6 Stellvertreter*innen und wählten aus 7 ‚Angeboten‘ 6 Genoss*innen aus. In Vertretung von Martin Schirdewan hat Daphne Weber an dieser Verhandlungssitzung teilgenommen.

Stellvertreter*innen sind nun: Margarita Mileva (Levicata/Bulgarian Left, Bulgarien), José Luis Centella (Partido Comunista de España, Spanien), Claudia Haydt (DIE LINKE), Vincent Boulet (Parti communiste français, Frankreich), Inger V. Johansen (Enhedslisten, Dänemark) und Yiannis Bournous (Syriza, Griechenland).

In den EL-Vorstand haben wir, durch den Bundesausschuss nominiert, Marika Tändler-Walenta und Janis Ehling geschickt. Glückwunsch allen Gewählten! Mit Claudia Haydt und Marika Tändler-Walenta stellen wir zwei in Europapolitik erfahrene Genossinnen aus West und Ost, mit Janis Ehling eine organisatorische Anbindung an den Parteivorstand. So soll es uns gelingen, die Prozesse im EL-Vorstand und im Parteivorstand vor der Europawahl in engeren Austausch zu bringen.

Höhepunkte

Zu Gast war Jeremy Corbyn, ehemaliger Labour-Vorsitzender und Oppositionsführer im britischen Unterhaus, der eine bewegende Rede gehalten hat gegen die Hoffnungslosigkeit und für die Organisierung der Menschen. Er hat uns sehr angemahnt, die Jugend anzusprechen und zu gewinnen für unsere Parteien und Gewerkschaften. Die Jugend sei besonders von psychischer Belastung angesichts der Vielfachkrisen der Welt gezeichnet und müsse die Vision einer lebenswerten Zukunft gezeigt bekommen.

Auch der Vorsitzende der Forces démocratiques du Sénégal und Bürgermeister von Thiès, Dr. Babacar Diop, war ein Highlight des Kongresses. Er fand deutliche Worte gegen die Gewalt, die gegen die Menschen in Afrika verübt werde und die mit neokoloniale Kontinuitäten in der Ausbeutung Afrikas zusammenhänge. Dass dann fliehende Menschen dem Tod überlassen würden, sei der größte Hohn der Festung Europa. Respektvoll hat sich nach der Rede der gesamte Saal beim Klatschen erhoben. Auch mit Babacar haben wir Kontakte ausgetauscht und wollen ihn in die Internationale Kommission zu einem Gastvortrag einladen.

Solidarnost und Links Wien wurden als neue Mitglieder in die EL aufgenommen. Links Wien ist eine ausschließlich kommunalpolitisch tätige Partei in Wien und Solidarnost eine Plattform progressiver links-ökologischer Kräfte in Serbien.

Das Wertvollste an solchen Zusammenkünften wie dem EL-Kongress ist natürlich der informelle, persönliche Austausch am Rande des Tagungsgeschehens und das Knüpfen von Kontakten zu anderen Parteien. Auch Genoss*innen aus nicht in der EL vertretenen Parteien waren zu Gast, so z.B. von Razem (Polen). Hier haben sich weitere Diskussionen um die Situation in Europa, aber auch in den einzelnen Ländern, entsponnen, die sehr aufschlussreich waren.

Anträge

Es lagen diverse Anträge vor, darunter 5 aus der LINKE-Delegation. Alle LINKE-Anträge („Menschenrechte sind nicht verhandelbar“, „Für eine linke Industriepolitik“, „Gegen die Kuba-Blockade“, „Freiheit für Julien Assange“ und „Pfad zur Europawahl“) wurden angenommen. Auch viele andere Anträge waren unstrittig und wurden ohne Debatte, teilweise im Block, abgestimmt. Es wurde Solidarität mit den von der Türkei angegriffenen Kurd*innen, den Menschen in der Westsahara und den Revolutionär*innen im Iran ausgedrückt.

Kontroverse Anträge behandelten die Haltung zum Ukrainekrieg (Rifondazione Comunista, Italien), Palästina-Solidarität (Middle East Working Group der EL) und ein Konglomerat-Text über Prostitution, Pornographie und sexualisierte Gewalt gegen Minderjährige (Frauenstruktur der PCF, Frankreich). Diese Anträge wurden stark bearbeitet, unter anderem von unserer Delegation, sodass der erste Antrag „Waffenstillstand im Ukrainekrieg“ nun auch die Perspektive der Ukraine aufweist und nicht allein zu russischen Konditionen formuliert ist. Er war in dieser Letztfassung breit zustimmungsfähig. Palästina-Solidarität hat eine große Mehrheit in der Europäischen Linken und die deutschen Debatten werden als sehr speziell wahrgenommen und abgelehnt. Was die Forderung nach Sanktionen gegen Israel anbelangt, ist der ursprüngliche Text entschärft worden. Der Antrag gegen „Pädokriminalität“ wurde stark verändert, sodass er statt einer festen PorNo-Position und diffuser Zusammenhangsherstellungen zwischen Prostitution, Pornographie und Kindesmissbrauch eher Fragen formuliert, an denen wir in diesem Bereich weiter arbeiten und Positionen finden müssen.

Außerdem wurde beschlossen, eine Kampagne mit Schwerpunkt „Housing“ (= Recht auf Wohnen) aufzunehmen und eine gemeinsame Wahlkampagne auf Basis des Political Document auszuarbeiten, die die europäischen Linksparteien zur Europawahl verbindet. Das ist ein guter Schritt, um die Europäische Linke zu stärken. Es wird eine Herausforderung der einzelnen Parteien bleiben, Europapolitik auf die jeweiligen nationalen und kommunalen Kontexte herunterzubrechen und zuzuspitzen.

Diesen Prozess haben wir im Parteivorstand bereits im Herbst 2022 mit einer Vorlage von Janine Wissler und Martin Schirdewan begonnen. Die Struktur zur Erarbeitung des Wahlprogrammes besteht seit Beginn des Winters. Für die Organisation des Wahlkampfes hat BGF Tobias Bank ebenfalls bereits Vorschläge unterbreitet.

Kritik

Insgesamt war es eher befremdlich, wie wenig Raum die Vorbereitungen zur Europawahl auf dem Kongress eingenommen haben. Auch das Format des Kongresses ist überdenkenswert, so reihte sich über Stunden Redebeitrag an Redebeitrag nach einem festen Zuteilungsmuster von Zeitanteilen an die Parteien. Viele Redebeiträge haben kaum argumentiert und auch nicht aufeinander Bezug genommen. Sie waren dominiert von Männern, die große Ausführungen über die Weltpolitik anstellten, aber selten ins Konkrete gingen. Es gab einige Ausnahmen, so sprach eine Schweizer Genossin detailliert über die Probleme der Gesundheitsversorgung in der Schweiz, aber auch in Gesamteuropa oder ein dänischer Genosse über die Notwendigkeit der Organisation von jungen Menschen.

Der sehr interessante Bericht „Evaluation-Evolution“, der eine Auswertung der Arbeit der EL und eine klare Benennung von Aufgabenfeldern vornimmt, wurde kaum reflektiert, sondern zackig verabschiedet.

Die Tendenz, dass sich eher kleinere Parteien der EL anschließen, sollte zumindest diskutiert und Schlüsse daraus gezogen werden. Die Left Alliance/Vasemmistoliitto Finnland hat sich auf den Beobachterstatus zurückgezogen, da sie die Position zum Ukrainekrieg nicht mittragen kann und Waffenlieferungen an die Ukraine fordert. Sie ist in Finnland an der Regierung beteiligt, die bekanntlich nun Finnland in die Nato führen möchte, was bei vielen Parteien umgekehrt betrachtet nicht auf Gegenliebe stößt. Auch die EL insgesamt spricht sich klar gegen die Nato aus.

Will die EL stärker werden, müssen sich einerseits starke linke Parteien/Wahlinitiativen in Europa anschließen und andererseits die Linksparteien in ihren Ländern stärker werden – wo es möglich ist. Manche haben aufgrund massiver Einschränkungen durch rechte Regierungen schwierigere Bedingungen als andere. Derzeit erscheint das Konstrukt mitunter sehr fragil, was angesichts eines europaweiten Aufstiegs rechter und faschistischer Parteien besorgniserregend ist.

Fazit

Der Kongress hat nichtsdestotrotz insgesamt demonstriert: Wir sind bereit unsere Krisen zu überwinden, und den Kampf um ein Europa der Menschen, statt der Konzerne aufzunehmen: Gegen Krieg, Klimakrise, Armut, Faschismus und Hoffnungslosigkeit. Einige Spaltungslinien bleiben vermutlich weiter bestehen. Sie betreffen Themen, die wir auch aus der deutschen linken Debatte als notorische Zankäpfel kennen. Was allerdings durchweg kein Thema ist, ist die selbstverständliche Verbindung von gewerkschaftlichen Kämpfen mit Kämpfen für Feminismus, Klimagerechtigkeit oder Antirassismus. Hier macht sich positiv bemerkbar, dass offenbar in anderen Ländern der linke Diskurs nicht durch eine völlig bescheuert geführte Identitätspolitikdebatte verblödet wurde. Diesen Irrweg sollten wir auch in Deutschland nun endgültig als abgeschlossenes Kapitel betrachten, denn er führt nirgendwo hin, weder zur Stärkung der Partei DIE LINKE, noch zur Stärkung der diversen, multiethnischen Klasse, die einen intakten Planeten benötigt.