Die gesellschaftliche Linke im Transformationskonflikt: Die Verkehrswende.

Der Konflikt bei der Transformation der Autoindustrie und der Verkehrswende liegt darin, dass einerseits die Klimakrise (Erderwärmung) begrenzt werden muss, andererseits die sozialen Ansprüche der Beschäftigten Berücksichtigung finden müssen. Die Einhaltung der Klimaziele (1,5-Grad-Ziel) ist keine beliebige Meinung, keine moralische Position, sondern eine Überlebensfrage der Menschheit. Das Pariser Klimaabkommen, das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, der jüngste Bericht des Weltklimarates und die berechtigte Empörung des UN-Generalsekretärs („Dieser Verzicht auf Führung ist kriminell.“) haben dem 1,5-Grad-Ziel menschenrechtlichen, völkerrechtlichen und verfassungsrechtlichen Rang gegeben. Die LINKE und Gewerkschaften haben sich selbstverständlich diesem Ziel verpflichtet.

Die Autoindustrie wird diesem Ziel jedoch nicht gerecht. Die Emissionen aus dem motorisierten Individualverkehr (MIV) haben seit drei Jahrzehnten keinen positiven Beitrag zur Klimabilanz geleistet. Daraus ergibt sich, dass die Autoindustrie und der MIV schrumpfen müssen – nicht auf null, aber ganz erheblich. Für uns steht also die Frage, wie wir dieses vermitteln und voranbringen und dafür die 800.000 Beschäftigten der Auto- und Zulieferindustrie gewinnen können – denn ohne oder gar gegen sie wird eine Verkehrswende schwerlich gelingen.

Die Artikel 14/15 Grundgesetz beinhalten die Nützlichkeit von Eigentum für die Allgemeinheit und die Möglichkeit der Vergesellschaftung, wenn diese Nützlichkeit nicht erbracht wird. Das trifft offensichtlich auf die Autoindustrie zu. Welche juristischen Konsequenzen sich daraus ergeben, ist zu diskutieren. Der Staat erfüllt ebenfalls nicht seine Aufgabe, das Recht auf Mobilität für alle als Daseinsvorsorge zu gewährleisten. Beides sind im besten Sinne Felder linker Theorie und Aktion: Antikapitalismus und Staatskritik.

I. Verkehrswende praktisch

Der öffentliche Personenverkehr (ÖV) ist die Alternative zum MIV. Es kommt das berechtigte Argument, dass der ÖV zu wenig entwickelt ist – vor allem in ländlichen Regionen ist oft überhaupt kein Angebot vorhanden. Die Menschen werden also gezwungen, ein Auto zur Verfügung zu haben und zu benutzen. Und es kommt das berechtigte Argument, dass der Ausbau des öffentlichen Verkehrs zu lange dauert – Busse und Bahnen bauen, Infrastruktur herstellen, Tramfahrer:innen und Lokführer:innen ausbilden – das dauert alles viele Jahre.

Das ist ein echtes Dilemma – aber seit Jahren bekannt und von uns kritisiert. Und seit Jahren passiert nichts bzw. viel zu wenig. Außerdem geht das nur mit Zustimmung der Bevölkerung – am Beispiel der Ablehnung der Innenstadtstecke der Straßenbahn in Tübingen per Bürgerentscheid (57% dagegen) vom September 2021 wird deutlich, dass das nicht funktioniert.

Andererseits: Die A100 und andere Straßen werden gebaut – sehr teuer, gegen Widerstände und mit Enteignungen. Tesla wird dafür gelobt, in zwei Jahren eine Autofabrik für 10.000 Beschäftigte und 500.000 Autos pro Jahr gebaut zu haben – aber der Ausbau des öffentlichen Verkehrs scheitert am Widerstand der Bürger:innen? Das ist doch absurd – auch unter demokratischen Gesichtspunkten.

Neue Mobilität und die bedarfsgerechte Erschließung ländlicher Regionen ist algorithmengesteuert  mit modernen, kleinen und smarten Bussen ziemlich schnell zu erreichen. In den urbanen Zentren müssen Straßenbahnstrecken mittelfristig ausgebaut und kurzfristig durch Buslinien abgedeckt werden.

Um die Akzeptanz des öffentlichen Verkehrs zu erhöhen, sind zwei Maßnahmen nötig:

  • Autofahren muss unattraktiv gemacht werden durch klimaschonende und energiesparende Regelungen wie Tempolimit, Begrenzung von Motorstärken, Hubraum, Verbrauch und Emission sowie eine Einbeziehung aller Kosten des MIV in die Besteuerung vor allem großer und PS-starker Autos.
  • Öffentlicher Verkehr muss attraktiv gemacht werden: Bequeme Fahrzeuge,  bedarfsgerecht getaktet und preiswert bis zum Nulltarif im ÖPNV.  Das 9-Euro-Ticket könnte ein Anfang sein und sollte verstetigt werden. Und dann muss gebaut werden: Trassen und Fahrzeuge bauen, bauen, bauen und Personal ausbilden, einstellen und gute Arbeitsbedingungen schaffen.

Durch eine solche Gesellschafts- und Verkehrspolitik werden die Arbeitsplätze in der Auto- und Zulieferindustrie weniger werden. Aus den Studien und Analysen der Rosa-Luxemburg-Stiftung zu Auto, Bahn und Bus (Spurwechsel; https://www.rosalux.de/publikation/id/45696/spurwechsel-buch[1]) ergibt sich, dass die Reduktion der Beschäftigung in der Autoindustrie durch Beschäftigungsaufbau für den ÖV überkompensiert werden können. Für die Organisation der Arbeiter:innenschaft, für Gewerkschaften, ergibt sich die Möglichkeit, den Verlust an Organisationsmacht im Automobilbereich durch den Aufbau von Organisationsmacht im Schienenfahrzeug- und Busbau ebenfalls auszugleichen. An der Sozialstruktur änderte sich als wenig dadurch.

Das ist der Schlüssel dafür, die notwendige ökologische Transformation klimapolitisch links und sozial zu gestalten – niemand muss Angst haben (anders als bei der Stilllegung der Kohleindustrie), ins Bodenlose zu fallen. Beider Verkehrswende geht es nicht um Abbau, sondern um Umbau. Das ist der Schlüssel für die demokratische Beteiligung der Beschäftigten an dieser Transformation, weil sie allen eine Perspektive und gute Zukunft gewährt.

II. Gesellschaftliche Modernisierung

Der grundlegende Umbau, die Modernisierung der Industrie, hat längst begonnen – unabhängig von unserer Haltung dazu; wir sollten sie aber auch zu einer gesellschaftlichen Modernisierung nutzen.  Die Absatzzahlen von Autos sind seit Jahren rückläufig, ebenso die Beschäftigung in der Auto- und Zulieferindustrie – ganz brutal bei Opel, Mahle, Bosch und Conti, etwas abgefedert bei Ford und Volkswagen. Die Verdichtung von Arbeit ist ein permanenter, krank machender Prozess in den Autofabriken. Die Industriestruktur ändert sich – auch durch den Antriebswechsel, neue Anbieter  aus USA und China wollen den Weltmarkt für Mobilität erobern. Mit der Veränderung der Industriestruktur sind auch andere Gewerkschaften als nur die IG Metall betroffen: EVG, Verdi, IGBCE. Die Industriegewerkschaften verlieren jetzt Mitglieder – unaufhaltsam, wenn die sozial-ökologische Transformation nicht eingeleitet wird. Eine solche Transformation würde aber den Beschäftigten die Angst vor Veränderung nehmen, die Tür nach rechts versperren und für Die LINKE neue Chancen eröffnen.

Die Transformation ist eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung und kann nicht allein von Gewerkschaften gestemmt werden – dazu sind ein breites gesellschaftliches Bündnis und ein gesellschaftlicher Konsens erforderlich. Die Transformation beginnt mit einer Kritik der Industrie und staatlichem Handeln: In geschlossenen Runden wie der Regierungskommission „Nationale Plattform Zukunft der Mobilität“ wird – ohne ausreichende Beteiligung von Gewerkschaften, Verbraucher-, Umwelt, Klima- und Verkehrsinitiativen – die Mobilität der Zukunft, ein „grüner Kapitalismus“, geplant. Die IG Metall, verdi, der DGB haben sich, wie erwähnt, zum 1.5-Grad-Ziel bekannt und mit Umweltorganisationen (BUND, Nabu, Naturfreunde), Sozialverbänden (SoVD, VDK, AWO) und kirchlichen Gruppen (EKD) im April 2021 ein Verkehrswendebündnis gebildet. https://www.nabu.de/imperia/md/nabu/images/umwelt/verkehr/broschuere_buendnis_sozialvertr__gliche_mobilit__tswende.pdf[2]

Ein neues zivilgesellschaftliches Bündnis aus Sozialverbänden, Gewerkschaften und Kirchen fordert den Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs als Beitrag zur Mobilitätswende. "Alle Menschen müssen Zugang zu klimafreundlicher Mobilität haben", sagte der Präsident des Naturschutzbund Deutschland (Nabu), Jörg-Andreas Krüger.

Jörg Hofmann von der IG Metall betont: "Es ist unbestritten, dass wir eine Mobilitätswende brauchen, ihr Wie bleibt auszuhandeln. Wer die Mobilitätswende sozial gestalten will, muss auch die Interessen vieler hunderttausend Menschen in der Automobil- und Zulieferindustrie im Wandel berücksichtigen. Nur mit guter Vermittlung zwischen ökologischer und sozialer Perspektive auf Mobilität kann dieses gesellschaftliche Mega-Projekt gelingen. Dafür hat die IG Metall gemeinsam mit vielen Partnern das "Bündnis Sozialverträgliche Mobilitätswende" ins Leben gerufen. Die IG Metall freut sich sehr, in diesem Rahmen Unterstützung für ihre Forderung einer umfassenden industrie-, regional-, arbeitsmarkt- und weiterbildungspolitischen Begleitung der Transformation zu finden. Auch das gewerkschaftliche Leitbild "gute Arbeit" für die gesamte Mobilitätswirtschaft und die Anerkennung der enormen Investitionsbedarfe sind Teil dieses integrierten Blicks auf die Mobilitätswende."

Nun käme es darauf an, dieses Bündnis vom Kopf auf die Füße zu stellen – örtliche „Transformationsräte“ zu bilden, die die Transformation ganz konkret in Stuttgart, Wolfsburg, Köln, München und Leipzig angehen. Der gegenwärtige Stillstand belegt deutlich, dass Die LINKE dabei eine aktivierende Rolle spielen muss.

Der notwendige gesellschaftliche Konsens sollte in einem 10-Jahresplan folgende Punkte beinhalten:

  • Durch die Parlamente und die Regierungen auf allen Ebenen (Kommunen, Länder, Bund) werden der jeweilige Rahmen für die Energie- und Verkehrswende gesetzt, z.B. Klimabudgets für Unternehmen und Produkte (Pariser Klimaabkommen).
  • Massiver Ausbau regenerativer Energie (Wind und Sonne) einschließlich der dafür erforderlichen Infrastruktur (Energiewende).
  • Subventionen der Autoindustrie werden in die Bahnindustrie umgeleitet – für die Bahnindustrie wird Planungssicherheit geschaffen.
  • Es werden Transformationsräte berufen, in denen auf den verschiedenen Ebenen (Land, Kommune, Region, Branche) neben Regierungund / Verwaltungen und Palamenten / Stadträten sowie Vertreter:innen der Autoindustrie gleichberechtigt Vertreter:innen der Gewerkschaften, der Kirchen, der Wohlfahrtsverbände, der Wissenschaft sowie Frauen-, Kinder-, Umwelt-, Klima- und Verkehrsinitiativen angehören.
  • Mit diesen Transformationsräten werden verbindliche Schritte der Transformation vorbereitet, durch die parlamentarischen Vertretungen beschlossen und durch die Regierungen finanziell abgesichert. Damit wird die Demokratie auf die Wirtschaft ausgeweitet und der große undemokratische Sektor privater Verfügung über das Leben von Millionen Menschen überwunden.
  • Die betriebliche Mitbestimmung wird gestärkt, mit öffentlichen Geldern werden Arbeitsplätze und gute Arbeit gefördert.
  • Es wird ein Transformationsfond gebildet analog den Transformationsfonds für den Kohleausstieg und den Klimaschutz.
  • Mit diesen Instrumenten wird in einem Zeithorizont von 10 Jahren die Autoindustrie geschrumpft und in gleichem Umfang die Bahn- und Busindustrie vergrößert. Das Projekt der Verkehrswende ist damit weitgehend beschäftigungsneutral.

Ein Wettbewerb, wie er derzeit zwischen Tesla in Grünheide und Volkswagen in Wolfsburg inszeniert wird, wird weder der ökologischen noch der sozialen Dimension der Transformation gerecht, sondern heizt die Konkurrenz zu Lasten von Mensch und Natur an. Eine Beteiligung von Linken und Gewerkschaften an diesem Wettbewerb um die günstigsten Bedingungen zur Kapitalverwertung würde die Ansprüche an Interessenvertretung und an den Klimazielen konterkarieren. An der Auseinandersetzung mit den Autokonzernen, an mehr Demokratie in der Gesellschaft und in der Wirtschaft führt bei der sozial-ökologischen Transformation und der Verkehrswende kein Weg dran vorbei.

 

Verschriftlichter und leicht ergänzter Beitrag bei der Konferenz von Friedrich-Schiller-Universität, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut der Hans-Böckler-Stiftung und der Rosa-Luxemburg-Stiftung am 29./30. April 2022 in Jena: Gewerkschaften und Machtressourcen in der großen Transformation.

Links:

  1. https://www.rosalux.de/publikation/id/45696/spurwechsel-buch
  2. https://www.nabu.de/imperia/md/nabu/images/umwelt/verkehr/broschuere_buendnis_sozialvertr__gliche_mobilit__tswende.pdf