Was Care-Arbeit und Klimaschutz verbindet

Die Care-Arbeit oder Sorgearbeit bleibt auch in der Corona-Krise vor allem an den Frauen hängen. Ob Kinderbetreuung, Altenpflege, Haushalt oder Hilfe unter Freunden: Diese Arbeiten überlässt man überwiegend den Frauen, schließlich handelt es sich hier um unbezahlte Hausarbeit. Auch im aktuellen Entwurf zum Wahlprogramm der LINKEN spielt die Sorgearbeit eine Rolle. So heißt es dort: „In Deutschland leisten Frauen 50 Prozent mehr unbezahlte Sorgearbeit als Männer. Entsprechend haben Frauen weniger Zeit für andere Tätigkeiten oder sind gezwungen, sich zwischen Familie, Job und Freizeit aufzureiben. Nicht selten endet diese Vielfachbelastung in Burn-out und anderen Krankheiten.“

Der Druck wird immer größer

Die feministische Sozialwissenschaftlerin Gabriele Winker hat nun mit „Solidarische Care-Ökonomie“ ein Buch veröffentlicht, das auch für die alltägliche linke Politik vor Ort von Bedeutung ist. In dem Buch kommt die Empörung über ein Gesellschaftssystem zum Ausdruck, das insbesondere Menschen mit umfangreichen Sorgeaufgaben unter immer größeren Druck setzt, und auch der Wunsch, dem etwas entgegenzusetzen. Beides war schon Thema in Winkers Buch „Care Revolution“; das neue Buch ist sozusagen eine Fortsetzung und Zuspitzung. In der Zeit zwischen diesen Büchern hat die Autorin im Rahmen des Netzwerks Care Revolution, in dem sie aktiv ist, Erfahrungen mit ihrem Ansatz sammeln können, entlohnt und unentlohnt Sorgearbeitende sowie Menschen mit hohem Sorgebedarf in gemeinsam geführten Kämpfen zusammenzubringen.

Die Entwicklungen der letzten Jahre legten dabei das Thema des neuen Buchs nahe: Zum einen sind die Arbeitsbedingungen in Krankenhäusern und Pflegeheimen oder auch niedrigen Altersrenten von Frauen, die viel Familienarbeit geleistet haben, Gegenstand vieler Medienberichte. All dies gilt jedoch auch für die Klimakatastrophe. Auch hier ist die Bedrohlichkeit der Entwicklung überall in Zeitungen und Fernsehen präsent, auch hier hat sich eine Protestbewegung mit eindrucksvollen Mobilisierungen entwickelt, und dennoch ändert sich viel zu wenig.

Überlastung mit fatalen Folgen

Die Parallelen sind offensichtlich und diesen geht Gabriele Winker nach. Sie betrachtet zunächst getrennt, wie beruflich und familiär Sorgearbeitende überlastet sind und die Emissionen von Treibhausgasen nicht im erforderlichen Maß zurückgefahren werden. Bei der Frage nach den Ursachen stößt sie darauf, dass sowohl die Sozialpolitik wie auch die Klimapolitik gegenwärtig vor allem als wirtschaftspolitische Maßnahmen gestaltet sind. Deswegen ist das Ergebnis dieser Politiken für die Sorgearbeitenden wie für das Klima zwangsläufig „too little, too late“. In einer kapitalistischen Gesellschaft, die auf Konkurrenz beruht und die ohne Wachstum nicht auskommt, kann das auch nicht anders sein. Zudem werden nicht entlohnte Arbeit und natürliche Ressourcen, weil sie keinen Preis haben, als stets vorfindbar und immer nutzbar angesehen und entsprechend rücksichtslos behandelt.

An diesem Punkt drückt sie sich nicht um die Frage, wer denn für diese Veränderungen sorgen soll. Stattdessen untersucht sie, wie Menschen an den Grenzen ihrer Belastbarkeit selbst etwas verändern: durch individuelle Verringerung der Arbeitszeit, Erfahrungen in der Freiwilligenarbeit oder durch politische Aktivität. Aufgabe einer gesellschaftlichen Linken ist es, Schritte zu formulieren, die Menschen handlungsfähiger dort machen, wo sie Probleme verspüren, und die gleichzeitig die Überlastung der Umwelt und der Sorgearbeit verringern. Letztlich müssen diese Schritte aus dem Kapitalismus herausführen.

Die einzelnen Elemente, die Winker vorstellt – beispielsweise Verringerung der Erwerbsarbeitszeit, bedingungsloses Grundeinkommen, Ausbau und Demokratisierung der sozialen Infrastruktur, Unterstützung alternativer Wohn- und Betriebsformen – überprüft sie daraufhin, was sie zur Entlastung Sorgearbeitender und als Beitrag gegen den Klimawandel leisten. Letztlich geht es um den Weg in eine Gesellschaft, die auf Geld und Lohnarbeit verzichten kann und in der „nicht mehr Konkurrenz, sondern Solidarität das zentrale Gestaltungsprinzip ist.“ (S.191)

Diskussionsstoff für den politischen Alltag

Eingangs habe ich versprochen, dass dieses Buch nicht nur wissenschaftliche oder politische Neugier befriedigt, sondern auch für den politischen Alltag relevant ist. Dies gilt jedenfalls dann, wenn sich Mitglieder der Partei DIE LINKE zugleich als Teil sozialer Bewegungen verstehen. Sofern die vorgestellte Analyse und die politischen Schlussfolgerungen einleuchten, lässt sich unter anderem dies mitnehmen: Die drohende Klimakatastrophe, aber auch die zunehmende Schwierigkeit, sich hinreichend um sich und um in hohem Maß Sorgebedürftige zu kümmern, drängen zum schnellen Handeln. Zugleich ist eine Lösung der grundlegenden Probleme im Kapitalismus nicht möglich. Das müssen wir gerade uns selbst deutlich klarmachen.

Mehr Zeit für Sorge und der Wunsch, sich gegenseitig zu unterstützen, stecken hinter vielen individuellen Entscheidungen – von der Verkürzung der Lohnarbeitszeit bis zu sozialem und politischem Engagement. Solche Wünsche und Praxen können wir aufnehmen, wenn wir die Beschränkung von Besitz und Konsum, die Verweigerung von Leistung und Erwerbstätigkeit um ihrer selbst willen als Option auf reichere Beziehungen verstehen. Das positiv, nicht als Verzicht, darzustellen, fällt uns noch viel zu schwer. Selbstverständlich gilt dabei: Je reicher, desto mehr ist die Veränderung der Lebensweise erforderlich. Arme brauchen vor allem Umverteilung, soziale Absicherung und eine funktionierende staatliche Infrastruktur.

Zur Autorin: Gabriele Winker ist Professorin für Arbeitswissenschaft und Gender Studies an der TU Hamburg-Harburg und Leiterin des Arbeitsbereichs Arbeit-Gender-Technik. Ihr Interesse gilt feministischen Theorieansätzen im Bereich der Arbeits-, Internet- und Techniksoziologie. Sie möchte diese Erkenntnisse für politische Praxen nutzbar machen, die neoliberale Herrschaftsstrukturen herausfordern und transformieren.

Solidarische Care-Ökonomie
Revolutionäre Realpolitik für Care und Klima
Von Gabriele Winker
Erschienen bei transcript-Verlag
ISBN: 978-3-8376-5463-9
Preis: 15,00 Euro