Sookees Kolumne

Wissen hinter den Kulissen

Wer von der Zuwendung und Aufmerksamkeit vieler Menschen lebt, darf gerne auch zugewandt und aufmerksam gegenüber der Gesellschaft sein, aus der ihm Zuspruch und Geld entgegenströmen. Um so unangemessener finde ich es, wenn prominente Personen respektlos mit ihren Fans und Unterstützer*innen umgehen. (Andersrum ist es natürlich auch indiskutabel, wenn sich das Publikum dem Menschen auf der - wie auch immer gearteten Bühne - grenzüberschreitend verhält.)
Je lauter also die Beschallung, desto bewusster der Umgang mit dem Mikrofon. Wenn jemand sonntags mit dem Fahrrad einen kleinen Feldweg entlangtuckelt ist die Verantwortung ungleich geringer, als wenn sie einen vollbesetzten Linienbus durch den hektischen Stadtverkehr in der Rushhour lenkt. Wer gefeiert werden will, muss sich mit der damit einhergehenden Verantwortung auseinandersetzen.

Kritik muss erlaubt sein

Weiterhin bin ich kein Fan vom Mythos des Rampenlichts. Musiker*innen, Spitzensportler*innen, Schauspieler*innen, Konzernchef*innen und andere gesellschaftlich hochdimensionierte Personen, sind ganz normale Leute - nur eben mächtiger, einflussreicher als die meisten. Dennoch und deswegen muss man sie für ihre Äußerungen oder Taten kritisieren dürfen, so wie man sie auch für ihre Leistungen bewundern darf. Genau wie jeder andere Mensch sind sie mehr als nur ihre Arbeit, ihre Performance, ihre selbstgewählte Öffentlichkeit. Was nicht heißt, dass sie sensible Details ihres Privatlebens teilen müssen. (Ganz im Gegenteil: Mich schüttelt es, wenn Promis ihre Babys und Kinder vor die Kamera ziehen und so deren Persönlichkeitsrechte verletzen.) Aber es gibt Bereiche des Privaten, die sind politisch von Bedeutung. Insbesondere, wenn sie gesellschaftspolitische Fragen betreffen.
Kurz: Mich interessiert, wie öffentliche Personen politisch gelagert sind. Wie mich grundsätzlich interessiert, wo Menschen politisch stehen.

Wechselseitigkeit zwischen Einzelperson und Kollektiv

In beiden Fällen geht es mir um eine Wechselseitigkeit zwischen Einzelperson und Kollektiv. In diesem Fall zwischen idealisiert-vergrößertem Individuum und der Gesellschaft, die jenem Individuum den Lebensunterhalt ermöglicht. Das bedeutet nicht, dass öffentliche Personen ihren Follower*innen entgegen der eigenen Überzeugung nach dem Munde reden oder sich für gute Zwecke einsetzen sollen, bloß weil es gerade gut ankommt. Vielmehr geht es um eine ehrliche Positionierung. Die eben gegebenenfalls auch angreifbar macht, oder dafür sorgt, dass sich Teile des Publikums lautstark abwenden:

Wenn eine Fernsehmoderatorin die Auseinandersetzung mit diskriminierungssensibler Sprache nervig findet - kann sie es sagen.

Wenn eine Tennis-Legende die Grenz- und Asylpolitik der EU menschenverachtend findet - soll sie es die Öffentlichkeit wissen lassen.

Wenn ein Unternehmer zugunsten seines eigenen Bankkontos die Idee einer Reichensteuer ablehnt - darf er dazu stehen.

Wenn eine Schriftstellerin meint, transgeschlechtlichen Menschen die Existenzberechtigung absprechen zu müssen - dann steht ihr das frei.

Wenn eine Schauspielerin sich kompromisslos gegen häusliche Gewalt aussprechen möchte - soll ihr jeder Kanal zur Verfügung stehen.

Und wenn ein Schlagersänger parteipolitisch aktiv werden und die SPD im Wahlkampf unterstützen will - dann möge ihn nichts daran hindern.

Ich trenne nicht zwischen Künstler*in und Werk

Es geht dabei nicht um falsch und richtig, es geht um ob und wie. Und um Transparenz.
Ich trenne nicht zwischen Künstler*in und Werk. Wenn ich weiß, dass ein Sänger über Jahrzehnte minderjährige und junge Frauen missbraucht, können die Hits noch so schön sein. Und andersrum sehe ich jemanden, der sich so couragiert zeigt, sich gegen menschenverachtende Ideologien zu positionieren, auch wenn die Ticketverkäufe dadurch bei der nächsten Tournee etwaszurückgehen, mit anderen Augen.

Das ist übrigens kein Argument für Cancel Culture: Es gibt Verhaltensweisen, die sind unverzeihlich. Insbesondere wenn die besagten Personen - und ja, ich sprach eben von R. „I Believe I can Fly“ Kelly - absolut uneinsichtig sind und ihre Taten trotz erdrückender Beweislast durch zahlreiche Zeuginnen leugnen.
Aber es gibt Fälle - insbesondere in Bezug auf Äußerungen oder Meinungen -, in denen haben sich öffentliche Personen ihren Verhaltensweisen und Handlungen gestellt. Haben Kritik gehört und ernst genommen. Haben anderen die Möglichkeit gegeben, in den Lernprozessen mitzuwachsen, mitzulernen. Haben sich entwickelt, haben es anders gemacht, haben es besser gemacht. Waren Menschen.

Ich will mich nicht blenden. Ich will wissen, woran ich bin. Bei mir, bei dir, bei Natalia Wörner, Kanye West, Nina Hagen, Thomas Gottschalk, Olivia Jones und J.K. Rowling. Ich will nicht nur eindimensional vor mich hinkonsumieren, was mir medial oder kulturell geboten wird. Ich will die politisch denkenden Menschen hinter dem Entertainment sehen. Einschätzen, einordnen können, wer aus welcher Haltung heraus welche Arbeit ins öffentliche Leben, in gesellschaftliche Prozesse spült. Kerstin Ott und Andreas Gabalier - das ist schon ein gewaltiger Unterschied.