Debatte

Ist DIE LINKE eine Akademikerpartei?

Ohne Abi kein Zutritt?

Was wollen und woher kommen die LINKE-Mitglieder?

DIE LINKE steckt in einem großen Umbruchprozess. Im Westen verjüngt sich die Partei stark, im Osten dünnt sie vor allem in der Fläche aus. Ein Umbruch ohne größere Debatten ist in der LINKEN undenkbar. Nun diskutieren wir darüber, ob wir eine Akademikerpartei geworden sind und wie wir die Arbeiter*innen zurückholen. Die Vorschläge reichen von einfacher Sprache bis zu mehr Toleranz und Aktivismus. Aber was sagen eigentlich die Mitglieder? Was wollen Akademiker*nnen, was Arbeiter*nnen, was Männer und Frauen in unserer Partei?

DIE LINKE – Akademiker- oder Arbeiterpartei?

DIE LINKE ist weder das eine, noch das andere. Bei den Vorgängerparteien PDS und WASG sah das etwas anders aus. Die PDS-Mitglieder waren mehrheitlich Akademiker*innen und vor allem Rentner*innen. DIE LINKE hat sogar weniger Akademiker*innen als die PDS, obwohl die Anzahl der Akademiker*innen in den letzten Jahrzehnten rasant gestiegen ist. Das liegt vor allem an der zweiten Vorgängerpartei, der WASG. Mit der WASG kamen viele gewerkschaftlich Organisierte zur LINKEN. Dieser Trend hat in den letzten Jahren etwas abgenommen. Mittlerweile kommen etwas weniger Arbeiter*innen zur LINKEN. Daraus aber abzuleiten, dass DIE LINKE eine Akademikerpartei geworden ist, ist murks. Im Gegensatz zu SPD und Grünen gibt es in der LINKEN Arbeiter, Angestellte, Erwerbslose und eben nicht nur Gutverdiener aus der Mittelschicht.

Wer ist aktiver: SPD- oder LINKE-Mitglieder?

Zwar ist die Zahl der Parteimitglieder in den letzten 30 Jahren insgesamt gesunken, doch stieg das Aktivitätsniveau der Mitglieder in allen Parteien an (mit Ausnahme des Bereichs „Neumitgliederwerbung“). Vor allem weniger junge Menschen finden den Weg in die Parteien, diese sind aber umso aktiver. Allerdings ist das Aktivitätsniveau in den Parteien sehr unterschiedlich. Die aktivsten Mitglieder hat mit großem Abstand DIE LINKE. Sie hat die wenigsten inaktiven Mitglieder (alle anderen Parteien haben meist weit über 30 Prozent Inaktive). Dramatisch für DIE LINKE ist jedoch die regionale Ungleichverteilung. Während im Westen so mancher Kreisverband eher von Jüngeren getragen wird, sieht es im Osten anders aus. Ein Altersschnitt von 75 ist in vielen Basisgruppen in Kleinstädten normal. Diese Überalterung führt praktisch dazu, dass viele Aktivitäten nach und nach aufgegeben werden. Dadurch verschwindet aber auch die langjährige Verankerung und der Status als einzige Volkspartei des Ostens. Vergleicht man die Aktivitäten der LINKEN mit der SPD sieht der Trend schon anders aus. So gaben 2011 30 Prozent der SPD-Ortsvereine an, neben der Jahreshauptversammlung keine (!) weitere Veranstaltung durchgeführt zu haben.

Die einen Karriere, die anderen Kultur?

Die Parteien gelten als abgehoben, wenn man sich das aber genauer anschaut, fehlt in den Parteien vor allem eine gesellschaftliche Gruppe: die Mitglieder der Oberschicht. Wer viel Geld hat, nimmt offenbar anderweitig politisch Einfluss. In den Parteien gibt es trotzdem einen Akademikerüberhang. Informiertheit, viele Fähigkeiten wie Organisation und Redefähigkeiten sind Parteien wichtig. Das bevorteilt Akademiker*innen. Die Politik ist der einzige Bereich deutscher Eliten, den auch die Kinder der Mittelschicht erreichen können. Spitzenpositionen in Wirtschaft, Verwaltung, Justiz und Wissenschaft sieht in Deutschland weitgehend den obersten 3,5 Prozent vorbehalten.

Zwar sind die Parteien heute weniger akademisch im Vergleich zur Gesamtgesellschaft, trotzdem machen sie über die Hälfte der linken Mitglieder aus. Und die andere Hälfte? Bei den Aktivitäten der Mitglieder gibt es große Unterschiede. Je höher der Bildungsabschluss, desto eher sind Parteimitglieder ämterorientiert und umgekehrt. Andersrum steigt das Interesse an Geselligkeitsveranstaltungen und innerparteilichem Zusammensein mit einem niedrigen Bildungsabschluss an und nimmt bei höherem Bildungsgrad ab. Eine Akademisierung der Politik ist demzufolge nicht nur an bloßen Kennzahlen ablesbar, sondern auch am Alltagsgeschäft der Parteien.

Ein bloßer Fokus auf reine Politik, also Organisationsarbeit, Parlament, Aktivismus und Vorträge lässt die Interessen und Bedürfnisse eines Teils der Mitgliedschaft außen vor. Linke Massenparteien im Westen wie die kommunistischen Parteien in vielen Ländern haben daher immer stark auf Feste und Kultur gelegt. Wer über Akademikerparteien oder mehr Bewegung spricht, um die Arbeiter*innen zu erreichen, sollte sich das zu Herzen nehmen. Eine Partei, die mehr als nur AkademikerInnen anspricht, braucht eine große Organisation mit mehr Geselligkeit und unterschiedlichen Veranstaltungsformen und einem anderen Parteileben.

Über flatterhafte Akademiker und standhafte Hauptschüler

Wer tritt aus den Parteien aus? Auch hier gibt es große Unterschiede. Meist treten vor allem die Inaktive aus der Parteien aus. Je höher der Aktivitätsgrad desto unwahrscheinlicher ist ein Parteiaustritt. Diese Beobachtung macht klar, warum vor allem die Volksparteien Mitglieder verlieren. Sie haben den höchsten Anteil von passiven Mitgliedern.

Insgesamt gilt: Je höher der Bildungsgrad, desto eher tritt man in eine Partei ein. Vor allem junge männliche Akademiker treten am ehesten in Parteien ein. Sie sind zugleich die Gruppe, die am schnellsten wieder austritt. Je höher der Bildungsgrad, desto schneller der Parteiaustritt. Umgekehrt sind Hauptschüler besonders standhaft. Haben sie sich einmal für eine Mitgliedschaft entschieden, bleiben sie dabei. Auch das Alter spielt eine Rolle. Die wenigsten Parteiaustritte weisen Rentner*innen auf. Das dürfte den im Vergleich geringsten Anteil an Austrittswilligen in der LINKEN erklären.

Dennoch hatte DIE LINKE 2009 nur noch 50 Prozent Stammmitglieder. Stammmitglieder sind Mitglieder, die einen Parteiaustritt ausschließen. Mit der Verjüngung hat DIE LINKE zwar mehr Eintritte, aber auch mehr Austritte. Gerade im Osten kann sich DIE LINKE nicht mehr auf ihren Mitgliederstamm blind verlassen, sondern steht politisch stärker in der Pflicht.

Warum treten Menschen heute in Parteien ein?

Wer politisch interessiert ist, tritt am ehesten in eine Partei ein. Das ist keine Überraschung. Interessanter ist hingegen, wer Mitglied einer Partei wird. Unter allen Parteien sind die Neumitglieder der LINKEN am wenigsten durch persönliche Ziele wie Karriere machen motiviert. Die meisten Neumitglieder wollen zusammen mit anderen politische Ziele durchsetzen und sich politisch informieren. Während bei den meisten Parteien ideologische Gründe für den Beitritt abnehmen, ist es bei der LINKEN umgekehrt. LINKE-Mitglieder wollen etwas und sie haben gesellschaftliche Ziele und Vorstellungen. Bei den konservativen Parteien sieht das ganz anders aus. Persönliche Vorteile spielen hier eine weitaus größere Rolle – auch bei der SPD.

Was tun?

Die innerparteilichen Debatten über Milieus und Klassen hängen zu sehr in der Luft. Statt darüber zu reden, wer nun was falsch macht, ist es besser über Maßnahmen zu sprechen, wie es besser geht. Und hier lässt sich von allen Seiten etwas lernen. Die Bewegungsaktiven haben Recht, wenn sie sagen, dass linke Parteien vom Konflikt leben. Neumitglieder kommen nicht durch gute Sacharbeit. Neumitglieder kommen, weil sie etwas verändern wollen. Die Kommunalpolitiker*innen wissen meist, wo es brennt und können so mit den BewegungsaktivistInen zusammenkommen. Wer aber bestimmte Gruppen ansprechen will, muss das in den Aktivitäten und Forderungen berücksichtigen. Wer ArbeiterInnen gewinnen und halten will, ja wer allgemein über den engen Kreis der Rund-um-die-Aktiven hinaus will, kommt an einem aktiven Kultur- und Parteileben nicht vorbei. Ohne eine gut funktionierende Basisorganisation mit Genossinnen und Genossen, die Neue einbinden und ausbilden, Vorträge und Feste organisieren, geht es nicht.

Zum Weiterlesen:

Matuschek, Ingo et al (2018): Gelebte Parteimitgliedschaft. Rosa Luxemburg Stiftung. Abschlussbericht.

Alemann, Ulrich von et al (2011): Parteimitglieder in Deutschland. Wiesbaden. VS Verlag.

Ehling, Janis (2020): (Linke) Parteien und und ihr Klassenbezug 1998-2017. In: Z Zeitschrift Marxistische Erneuerung 123.