Wo ein Wille ist ...
... ist kein Weg im Jobcenter
Die Stimmungsmache durch konservative und rechte Parteien beeinflusst Jobcenter und Gesellschaft negativ. Sie führt zu Schuldzuweisungen an Erwerbslose und ignoriert den Mangel an Arbeitsplätzen. Die Diskriminierung von Bürgergeld-Beziehenden wird so wieder allgegenwärtig. Und so sind wir wieder da, wo wir vor der Agenda 2010 waren.
Aber nicht nur die Gesellschaft und Politik allgemein, auch die Jobcenter lassen sich von dieser Stimmung beeinflussen. Es wird auf die Schwächsten unserer Gesellschaft draufgehauen und sie als Schuldige ausgemacht. Dass es kaum Jobs für Studierte und Fachkräfte gibt, wird ignoriert. Dass es weniger Arbeitsstellen gibt als Erwerbslose, wird ebenfalls ignoriert. Dass Erwerbslose mit dem Stempel Bürgergeld im Vorfeld bereits durch die Arbeitgeber:innen aussortiert werden, wird nicht gesehen. Diese Aufzählung ist genauso alt, wie Hartz V. Dass Sanktionen kontraproduktiv sind, ist altbekannt. Und trotzdem fängt man wieder mit dem Alten an.
Seit über einem viertel Jahrhundert agiere ich in der Sozialberatung innerhalb der gesamten Palette der Sozialgesetzbücher. Das Gros der Beratung beinhaltet die Beratung und Begleitung innerhalb der Jobcenter und der Grundsicherung bei Erwerbsminderung und im Alter. Meine Erfahrungen bei den Leistungsbescheiden: Rund die Hälfte der Bescheide im Jobcenter sind fehlerhaft, insbesondere bei Nebenkosten und Mietangaben. Das führt zu vielen Überprüfungsanträgen, denen meist stattgegeben werden müssen. Mit Beginn des sogenannten Bürgergeldes relativierte sich das etwas.
Aber mittlerweile sind wir wieder auf dem Stand vor dem Bürgergeld. Wenn zum Beispiel auf den ersten Blick ersichtlich ist, dass die Nebenkosten gerade mal einen niedrigen zweistelligen Betrag beinhalten, bräuchte es eigentlich keine Ausbildung, sondern nur gesunden Menschenverstand um zu erkennen, dass hier ein Fehler vorliegt. Oder, wenn ein Kind im Bescheid fehlt, oder wenn die Miete gar nicht erwähnt wird. Der Fantasie, und in den Fällen muss ich von Fantasie sprechen, sind hier keine Grenzen gesetzt. Wäre ich böse, schrieb ich jetzt von Willkür. Wenn ein Mietvertrag vorliegt, ist doch die logische Konsequenz, dass die angemessene Miete im Leistungsbescheid berechnet werden muss.
Von wegen Augenhöhe
Im letzten Koalitionsvertrag der Ampel-Koalition hieß es noch: „Die gesetzlichen Rahmenbedingungen verändern wir so, dass künftig eine Beratung auf Augenhöhe möglich ist und eine Vertrauensbeziehung entstehen kann.“ Das mit der „Augenhöhe“ in den Jobcentern ist aber so eine Sache. Sie scheint dort relativ und so vergänglich zu sein, wie die Ampelregierung.
Aber vielleicht nehme ich es mit der „Augenhöhe“ auch zu genau und sie bezieht sich nur auf die Integration in den Arbeitsmarkt. Was zählt schon Geld. Vielleicht lebt der Mensch ja auch nur von Luft und Liebe. Ein solcher Zynismus scheint in den Jobcentern vorzuherrschen, wenn ich all die Überprüfungsanträge zusammenzähle, die ich den vielen Jahren geschrieben habe. So erzählte mir doch letztens ein guter Bekannter aus einer Widerspruchsstelle eines Jobcenters, das die Widersprüche stetig steigen.
Die Jobcenter wissen, dass nur wenige Personen Widerspruch einlegen. Vielleicht aus Unwissenheit oder Angst vor den bürokratischen Vorgängen. Und so wird viel Geld bei denen gespart, die am dringensten auf Unterstützung angewiesen sind. Derzeit begleite ich eine Person, deren Überprüfungsantrag über mehrere hundert Euro voll entsprochen wurde. Parallel versuchte sie verzweifelt einen Termin in ihrem Jobcenter für ein Wiedereinstiegs-Coaching zu bekommen, damit sie anschließend sich erfolgreich bewerben kann. Sie hat zwei Ausbildungen, war jedoch aufgrund der Kinder länger zu Hause. Null Chance für einen Termin. Und dann plötzlich per Mail: „Kommen sie morgen.“ Das nenne ich keine Augenhöhe. Sie kam trotzdem. Und sie ist beileibe kein Einzelfall. Fazit: Trotz Bemühungen fehlt oft Unterstützung wie Coachings, und Termine werden selten oder nur kurzfristig angeboten. Menschen wollen arbeiten und bekommen durch die Jobcenter oftmals keine oder wenig Unterstützung.
Falsche Kritik von der Politik
Unsere neue Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) sieht andere Probleme. Die aktuelle Bundesarbeitsministerin fordert Konsequenzen bei versäumten Terminen, was als Rückkehr zu Sanktionen und Hartz-IV-ähnlichen Regelungen gesehen werden kann. Das entspricht nicht dem Bürgergeld-Gedanken, auf dessen Durchsetzung die SPD in den Ampeljahren eigentlich einmal stolz war. Beim Tag des Jobcenters in Berlin sagte sie: „Es sei keine Seltenheit, dass die Hälfte der Termine nicht wahrgenommen werde.“ Diese Statistik ist so alt wie Hartz IV. Aber die Wahrheit ist doch: Warum soll jemand ins Jobcenter gehen, wenn zu viele die Erfahrung gemacht haben, dass dort nicht geholfen wird? Dass man dort klein gemacht wird, wenn man dort für sein Recht kämpft? Aber statt die systemische Benachteilung von Leistungsberechtigten anzugehen, holt Bas die Rute raus: „Ein Termin im Jobcenter muss auch wahrgenommen werden – wenn nicht, muss das auch spürbare Konsequenzen haben.“ Damit meint sie nichts anderes, dass Unterstützung an Duckmäusertum gebunden werden soll. Bürgergeld ade, Hartz V sei gegrüßt.