CONTRA - BGE

Mit dem BGE zementiert sich die Ungleichheit

Verstärkt begründet die BAG Grundeinkommen ihre Initiative zum Mitgliederentscheid mit Umfrageergebnissen, nach denen eine Mehrheiten die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) begrüßt. „Mit einer Entscheidung, die als ein Nein zum Grundeinkommen gewertet würde, stellen wir uns in Widerspruch zu über 70 Prozent unserer Wähler*innen. Solch eine Entscheidung  würde uns von den normativen Ressourcen abschneiden, die in der Gesellschaft auf eine solidarische Erneuerung des Sozialstaates drängen“, wirbt Katja Kipping auf ihrer Homepage für ein Ja zum Mitgliederentscheid.

In der Tat zeigen die letzten Umfragen, dass unter dem Eindruck der Corona-Pandemie die Angst vor sozialen Verwerfungen zunimmt und sich mittlerweile eine Mehrheit der Menschen für die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens ausspricht. Leider wissen wir nichts über die genaue Fragestellung der Umfragen und auch nur wenig über ihre Repräsentativität, um anhand der Ergebnisse gesellschaftliche Kräfteverhältnisse abschätzen zu können. Eine starke sozialistische Linke darf ihre politische Strategie jedoch nicht an Umfrageergebnissen ausrichten, sondern muss vielmehr politisch die Frage klären, ob ein bedingungsloses Grundeinkommen wirklich eine solidarische Antwort auf die Forderung nach der „solidarischen Erneuerung des Sozialstaates“ ist. Richtig ist, dass der Sozialstaat nach der Agenda 2010 brüchiger geworden ist und eine stärkere Absicherung notwendig wäre. Das BGE ist im Kern aber eine Aufkündigung des Solidargedankens. Dieser besteht darin, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gestaffelt nach Einkommenshöhe in die Sozialversicherungen einbezahlen, um im Falle von Arbeitslosigkeit, Krankheit oder Alter sozial abgesichert zu sein. Das BGE ist jedoch eine Art Mindestsicherung, die unabhängig von Arbeitslosigkeit, Krankheit oder Alter immer gleich hoch bzw. gleich niedrig bleibt. Die Aufkündigung eines beitragsfinanzierten Versicherungssystems zugunsten eines steuerfinanzierten Mindestsicherungssystems wird den Sozialstaat nicht „solidarisch erneuern“, sondern die bestehende Ungleichheit weiter zementieren.

Die Grundidee des BGE, das Einkommen von der Erwerbsarbeit abzutrennen, mag innovativ klingen, ist aber im Kern konservativ. Sie erklärt die Möglichkeit eines leistungslosen Einkommens, das im Kapitalismus nur wenigen vorbehalten ist, zum Normalfall und streut den Menschen damit Sand in die Augen. Die Verteilungsschieflage bleibt weiterhin unangetastet. Stattdessen wird suggeriert, dass jeder die freie Entscheidung hat, mit 1.200 Euro Grundeinkommen auszukommen oder zusätzlich einer Erwerbsarbeit nachzugehen. Dass sich aber für den Immobilienbesitzer, der aus der Vermietung von Wohneigentum Einkommen generiert, die Notwendigkeit eines Zuverdienstes weit weniger dringlich stellt als für die Fachverkäuferin, die vermutlich auch dann kein Wohneigentum erwerben können wird, wenn sie ihr Grundeinkommen mit zusätzlicher Arbeit aufbessert, bleibt als grundsätzliche Ungerechtigkeit unberücksichtigt. 

„Das bedingungslose Grundeinkommen ist nach dem Lebensmodell eines reichen Müßiggängers konstruiert“, sagt der Kölner Politikprofessor Christoph Butterwegge und stellt die Frage, wie gerecht die voraussetzungslose Verteilung einer beliebigen Geldsumme an alle sein kann. Der Unternehmensmanager bekommt genauso viel Grundeinkommen wie der Kantinenkoch, Der Universitätsprofessor genauso viel wie die Reinigungskraft. Der Chefarzt genauso viel wie die Krankenschwester. Aber was hat eine Verteilungspolitik, die allen den gleichen Betrag Geld aushändigt und dabei ignoriert, dass die Voraussetzungen des Zuverdienstes höchst unterschiedlich sind, mit sozialer Gerechtigkeit zu tun? Wirklich frei in ihrer Entscheidung dazu zu verdienen oder zu Hause zu bleiben, sind der Manager, der Universitätsprofessor und der Chefarzt, nicht aber die Fachverkäuferin, die Reinigungskraft oder die Krankenschwester. Die gleichwertige Behandlung von Menschen mit unterschiedlichen Voraussetzungen hat nichts mit sozialer Verantwortung zu tun, sondern ist Ausdruck sozialer Achtlosigkeit. Wer nicht gezielt unterstützen möchte, sondern Geld pauschal verteilt, interessiert sich nicht für Menschen, die verschuldet oder unverschuldet in eine sozial prekäre Lage geraten sind, und ignoriert rücksichtslos, dass Unterstützung konkret und fallbezogen sein muss. Das bedingungslose Grundeinkommen ähnelt der alten bürgerlichen Sehnsucht nach allgemeiner Freiheit und lässt dabei die Notwendigkeit sozialer Freiheit unbeachtet. In der Konsequenz führt dieser Ansatz nicht zur Beseitigung, sondern zur Verfestigung von Ungleichheit.

Die BAG Grundeinkommen in der Partei DIE LINKE hat sich viel Mühe gegeben, sich von den neoliberalen BGE-Konzepten abzugrenzen. Die Genossinnen und Genossen verweigern sich völlig zu Recht gegen die Streichung sozialstaatlicher Leistungen und haben die Idee des Grundeinkommens mit der Forderungen nach kostenloser Bildung oder der kostenlosen Nutzung des ÖPNV zu einem „emanzipatorischen Grundeinkommen“ ausgeweitet. Ihre Bemühungen um einen sozialen Ausgleich müssen anerkannt werden. Doch sie unterschätzen den Wind, der in die Segel neoliberaler Projekte bläst und das Risiko für diejenigen, die in diesem Windschatten auf soziale Gerechtigkeit hoffen. Schon einmal hat der Diskurs über die Entkoppelung sozialpolitischer Leistungen von der Erwerbsarbeit zu einer Reform des Sozialstaates geführt. Diese hat jedoch nicht zu seiner Verbesserung, sondern zu seiner Verschlechterung beigetragen. Dabei waren die Verfechter der Grundsicherung in das Fahrwasser der Aktivierungsdebatte geraten, die in den 90er Jahren die Integration der Arbeitslosen in den Arbeitsmarkt forcieren und unter dem Stichwort des „Förderns und Forderns“ staatliche Unterstützung an die Annahme unzumutbarer und schlecht entlohnter Arbeit knüpfen wollte. In der Konsequenz hatten sich unterschiedliche Debatten über den Umbau des Sozialstaates überlagert und im Ergebnis zur Einführung von Hartz IV geführt.

Diesen Zusammenhang arbeiten Christof Schiller und Anke Hassel in ihrem sehr lesenswerten Buch „Der Fall Hartz IV. Wie es zur Agenda 2010 kam und wie es weitergeht“ heraus. Darin identifizieren sie zu Beginn der 2000er Jahre drei ursprünglich getrennt voneinander stattfindende Debatten zum Umbau des Sozialstaates. Trotz unterschiedlicher Ursprünge, Voraussetzungen und Handlungslogiken war diesen drei Debatten eine neue und liberalere Grundphilosophie des Verhältnisses zwischen Bürger und (Sozial)-Staat gemein. Sie befürworteten eine wachsende Unabhängigkeit des Einzelnen vom Staat und seinen Leistungen. Eine dieser Diskussion wurde von denjenigen geführt, die zur Bekämpfung der Armut eine Grundsicherung einführen wollten. Hinzu kam die Aktivierungsdebatte, die auf eine Verschärfung der Zugangskriterien, Arbeitsanreize und Sanktionen setzte. Schließlich verstärkte die Debatte über notwendige Reformen des öffentlichen Sektors und die Reform von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe den politischen Diskurs über die angebliche Reformbedürftigkeit des Sozialstaates. „Rückblickend werden die einzelnen Beiträge der unterschiedlichen Debatten zur Ausgestaltung von Hartz IV sichtbar: die Pauschalierung und Vereinheitlichung der Geldleistungen entstammt der Debatte um eine Grundsicherung; die verschärften Zumutbarkeitskriterien, Sanktionen und Kombilohnelemente entstammen der Aktivierungsdebatte und die Job-Center-Konzeption zweifelsohne der Debatte über Verwaltungsreformen“, fassen Hassel und Schiller zusammen und verweisen auf eine unbeabsichtigte und eigentlich undenkbare Interessenkoalition von Grundsicherungs- und Aktivierungsanhängern.

Die Grundsicherungsdiskussion wurde Mitte der 90er Jahre in allen großen Parteien, aber auch in den Wohlfahrts- und Sozialverbänden geführt. Während SPD, Grüne und PDS die neue Leistung deutlich über dem Sozialhilfesatz sahen und sich für 1.250 DM plus die Übernahme der Warmmiete aussprachen, mündeten die Diskussionen in CDU und FDP zur stärkeren Entkoppelung von Erwerbsarbeit und Existenzsicherung in die Forderung eines Bürgergeldes. Nach den Vorstellungen der FDP sollte es nicht höher als 550 DM monatlich ausfallen. Mietzuschüsse waren nicht vorgesehen. Gleichzeitig griffen mehrere Wirtschaftsforschungsinstitute die Idee einer Reform der Arbeitslosen- und Sozialhilfe in der öffentlichen Diskussion auf. Und schließlich legten ein Jahr vor der Bundestagswahl, im Sommer 1997, die Arbeitgeber ein Konzept zur Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe vor, das vor allem den Aktivierungsgedanken stärkte. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) präsentierte ein „Kombi-Einkommen-Modell“, mit dem sie vor allem auf die Schaffung eines Niedriglohnsektor abzielte. Stichworte waren die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe, Sanktionsmöglichkeiten und die Verschmelzung von Sozial- und Arbeitsämtern.

Die Diskussionen ebneten den Weg für eine Testphase, die im April 2001 mit den sogenannten MoZArT-Projekten begann. Ausgewählte Kommunen erprobten im Modellversuch eine effektivere Zusammenarbeit von Arbeits- und Sozialämtern. Insgesamt 30 Millionen Euro ließ sich die rot-grüne Bundesregierung den Modellversuch in insgesamt 28 Kommunen kosten. Zwei Jahre später war das Gesetzgebungsverfahren zur Einführung von Hartz IV in vollem Gange.

Die Entwicklung zeigt, dass die Interessen und Möglichkeiten derjenigen, die zum Angriff auf den Sozialstaat blasen, nicht unterschätzt werden sollten. Umfragen, Studien und Modellversuche beeinflussten die öffentliche Diskussion und bemühten sich um gesellschaftliche Akzeptanz. Durchgesetzt haben sich nicht die Vorstellung von 1.250 DM und die Übernahme der Warmmiete, sondern das repressive Hartz IV-System, das Arbeitslose drangsaliert und Belegschaften diszipliniert. Diese Entwicklung zeigt, dass es gesellschaftliche Interessen für die Abschaffung des Sozialstaates gibt und die Durchsetzung eines Grundeinkommens in seiner neoliberalen Variante dafür ein geeignetes Mittel ist.

Auch heute scheinen sich Umfragen und Modellversuche um eine gesellschaftliche Akzeptanz für ein bedingungsloses Grundeinkommen zu bemühen und sind im Kern ein weiterer Angriff auf das Solidarprinzip und die Idee, dass starke Schultern mehr Verantwortung tragen müssen als schwache. Der Sozialstaat ist Ausdruck geführter Klassenkämpfe - von oben wie von unten. Zentrale Bestandteile wie die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall mussten Arbeitgebern und Regierung in langen Streikauseinandersetzungen abgetrotzt werden. Gleichzeitig zeigt die Durchsetzung der Agenda 2010 die Entschlossenheit der herrschenden Klassen, den Sozialstaat abzutragen. Dieser Diskussion muss sich DIE LINKE an der Seite von Gewerkschaften und Sozialbverbänden entgegenstellen. anstatt auf ein Grundeinkommen in einer sozialen Variante zu hoffen und dadurch die Tore für die Angriffe auf den Sozialstaat weit aufzumachen.