Das halbe Krankenhaus im Stadion

In Berlin organisieren sich die Krankenhaus-Beschäftigten wie nie zuvor.

La Ola auf der Haupttribüne

Es ist Anfang Juli: Ich sitze auf der Haupttribüne der Alten Försterei, dem Stadion des 1. FC Union Berlin, die Stimmung ist elektrisierend aber heute dreht es sich nicht um Fussball. Ich bin hier mit meinen Kolleg:innen von Charité und Vivantes. Wir sind an die 1.000 Leute. Viele von uns haben ver.di–Westen an und halten mitgebrachte Schilder hoch. Schon wieder rollt eine La-Ola-Protest-Welle von rechts nach links. Hammer! In den letzten beiden Tagen hatten wir einen Ratschlag der Berliner-Krankenhaus-Bewegung, wir haben über unsere Forderungen gesprochen und uns auf mögliche Verhandlungsszenarien vorbereitet. Hier in der Alten Försterei sind heute auch Vertreter:innen der regierenden Parteien da und wir sagen nochmals ganz klar was wir wollen: Einen „Tarifvertrag Entlastung“ für Charité und Vivantes und die Bezahlung nach TVöD bei den Tochter-Unternehmen von Vivantes. Und zwar noch vor den Berliner Abgeordnetenhauswahlen diesen September!

Die Beschäftigten haben die Nase voll!

In der Berliner Krankenhaus-Bewegung haben sich die Kolleg:innen von Charité und Vivantes zusammengeschlossen und organisiert, um seit Anfang des Jahres genau diese Forderungen durchzusetzen. Zentral ist, dass es hier um alle Beschäftigten geht egal aus welchem Bereich sie sind, egal ob aus der Reinigung, der Wäscherei, der Pflege oder dem Labor. Es geht um verbindliche Personalvorgaben auf den Stationen und in den Bereichen, damit wir alle dort endlich bessere Arbeitsbedingungen haben. Werden die von uns geforderten Besetzungen nicht eingehalten, muss es einen wirksamen Belastungsausgleich geben, in Form von zusätzlichen freien Tagen, die jedem zustehen, wenn er eine bestimmte Anzahl von Diensten überlastet gearbeitet hat. Gleichzeitig wird eine bessere Besetzung auch zu mehr Patient:innensicherheit auf den Stationen beitragen und allen Berliner:innen eine bessere Gesundheitsversorgung ermöglichen. Weiter fordern wir bessere Rahmenbedingungen für sie Auszubildenden in den Praxiseinsätzen und eine Bezahlung nach TVöD bei den outgesourcten Tochter-Unternehmen von Vivantes.

Das Ultimatum endet am 20. August

Raus aus dem Abseits: Die Beschäftigten sind zum Arbeitskampf bereit

Der Startschuss der Bewegung war eine Petitionsübergabe mit mehr als 8.000 Unterschriften an die regierenden Parteien Berlins und die Geschäftsführungen von Charité und Vivantes. Gleichzeitig haben wir ein 100 Tage Ultimatum gesetzt, dass am 20. August enden wird: Wenn sich bis dahin nichts tut, werden wir, um unsere Forderung durchzusetzen, streiken. Wir stellen also ganz gezielt die Berliner Politik vor den Abgeordnetenhauswahlen vor die Entscheidung. Bis jetzt haben sich 1.000 neue Kolleg*innen bei Charité und Vivantes gewerkschaftlich organisiert. Das zeigt wie sehr die Beschäftigten hinter den Forderungen stehen und was sie bereit sind dafür zu tun.

Das Thema Entlastung von Pflegekräften in den Krankenhäusern ist nicht neu. Schon 2015 gab es an der Charité die ersten Arbeitskämpfe; unmittelbar danach wurde ein Tarifvertrag abgeschlossen, der Vorgaben zu Personal und Überlastungssituationen festschrieb – ein Novum in Deutschland! Inzwischen konnten Beschäftigte von 20 weiteren Kliniken Abschlüsse dieser Art durchsetzen. Hierbei ist wichtig, dass die Verträge aufeinander aufbauen und die Kolleg:innen im Austausch voneinander lernen konnten. Ein weiterer entscheidender Fortschritt war die Durchsetzung von Regelungen, die konkrete Vorgaben für einzelne Bereiche beinhalten und den einzelnen Pflegekräften einen Belastungsausgleich ermöglichen. So ist es zum Beispiel an der Universitätsmedizin Mainz und am Universitätsklinikum Jena geregelt. Die Veränderungen kommen also von unten, von den Beschäftigten selbst.

Bundesregierung hat keine Antworten auf den Personalmangel

Dass sich die Beschäftigten selbst organisieren passiert auch, weil das Bundesgesundheitsministerium keine Antworten auf Personalmangel und Arbeitsverdichtung in den Krankenhäusern findet und die Situation mit Maßnahmen, wie der Einführung der Pflegepersonaluntergrenzen, sogar noch verschärft. Umso wichtiger ist daher die klare Positionierung der LINKEN, die sich entschieden für eine Abschaffung der Fallpauschalen einsetzt, gegen das Outsourcing im Gesundheitsbereich vorgeht und an der Seite der Krankenhausbeschäftigten die Kämpfe um Entlastung nicht nur unterstützt, sondern diese seit Jahren aktiv begleitet und mit vorantreibt. So geschieht es momentan auch in Berlin: Hier helfen uns Aktive der LINKEN bei Ansprachetrainings, bei Aufbautreffen und im Warnstreik. Gerade deswegen fordern wir von der LINKEN in Berlin aber auch keine schlechten Kompromisse einzugehen und weiter dagegenzuhalten da sich der Druck der Kliniken und von anderen Parteien, was zum Beispiel die Frage der Finanzierung angeht, zunehmend erhöht.

Zurück im Stadion: Es ist inzwischen dunkel geworden und die ver.di-Westen glitzern; ich kucke in viele glückliche, aber nicht weniger entschlossene Gesichter. Hier ist schon jetzt etwas zusammengewachsen, was es so noch nicht gab: Beschäftigte aus elf Krankenhäusern haben sich zusammengeschlossen, um etwas für sich zu tun und um für sich einzustehen. Wir sind fest entschlossen, uns das zu holen, was uns zusteht! Und wenn wir dafür streiken müssen, dann werden wir streiken.

Aktuelles zur Kampagne hier: instagram.com/davidwetzelguk[1]

David Wetzel ist Gesundheits- & Krankenpfleger an der Charité, Mitglied der ver.di Tarifkommission sowie des Koordinierungskreises der Berliner-Krankenhaus-Bewegung.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Links:

  1. http://instagram.com/davidwetzelguk