Ohne Krankenversicherung in der Pandemie

Bloß nicht krank werden! Spargelernte im Rheinland

„Kurzfristige Beschäftigung“ klingt unverdächtig, hat für Arbeitnehmer jedoch fatale Folgen. Sie ist eine Sonderform der sozialabgabenfreien Minijobs, die unter anderem in der Landwirtschaft gern genutzt wird. Der Unterschied zum „klassischen Minijob“ ist, dass nicht der monatliche Verdienst (450 Euro), sondern der zeitliche Umfang der Beschäftigung begrenzt ist. Im Normalfall ist die kurzfristige Beschäftigung auf 70 Tage im Jahr beschränkt. Sie wurde im vergangenen Jahr aber befristet auf 115 Tage (5 Monate) und dieses Jahr erneut auf 102 Tage (4 Monate) ausgeweitet. Für beide Minijobformen gelten sozialversicherungsrechtliche Privilegien. Kurzfristige Beschäftigung ist komplett sozialabgabenfrei – ein lukratives Angebot für Unternehmen. Für die meist ausländischen Beschäftigten hingegen heißt das, frei von sozialem Schutz zu arbeiten. Oft sind sie weder in der Kranken-, noch in der Renten- oder Arbeitslosenversicherung gemeldet. Das heißt konkret, dass sie im Fall einer Corona-Infektion die Behandlungskosten selber tragen müssen. Eine solche Regelung in Pandemiezeiten wiederholt auf den Weg zu bringen, zeigt deutlich, dass der Bundesregierung der Arbeits- und Gesundheitsschutz der Beschäftigten gleichgültig ist.
 

Bewusste Täuschung der Öffentlichkeit

Dieser Verdacht liegt umso näher, wenn man sich klarmacht, wie die Öffentlichkeit getäuscht wurde. Lobbyministerin Julia Klöckner behauptete, die Regierung habe für eine Krankenversicherungspflicht gesorgt. Sie verschwieg aber, dass diese sogenannte Meldepflicht erst ab 2022 gelten soll. Dem Fass den Boden schlägt aber die Art und Weise aus, wie diese Verlängerung ohne parlamentarische Debatte durch den Bundestag geschleust werden sollte. Heimlich, still und leise wurde diese sehr umstrittene Regelung an ein unstrittiges Gesetz zur Seefischerei angehängt. Der Plan der Regierungsfraktionen, das Gesetz ohne Debatte vom Bundestag abstimmen zu lassen, ging indes in die Hose. Der Linksfraktion ist zu verdanken, dass es eine Debatte und öffentliche Aufmerksamkeit für das Thema gibt.

Es geht um möglichst billige und flexible Arbeitskräfte

Julia Klöckner will ihren Vorstoß hingegen sehr wohl als Maßnahme des Gesundheitsschutzes verstanden wissen, denn längere Einsatzzeiten, so die Ministerin, würden Kontakte reduzieren und das Ansteckungsrisiko minimieren. Dieses Ziel lässt sich jedoch am besten durchsetzen, wenn die Beschäftigten ganz regulär und sozialversichert am Arbeitsort für die gesamte Dauer der Ernte eingestellt werden. Wenn die Bundesregierung stattdessen an prekärer Beschäftigung unbedingt festhalten möchte, dann muss sie auch offen benennen, worum es eigentlich geht. Erst recht, wenn die wachsende Kritik an fehlendem Krankenversicherungsschutz mit einer Meldepflicht ruhiggestellt werden soll, die ausdrücklich auch windige, private Schmalspur-Krankenversicherungen einschließt. Es geht, wie so oft, darum, der Landwirtschaftslobby den Wunsch nach billigen und flexiblen Arbeitskräften zu erfüllen.

Lobbyinteressen schamlos bedient

Aber die Landwirtschaftslobby war nur die treibende Kraft: Von der Ausweitung kurzfristiger Beschäftigung profitieren auch andere Branchen, wie die Logistik oder das Gastgewerbe. Es gehört zum Markenkern der LINKEN, gegen die Prekarisierung der Arbeitswelt anzukämpfen. Minijobs, Befristungen, Leiharbeit und andere Zumutungen haben die Lohnabhängigen gespalten, das Arbeitsrecht geschleift und die Sozialversicherungssysteme geschwächt. An der Seite von Gewerkschaften gegen die Ausbeutung ost- und südosteuropäischer Kolleginnen und Kollegen zu kämpfen, ist daher keine Frage der Moral, sondern essentieller Bestandteil linker Politik. Denn alle Lohnabhängigen, egal woher sie kommen, brauchen sozialen Schutz. Ob auf dem Bau, in der Gastronomie, der Logistik, in der Fleischindustrie oder in der Landwirtschaft: wenn man Kolleg*innen aus dem Ausland für Jobs holt, für die man hier niemanden findet, sind arbeitsrechtliche Standards und soziale Absicherung das Mindeste – alles andere ist Ausbeutung. Arbeits- und Gesundheitsschutz sowie soziale Absicherung am Arbeitsort sind essentielle Rechte und daher unteilbar!