KI: Gefährliche Algorithmen außer Kontrolle

"Brüssel intern" - In dieser Kolumne erfahrt ihr aus erster Hand, was sich im EU-Parlament gerade tut. Hier schreiben unsere EU-Abgeordneten über aktuelle Entwicklungen, politische Vorhaben und schauen für uns hinter die Kulissen. Auch wenn Brüssel und Strassburg oft weit weg erscheinen, werden die politischen Weichen doch längst auf EU-Ebene gestellt.

Seit Jahrzehnten für alle Realität, entdeckte die EU-Kommission erst 2014, dass Digitalisierung strategisch mehr politische Regeln braucht. Der Künstlichen Intelligenz (KI) widmet sie sich sogar erst seit 2019. Seit 2014 entwickelte die Kommission unzählige Gesetzesinitiativen, die die grenzüberschreitende Digitalisierung leichter, sicherer und verbraucherfreundlicher gestalten sollten. Davon dürften die Datenschutzgrundverordnung und die Urheberrechtsrichtlinie wohl die bekanntesten Gesetze sein.
Die Ergebnisse sind verzwickt und oft unausgegoren. Das lässt sich an den Upload-Filtern sehen, die Inhalte erkennen, aber inzwischen auch Terror bekämpfen sollen. Politik galoppiert bei der Digitalisierung ungefähr ein Zeitalter hinter den Tatsachen her, die Google, Apple, Facebook, Amazon und Microsoft, kurz der GAFAM-Komplex, längst geschaffen haben. Und wenn Regeln beschlossen werden, hat man oft nur Industrie oder Wirtschaft im Fokus.

Der politische Nachholbedarf ist enorm

Von den Medien kaum beachtet, verabschiedete das Europaparlament (EP) am 24. März einen Bericht zur Künstlichen Intelligenz in Bildung, Kultur und Medien[1]. Mit den Pandemie-Erfahrungen im Gepäck, fällt den meisten von uns mittlerweile Einiges mehr zum Thema ein: kein Breitband, fehlende soziale und technische Voraussetzungen, um die wenigen Angebote digitaler Bildung nutzen zu können. Und dabei sprechen wir noch lange nicht über diskriminierungsfreie Programme, digitale Kompetenzen und Datenschutz oder über die fehlenden IT-Kräfte in Bildungseinrichtungen. Und wenn es sie gibt, sind kaum Frauen dabei. Geht es dann noch um Künstliche Intelligenz in Bildung, Kultur und Medien, sind die Schrauben des politischen Nachholbedarfs besonders locker.
Das EP fordert nun, dass gerade in diesem Bereich eine Rechte basierte und diskriminierungsfreie KI besonders wichtig ist. Doch in der Bildung, beim Kulturaustausch und in den Medien haben wir es schon ein halbes Menschenzeitalter mit Algorithmen zu tun, die voller demokratischer Gefahren sind. Umso erstaunlicher ist, dass die EU-Kommission all diese Politikbereiche bisher so wenig beachtet.

Wo sind die Hochrisikobereiche?

Unsere Daten füttern die KI

Regeln schaffte sie hauptsächlich für sogenannte Hochrisikobereiche, aus denen sie Bildung & Co heraushielt. Als Hochrisikobereiche sieht die Kommission nur so etwas wie selbstfahrende Autos, bei denen geklärt werden muss, wie Haftungsfragen und damit der Verbraucher- und Datenschutz aussehen müssen. Letztlich bedeutet für die Kommission hohes Risiko nur hohe Kosten, für die jemand haften muss. Doch warum sollte Wahlbeeinflussung, wie beim Brexit durch Cambridge Analytica, nicht umgehend geregelt oder sogar verboten werden?
Gefahren gibt es genug: Fälschungen durch KI, sogenannte „Deep fakes“, nehmen in den Medien zu. In der Bildung muss KI erst recht mit Vorsicht eingesetzt werden, wollen wir diskriminierungsfrei und datensicher zu Werke gehen. Nun steht im Bericht, dass die Kommission endlich prüfen soll, ob Kultur, Medien und Bildung nicht längst auch Hochrisikobereiche sind, die politisch reguliert werden müssten. Was technisch klingt, käme einer politischen Revolution gleich. So könnte sich ein neues Denken in der Politik ausbreiten.

Als LINKE müssen wir uns hier einmischen!

Als LINKE stehen wir hinter dem Großteil der Forderungen des EP. Wir sehen jedoch nicht ein, warum die großen Plattformen wieder geschont werden und größtenteils nicht für ihre Inhalte haften sollen. Genauso wenig wollen wir, dass wieder Technologien, wie Upload-Filter, genau diese Haftungsfreiheit wettmachen sollen, indem diese die Meinungsfreiheit blockieren. Das ist nicht nur widersprüchlich. Es ist nicht mehr als eine schnell hingeworfene Scheinlösung, mit der die massiven Probleme der Macht des GAFAM-Komplexes bleiben; mit der die Angriffe auf unsere Demokratien weitergehen; und mit der unsere Daten zum Füttern Künstlicher Intelligenz schutzlos bleiben. Wenigstens haben diese wichtigen Debatten endlich begonnen. Als LINKE müssen wir uns hier einmischen! Sonst laufen wir Gefahr, dass es bei rein industriepolitischen Ansätzen bleibt. Diese sind weder bei der Digitalisierung noch bei der Künstlichen Intelligenz auf der Höhe der Zeit.

Martina Michels ist Leiterin der Delegation DIE LINKE. im Europaparlament und Sprecherin für Digitalisierung, Kultur-, Medien- und Regionalpolitik

Konstanze Kriese ist Mitarbeiterin im Büro von Martina Michels

Links:

  1. https://www.europarl.europa.eu/news/en/press-room/20210311IPR99709/ai-technologies-must-prevent-discrimination-and-protect-diversity