Vietnams Kommunistische Partei bricht interne Regeln

Der Alte ist der Neue: Nguyen Phu Trong bleibt Generalsekretär der KPV.

Der 13. Nationale Parteitag der Kommunistischen Partei Vietnams (KPV) fand vom 25. Januar bis 1. Februar 2021 statt. Die eingeladenen 1.587 KPV-Abgeordneten repräsentierten dabei die rund 5,1 Millionen KPV-Mitglieder. Für dieses wichtigste politische Ereignis Vietnams versammeln sich die Delegierten alle fünf Jahre in Hanoi, um die politischen Spitzenpositionen zu besetzen und die Weichen für die nächsten fünf Jahre (2021-2026) und darüber hinauszustellen.

Der diesjährige Parteitag steht hinsichtlich der wirtschaftlichen Ausrichtung in einer Linie mit den letzten sieben Parteitagen. Auf dem Parteikongress 1986 vollzog Vietnam die wichtigste politische Wende in seiner Geschichte und stellte die Weichen für die Doi Moi-Reformen, die das Land für eine "sozialistisch orientierte Marktwirtschaft" öffneten. Vietnam schaffte den Aufstieg von einem armen und politisch isolierten Land mit einem Pro-Kopf-BIP von 231 USD im Jahr 1985 zu einem Land mit mittlerem Einkommen und hoher wirtschaftlicher und politischer Integration mit einem Pro-Kopf-BIP von 2715 USD im Jahr 2019. Mit 14 aktiven Freihandelsabkommen (FTAs) hat Vietnam einen großen Schritt zur Integration seiner Wirtschaft in die globalen Wertschöpfungsketten gemacht und unterhält Handelsbeziehungen zu über 60 Volkswirtschaften, darunter 15 Mitglieder der G20.

Trotz dieser wirtschaftlichen Errungenschaften und einer wachsenden internationalen Integration steht das Land vor sozio-politischen, ökologischen und wirtschaftlichen Herausforderungen. Dies beginnt mit einem arbeits- und ressourcenintensiven Wachstumsmodell, Umweltzerstörung, einer steigenden Ungleichheit in der Gesellschaft und reicht bis hin zu einem intensiven Korruptionsproblem im politischen Sektor und in der breiteren Gesellschaft.

„Andauernder Krieg“ gegen die Korruption

Korruption wird von vielen vietnamesischen und internationalen Beobachter*innen als hauptsächliches Entwicklungsproblem Vietnams gesehen. Um dieses Problem anzugehen und das Vertrauen der Bevölkerung in das Einparteiensystem wiederzugewinnen, startete die KPV 2016 unter dem derzeitigen Generalsekretär Nguyen Phu Trong eine Anti-Korruptionskampagne, die zur Verhaftung und strafrechtlichen Verfolgung von Dutzenden hochrangigen Parteifunktionär*innen führte. Die Kampagne, die auch als eine Kampagne zur Beseitigung ehemaliger politischer Rivalen angesehen wird, zielt außerdem darauf ab, ein tief verwurzeltes korruptes System in der politischen Sphäre und innerhalb der Gesellschaft zu bekämpfen. Generalsekretär Nguyen Phu Trong bezeichnet die Korruption als eine „Krankheit des Volkes und als einen andauernden Krieg“.

Neben der Anti-Korruptionskampagne hat die KPV im letzten Jahr durch ihren schnellen, klaren und effektiven Umgang mit der Covid-19-Pandemie das politische Vertrauen in der Gesellschaft wiedergewonnen. Mit 1.882 Fällen und 35 Toten ist Vietnam eines der weltweit führenden Länder im Umgang mit der Covid-19-Krise.

Regieren mit Sondergenehmigung

Die zuvor durchgesickerten Informationen der letzten Sitzung des Zentralkomitees der KPV bestätigend, wird der 2011 und 2016 gewählte Generalsekretär Nguyen Phu Trong in seine dritte Amtszeit wiedergewählt. Er wird damit der älteste gewählte und dienstälteste Parteichef seit Le Duan sein, der von September 1960 bis 1986 als erster Generalsekretär und Parteichef amtierte. Diese Entscheidung steht im Widerspruch zu den Parteiregeln, die nur eine maximale Dauer von zwei Amtszeiten für die Position des Generalsekretärs erlauben.

Neben der „Zwei-Amtszeiten-Regel“ sieht die Parteisatzung eine Altersgrenze von 65 Jahren für eine Nominierung in die obersten vier Positionen, die "vier Säulen", vor, die mit Sondergenehmigungen in einem längeren Prozess durch das Zentralkomitee und hochrangige Parteiführer*innen aufgehoben werden kann. Normalerweise wird maximal eine Sondergenehmigung für den Generalsekretär erteilt. Dieses Mal wird es zwei solcher Sondergenehmigungen geben. Eine, die bereits für Generalsekretär Trong (77) erteilt wurde und eine höchstwahrscheinlich für den zukünftigen Staatspräsidenten Nguyen Xuan Phuc (67), der in der ersten konstituierenden Sitzung des neu gewählten Zentralkomitees bestätigt wird.

Des Weiteren gibt es eine ungeschriebene Regel, dass die "vier Säulen" im Verhältnis mit je einer Person aus Nord-, Zentral- und Südvietnam besetzt werden. In der aktuellen Situation stammt der Generalsekretär aus Nordvietnam, die drei anderen kommen geografisch aus Zentralvietnam und der Süden würde leer ausgehen.

Der parteiinterne Demokratisierungsprozess gerät ins Stocken

Neben dem regionalen Anteil gab es die große Hoffnung, dass mit der letzten Vorsitzenden der Nationalversammlung Nguyen Thi Kim Ngan - der ersten Frau seit über 40 Jahren in einer der vier wichtigsten Positionen - eine neue Geschlechterregel etabliert wird. Leider wurde diese Hoffnung zerstört und auch die weiteren Top-200-Kader-Entscheidungen können als Rückschritt in Fragen der Gleichberechtigung der Geschlechter in der politischen Repräsentation gesehen werden.

Das hiesige staatliche Mediensystem erklärt die Regelbrüche auf dem Parteitag damit, dass die Interessen der Nation und des Volkes über alles gestellt werden müssen und bei der Auswahl neuer Führungskräfte die Kompetenz über andere Faktoren gestellt wird. Der Umsturz der Normen und bisher geltenden Regeln kann als Zeichen mangelnder Einigkeit über neue Führungspersonen in den bestehenden Machtblöcken der KPV gesehen werden. Um eine stabile Führungsstruktur aufbauen zu können, stützt sich die KPV daher auf die altgedienten Kader.

Das verhindert allerdings das Aufrücken jüngerer Kader und verzögert somit den Erneuerungsprozess der KPV. Durch den Bruch der "Zwei-Amtszeiten-Regel" können zukünftige Parteiführer*innen dies als Präzedenzfall nutzen, um sich ebenfalls an die Macht zu klammern. Der parteiinterne "Demokratisierungsprozess von unten nach oben" gerät ins Stocken zugunsten des alten, bewährten Konzepts des "demokratischen Zentralismus".

Die Auswahl der Führung und die strategischen Entscheidungen, die auf dem 13. Nationalen Parteitag beschlossen wurden, haben wichtige Auswirkungen auf die KPV und die Politik Vietnams in den kommenden Jahren. Der 13. Nationale Parteitag hat mit seinen Entscheidungen auf Stabilität, Kontinuität und Beständigkeit gesetzt. Es sind keine großen Umbrüche, Kehrtwendungen oder Neuausrichtungen der Innen- oder Außenpolitik zu erwarten.

Balanceakt zwischen China und westlichen Handelspartnern

Im Bereich der Außenpolitik hat Vietnam in den letzten Jahren bewiesen, dass sie eine ausgeprägte Balance zwischen den Großmächten dieser Welt zu halten vermögen und die Kontakte weiter diversifizieren können. China ist nach wie vor der wichtigste Handelspartner mit einem Anteil von fast 16 Prozent an den Exporten und einem Anteil von 29 Prozent an den Importen im Jahr 2019. Die zunehmenden Spannungen im Südchinesischen Meer und der wachsende Einfluss Chinas in der Region zwingen Vietnam dazu, den chinesischen Einfluss weiter auszubalancieren. Mit dem "EU-Vietnam Free Trade Agreement" (EVFTA) hat Vietnam ein hochkomplexes Handelsabkommen mit der EU unterzeichnet und knüpft durch hochrangige politische Austauschbesuche Beziehungen zu mehreren europäischen Staaten. Während des letzten Jahrzehnts haben Vietnam und die USA ihre politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit immens ausgebaut. Japans Premierminister Yoshihide Suga, ein weiterer wichtiger Akteur in der Region, unterstrich die Bedeutung Vietnams, indem er Vietnam seinen ersten Auslandsbesuch nach seiner Vereidigung als Premierminister im Jahr 2020 abstattet.

Fazit:

Ähnlich wie die früheren Parteitage war der 13. Parteitag der KPV für Außenstehende eine Demonstration von Macht und Einheit. Eine große Feier der inneren und äußeren Errungenschaften der KPV und eine Bestätigung des vom vorherigen Zentralkomitees eingeschlagenen Kurses. Bestimmte interne Diskussionen und Entscheidungsfindungsprozesse konnten durchsickern, wobei die meisten Informationen und Diskussionen hinter verschlossenen Türen blieben.

Vietnam wird sich weiter als verantwortungsbewusste Mittelmacht in der Weltpolitik positionieren. Es wird von vielen westlichen Ländern als verlässlicher Partner auf verschiedenen Ebenen hochgeschätzt. Vietnam wird seinen Kurs der internationalen Integration, des Multilateralismus und des Ausgleichs und der Diversifizierung politischer und wirtschaftlicher Verbindungen proaktiv fortsetzen, nicht zuletzt um dem Einfluss des großen Nachbarn im Norden entgegenzuwirken. Intern gerät der Erneuerungsprozess der Partei ins Stocken. Solange aber der wirtschaftliche Aufstieg weitergeht, die KPV die Pandemie unter Kontrolle hält und der Frieden gesichert ist, wird die Machtposition der KPV nicht in Frage gestellt werden.