Gesundheitsministerkonferenz

Corona macht Defizite sichtbar

Ein System am Tropf

Am Mittwoch und Donnerstag kommen die Gesundheitsministerinnen und -minister der Länder zu ihrer Konferenz in Berlin zusammen. Mit am Tisch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). An brisanten Themen mangelt es derzeit nicht. Gerade angesichts der Corona-Krise fordert Achim Kessler, gesundheitsökonomischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, in seinem Gastbeitrag für „Links-bewegt“ eine Neuausrichtung des Gesundheitssystems.

Die Corona-Krise macht die fatalen Folgen des neoliberalen Spardiktats und des jahrzehntelang vorangetriebenen Abbaus unserer öffentlichen Daseinsvorsorge sehr deutlich. In unserem Gesundheitssystem hat die Ausrichtung auf Wettbewerb und Markt dazu geführt, dass in den Kliniken nicht genügend medizinisches Schutzmaterial und Atemmasken vorgehalten wurden. Pandemie- und Notfallpläne hätten aber frühzeitig anhand wissenschaftlicher Kriterien erprobt und angepasst werden müssen. Darunter fallen auch die beständige Aktualisierung der Lagerbestände von Schutzausrüstung, die Erstellung und Anpassung einer effektiven Teststrategie, sowie die bedarfsgerechte personelle und finanzielle Ausstattung der Gesundheitsämter – all dies hat die Bundesregierung versäumt. Die Leid- und auch Risikotragenden dieser Politik sind innerhalb unseres Gesundheitswesens neben Patientinnen und Patienten vor allem die Beschäftigten in den Pflegeberufen, in den Krankenhäusern und auch in der Altenpflege. Wenn die Gesundheitsministerinnen und -minister jetzt am 30. September 2020 in gemeinsamer Konferenz beraten, tun sie gut daran, endlich die Leistung und harte Arbeit der Beschäftigten im Gesundheitswesen anzuerkennen und nachhaltig für Entlastung und mehr Geld zu sorgen.

Personalmangel schon vor der Krise

Bereits vor der Corona-Krise herrschten Personalmangel und Pflegenotstand. Pflegerinnen und Pfleger müssen immer mehr Patientinnen und Patienten in immer kürzerer Zeit behandeln und bekommen dafür keine angemessene Vergütung. Aufgrund der hohen Arbeitsbelastung und Unvereinbarkeit von Familie und Beruf durch mangelnde staatliche Unterstützungsangebote arbeiten viele von ihnen in Teilzeit oder müssen ganz aus dem Beruf aussteigen. Es sind oftmals Frauen, die so benachteiligt werden und denen später auch noch Altersarmut und niedrige Renten drohen. In den Krankenhäusern kommt es außerdem zu sogenannten „blutigen Entlassungen“, da durch das Abrechnungssystem nach Fallpauschalen eine möglichst kurze Liegedauer von Patientinnen und Patienten vorgesehen ist. Diese müssen dann oftmals von Angehörigen weiter versorgt werden, obwohl sie noch nicht genesen sind.

Die gesundheitliche Versorgung von Menschen und auch menschliche Fürsorge werden häufig als selbstverständlich im Rahmen der Familie angesehen und nicht bezahlt. Und selbst, wenn Fürsorge im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses erfolgt, gelten die damit einhergehenden Tätigkeiten als nicht profitabel oder sogar als Kostenfaktor. Daran muss sich grundlegend etwas ändern. Denn die Ausbeutung von migrantischen Pflegekräften, die hierzulande die Lücke in den Haushalten mit Pflegebedarf füllen und dafür in ihrem Herkunftsland diese Arbeit nicht mehr übernehmen können. Auch die Ausbeutung von unbezahlten pflegenden Angehörigen hat in unserer Gesundheitsversorgung System: Sie springen dort in die Bresche, wo der Sozialstaat und die öffentliche Daseinsvorsorge weggekürzt wurden. Denn Privatisierung und Ökonomisierung haben Märkte entstehen lassen, in denen private Träger und Krankenhauskonzerne diktieren, wie versorgt und gepflegt wird. Gerade in der Krise sollte eigentlich die Einsicht gereift sein, dass der Wettbewerb eine Krisensituation nicht bewältigen kann.

Jetzt die Weichen stellen

Wir brauchen jetzt dringend eine Neuausrichtung unseres Gesundheitssystems. Unsere Krankenhäuser müssen wieder in die öffentliche Hand. Die Finanzierung muss wieder selbstkostendeckend erfolgen und das Fallpauschalensystem abgeschafft werden. Außerdem brauchen wir endlich einen wissenschaftlich ermittelten, verbindlich und gesetzlich festgelegten Personalschlüssel für alle Berufsgruppen im Krankenhaus, der dem tatsächlichen Bedarf entspricht und Spielräume für Not- und Krisensituationen bereithält. Pflegekräfte dürfen nicht mit Applaus oder einer Einmalzahlung, einer sogenannten „Corona-Sonderprämie“ von der auch noch viele ausgeschlossen sind, abgespeist werden. Sie verdienen höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen und haben ein Recht auf mehr Mitbestimmung!