Nachruf

Eine Tochter des 20. Jahrhunderts

Rossana Rossanda in ihrem Haus in Rom.

Mit Rossanna Rossanda verlieren wir eine außergewöhnliche Persönlichkeit der italienischen Linken mit einer Ausstrahlung weit über Italien hinaus. Sie wurde 1924 in Pola (Istrien) geboren, verbrachte dann aber ihre weitere Jugend in Venedig und Mailand, wo sie Literatur und Philosophie studierte. 1943 schloss sie sich dem antifaschistischen Widerstand an und wurde Kommunistin. In der Folge war ihr Leben stark mit der kommunistischen Partei Italiens (KPI) verbunden. Ab 1947 war sie bis zu ihrem Ausschluss 1969 hauptamtlich für die Partei tätig. 1959 wurde sie in das Zentralkomitee gewählt, 1963 wurde sie Abgeordnete im italienischen Parlament. Viele Jahre war sie verantwortlich für die Kulturpolitik der KPI.

Die 1960er Jahre waren für Rossana Rossanda eine Zeit voller politischer Hoffnungen. Es war eine politisch-kulturell äußerst bewegte Zeit, in der die Linke hegemoniale Positionen in der Kultur und in der Gesellschaft erlangte. In den Wahlen von 1963 erlitt die Democrazia Cristiana eine herbe Niederlage, während die KPI deutlich zulegte. Es waren vor allem zwei Ereignisse, die für sie mit großen Hoffnungen verbunden waren: Die Studentenbewegung und der heiße Herbst 1969 mit gewerkschaftlichen Kämpfen und Fabrikbesetzungen. Ihrer Auffassung nach nahm die KPI allerdings die damit verbundenen möglichen Veränderungen der gesellschaftlichen Verhältnisse nicht wirklich wahr, sondern nahm eine eher beschwichtigende Rolle ein. Rossana Rossanda, die immer einen starken Bezug zur Gewerkschaft hatte, sah in den Formen der Selbstverwaltung, die sich im Laufe der Fabrikbesetzungen herausbildeten, den Keim für eine Alternative zur kapitalistischen Produktion.

Eine unbequeme, mutige Denkerin

Rossana Rossanda gehörte innerhalb der KPI dem linken Flügel an, der vor allem von Pietro Ingrao repräsentiert wurde. Dieser verlor jedoch im Laufe der Entwicklung an Einfluss und wurde an den Rand gedrängt. Ein entscheidendes Ereignis war der Einmarsch des Warschauer Paktes in Prag. Rossana Rossanda kritisierte dies heftig, währen die Reaktion der KPI eher schwach war. 1969 wurde sie aus der Partei ausgeschlossen. 1960 gründete Rossana Rossanda zusammen mit Luciana Castellina, Lucio Magri und anderen die Zeitschrift „il manifesto“, die ab 1971 Tageszeitung wurde und bis heute trotz erheblicher Schwierigkeiten existiert. „il manifesto“ war und ist eine Plattform für die politische Debatte. „il manifesto“ und Rossana Rossanda selbst vertraten eine klar linke politische Linie, die sich auch sehr kritisch mit der Politik der KPI auseinandersetzte. Auch sonst mischte sich Rossana Rossanda in die gewerkschaftlichen und politischen Debatten ein. Den von Enrico Berlinguer propagierten „Historischen Kompromiss“ („compromesso storico“) kritisierte sie scharf und bezeichnete ihn als politischen Irrtum.

2005 erschien ihre Autobiographie mit dem Titel „La raggaza del secolo scorso“ („Die Tochter des 20. Jahrhunderts“ war der Titel der deutschen Ausgabe, die 2007 erschien). Beeindruckend ist die Darstellung ihrer Zeit als junge Funktionärin der KPI, in der ihr hohes persönliches Engagement und die politischen Hoffnungen zum Ausdruck kommen. Entscheidend war für sie immer die gesellschaftliche und politische Verankerung. Doch sieht Rossana Rossanda schon früh Schwächen und einen Verlust an gesellschaftlicher Hegemonie der Linken, der sich bis heute dramatisch zugespitzt hat. Ihre Autobiographie endet allerdings 1969. Auf die Ereignisse danach wird nur noch kursorisch eingegangen.

Zwar ist es in den letzten Jahren ruhiger um sie geworden, doch ihr politisches und intellektuelles Wirken ist nach wie vor äußerst inspirierend.

Rossana Rossanda starb am 20. September im Alter von 96 Jahren in Rom.