Perfide Vetternwirtschaft

Bereichern sich CDU-Größen an Geldern gegen Antisemitismus?

Berliner Abgeordnetenhaus: Dirk Stettner, CDU-Fraktionsvorsitzender

Am 20. November haben Die Linke und Die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus einen Antrag zur Einrichtung eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses wegen des Verdachts ungesetzlicher Verwendung von Fördergeldern für Projekte gegen Antisemitismus gestellt. Hintergrund sind begründete Anhaltspunkte für eine illegale Vergabe von bis zu 3,4 Millionen Euro aus einem Sondertopf zur Bekämpfung von Antisemitismus durch den ehemaligen Kultursenator Joe Chialo (CDU) und seiner Nachfolgerin, Sarah Wedl-Wilson (parteilos, für die CDU im Senat). Der unglaubliche Verdacht: Der aktuelle CDU-Fraktionschef im Berliner Abgeordnetenhaus, Dirk Stettner, sowie einer seiner Vorgänger, Christian Coiny, haben die Vergabe der Mittel gegen Antisemitismus, die anlässlich des Terroranschlags der Hamas am 7. Oktober in Israel als frei verfügbare Mittel ihrer CDU interpretiert. Sie sollen Listen mit ihnen genehmen Projekten persönlich an die Verwaltung mit der Aufforderung, diese zu begünstigen, verschickt haben.

Ihre „Bitten“, die besser Anweisungen an die Mitarbeiter*innen der Verwaltung zu nennen sind, scheinen ohne die erforderliche fachliche und zuwendungsrechtliche Prüfung der Anträge und gegen den ausdrücklich und in Unterlagen dokumentierten Widerspruch aus der Verwaltung erfolgt zu sein. Weil die zuständigen Mitarbeiter*innen sich an die Landeshaushaltsordnung hielten – trotz des offenkundigen Drucks der CDU‑Größen –, blieb Kultursenatorin Wedl-Wilson nur, sie höchstpersönlich freizuzeichnen. Ihr Vorgänger Chialo, der zwischenzeitlich zurücktrat, hatte zuvor seine Mitarbeiter*innen angewiesen, die Zuwendungsbescheide „ohne inhaltliche und umfassende zuwendungsrechtliche Prüfung“ zu erstellen und ihm zur Unterzeichnung vorzulegen.

Die Vermerke und rechtlichen Bedenken ihrer Mitarbeiter*innen ignorierend, sorgten Chialo und Wedl-Wilson dafür, dass 14 von 18 Projekten von der „Stettner-und-Coiny-Liste“ mit 2,65 Millionen Euro bedacht wurden. Die Projekte, für die das Geld beim Kultursenator bestellt wurde, sind dabei durchaus dubios. Spitze des Eisbergs: die Förderung eines Vereins namens „Zera Institut“ mit 390.000 EUR. Gegründet wurde das „Institut“ erst im März 2025. Bereits vier Monate später, Ende Juli 2025, wurden erste Gelder bewilligt. In das Vereinsregister wurde das „Institut“ erst später, Ende Oktober 2025, eingetragen. Gegründet wurde das „Institut“ durch einen Mitarbeiter von Goiny und einer Vorstandskollegin von Goinys CDU Kreisverband Lichtenrade. Selbstredend konnte dieses so kurzfristig gegründete „Institut“ keine nachweisbare Expertise in der Arbeit gegen Antisemitismus vorweisen.

Aber es reichte den CDU-Granden nicht, Geld, das für Arbeit gegen Antisemitismus gedacht war, zweckzuentfremden und an Parteifreunde weiterzuleiten. Die Jury für den Aktionsfonds gegen Antisemitismus, die mit namhaften Wissenschaftler*innen, Projektleiter*innen und Aktivist*innen gegen Antisemitismus besetzt war und die Aufgabe hatte, die Projektmittel fachlich zuzuteilen, wurde nachhaltig diskreditiert – möglicherweise mit dem Ziel, sie völlig zu entmachten. Unter den Jurymitgliedern waren u. a. die Professorin Christina Brüning und der Gründer der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus, Dervis Hizarci. Ein Mitarbeiter der Verwaltung fasste die Schmähung der Christdemokraten gegen die Jury in einer E-Mail pointiert zusammen. Die Jury sei „zu links, zu woke, BDS-nah". 

Shai Hoffman, jüdischer Sozialaktivist, ist einer der als „zu links“ abservierten Jurymitglieder. „Die CDUler wollen darüber entscheiden, wer die guten und wer die schlechten Juden sind“, sagt er der taz. Auch andere Jurymitglieder empfinden diese internen Zuschreibungen durch CDU-Spitzenpolitiker zu Recht als diffamierend. „Die mutmaßlichen Diffamierungen sind unwissenschaftlich und demokratiegefährdend, denn sie tragen dazu bei, die Bekämpfung von Antisemitismus in seiner gesamtgesellschaftlichen Einbettung zu polarisieren und nachhaltig zu beschädigen“, erklärten die Jurymitglieder Marina Chernivsky (israelische Psychologin und Antisemitismusforscherin), Nicholas Potter (britisch-deutscher Autor mit dem Themenschwerpunkt) und Friederike Lorenz-Sinai (forscht zu Antisemitismus an der FU Berlin) gemeinsam.

Die Berliner CDU ist für Skandale und Geklüngel bekannt. Erinnert seien an den Antes Skandal um Schmiergeld für Bauaufträge in den 1980er-Jahren, den Berliner Bankenskandal um den damaligen CDU-Fraktionsvorsitzenden Klaus-Rüdiger Landowsky, der Anfang des Jahrtausends Berlin um Milliarden schädigte, und die Parteispenden des mittlerweile insolventen Berliner Immobilienmagnaten Christoph Gröner. Auch wenn Skandale und Vetternwirtschaft offenbar der Berliner CDU in die politischen Gene geschrieben sind, hat die aktuelle Fördergeldaffäre allerdings noch eine viel tiefere Dimension der Niedertracht: Ein CDU-Fraktionschef, der schnell mit Antisemitismusvorwürfen gegen andere zur Hand ist, diskreditiert eine angesehene Jury gegen Antisemitismus, um zweifelhaften Projekten und Vereinen von Parteifreunden, Geld zukommen zu lassen. Geld, das extra nach dem 7. Oktober, nach dem menschenverachtenden antisemitischen Terroranschlag der Hamas, für Arbeit gegen Antisemitismus zur Verfügung gestellt wurde, um dem wachsenden Antisemitismus in Berlin etwas entgegenzustellen. Wie perfide kann man eigentlich sein? Eine Frage, der insbesondere der Landesvorsitzende der Berliner CDU und regierende Bürgermeister von Berlin, Kai Wegner, nicht ausweichen darf.