Vom Plenarsaal auf die Barrikaden
Die Linke hat kurz vor der Bundestagswahl eine denkwürdige Kehrtwende hingelegt und ist mit einem der besten Ergebnisse seit der Gründung souverän als Fraktion in den Bundestag und auch ins Interesse der Medienöffentlichkeit zurückgekehrt (https://emanzipation.org/2025/03/die-linke-nach-der-wahl-aufbauen/[1]). Wiederentdeckte Taktiken linker Politik durch direkte Hilfsangebote, Organizing in den Betrieben, Haustürgespräche, aber auch eine professionelle und strategische Öffentlichkeitsarbeit vor allem im Social-Media-Bereich scheinen sich deutlich in Wähler*innenstimmen ausgezahlt zu haben. Dem Pakt von CDU und AfD zur Verschärfung der Migrationspolitik widersprach die Linke in klarer und authentischer Art und Weise Wir sind die Brandmauer! - lautet unser Versprechen, auch dieses Momentum trug zum Comeback bei.
Doch was kommt danach, und wie lauten die Alltags-Erfolgsrezepte einer linken, sozialistischen Partei? Wir meinen, dass die Möglichkeiten parlamentarischer Arbeit und deren grundsätzliche Bedeutung für die Partei nicht unterschätzt werden sollten. Wir wollen in diesem Beitrag die Vielzahl der Ressourcen parlamentarischer Mandate für Partei und Bewegung sowie Perspektiven für eine radikalreformistische Politik aufzeigen, die unseren Wähler*innen präzise Ansatzpunkte liefert, wie wir nicht nur von unten, sondern auch vom Parlament aus einer Umgestaltung der Gesellschaft näherkommen können.
Wir wollen Antworten geben auf die Fragen: Wofür braucht es Die Linke im Parlament auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene – und warum sind diese Funktionen eben nicht durch Parteiaufbau und Organizing zu ersetzen? Durch einen komplementären Ansatz lassen sich strukturelle Erneuerung mit aktivistischer Parteiarbeit einerseits und rebellische Parlamentsarbeit verbinden.
I. Mandate = Ressourcen & Strukturen
Eine automatische Folge einer starken Fraktion im Bundestag sind umfangreiche finanzielle Zuwendungen aus der staatlichen Parteienfinanzierung. Zusätzlich profitiert die Partei dank unserer hohen Mandatsträger*innenabgaben finanziell erheblich durch jeden gewonnenen Parlamentssitz. Klug genutzt, lässt sich dieses zusätzliche Budget unmittelbar in mehr greifbare Hilfs- und Beratungsangebote, Präsenz an den Haustüren und Social-Media-Feeds sowie linke Treffpunkte ummünzen: Mehr Ressourcen ergeben bessere Strukturen, mehr Vernetzung und Organisierung. Nicht zuletzt unterstützen viele unserer Abgeordneten als Einzelpersonen lokale Initiativen im Wahlkreis mit regelmäßigen Spenden und stärken so ganz konkret Akteur*innen für eine solidarische Gesellschaft vor Ort.
Jeder gewonnene Parlamentssitz ist zudem mit mehr Geldmitteln für Fraktions- und Wahlkreismitarbeitende verbunden, die wiederum für unsere Strategie- und Kampagnenentwicklung, die Erarbeitung linker Gesetzesvorhaben und die Präsenz im Wahlkreis unverzichtbar sind. Darüber hinaus haben staatliche Zuwendungen für die Arbeit der Rosa-Luxemburg-Stiftung eine überlebenswichtige Bedeutung. Mitgliedsbeiträge allein reichen nicht, um die dortigen Strukturen linker Theorie-, Bildungs- und Strategiearbeit zu erhalten und auszubauen, deren Bedeutung für linke Politik innerhalb und außerhalb des Parlaments sehr wichtig ist.
II. Mandate als Sprachrohr für Partei und Bewegung
Eine sehr wichtige Rolle für unsere politische Glaubwürdigkeit spielt außerdem die individuelle Ausgestaltung des Mandats durch die Gewählten. Der über die Jahre ritualisierte und an vielen Stellen (nachvollziehbarer Weise) von Unverständnis geprägte Blick vieler Basismitglieder auf die frühere „Fraktionsblase“ im politischen Berlin darf kein Dauerzustand bleiben. Ein sinnvoller Einsatz von realistischen Mandatszeitbegrenzungen und die parteiinterne Deckelung der Abgeordnetendiäten können hierzu beitragen. Für Diskussion und Auseinandersetzung zwischen Basis und Fraktion(en) sollten Orte etabliert werden und die Anbindung unserer Abgeordneten an die Basisarbeit vor Ort selbstverständlich sein.
Insbesondere geht es uns hier darum, die Position von Abgeordneten als Sprachrohr und Ressource für Partei und Bewegung zu betrachten. Hierzu gehört die Frage, wie wir unsere Wahlkreisbüros nutzen. Diese Orte sollten ganz selbstverständlich nicht nur für Aktivitäten rund um die Partei zur Verfügung stehen, sondern für alle Menschen im eigenen Wahlkreis offen sein, die sich für eine solidarischere Gesellschaft einbringen wollen. Von Antifa- und Klimagruppen bis zu lokalen Kulturvereinen und Freizeittreffs ist die Klientel, die unsere Räume benötigt und nutzt, sicherlich je nach Standort sehr unterschiedlich. Vor allem im ländlichen Ostdeutschland, wo es teilweise kaum oder keine Treffpunkte außerhalb einer stramm rechten Hegemonie gibt, sehen wir uns in einer besonderen Verantwortung, einen Schutzraum, Support und Infrastruktur für die verbliebenen demokratischen Akteuren*innen anzubieten.
Je nach Anforderungen können unsere Büros vieles sein: Plenumsort und Bibliothek, Veranstaltungslocation und Techniklager, Café und Kneipe, Copyshop und Beratungszentrum. Um diese Funktionen zu erfüllen, braucht es aber nicht nur Ressourcen für Einrichtung und Miete, sondern auch eine solidarische Vergütung für Genoss*innen, die unsere Büros betreuen und progressive Akteur*innen im Wahlkreis miteinander vernetzen. Das Abgeordnetenbüro ist nicht nur Treffpunkt und offener Raum, sondern hat auch einen Schutzstatus: Von der Bereitstellung der Postadresse für Initiativen bis hin zu verschlüsselten und sicheren IT-Angeboten können wir unsere Namen für diejenigen hinhalten, die in ihrer Arbeit lieber anonym bleiben wollen. Die Idee und Umsetzung von offenen Büros hat in unserer Partei inzwischen eine lange Traditionslinie und heute werden viele Abgeordnetenbüros als solche Kollektivorte geführt. Die Erfolge dieser Bürokonzepte lassen sich in Leipzig, Dresden, Treptow und anderswo nachvollziehen.
III. Mandate als Schutz linker Aktivist*innen
Das Parlamentsmandat exponiert uns und bietet darüber hinaus einen rechtlichen Schutz, um bspw. Demonstrationen und Aktionen des zivilen Ungehorsams als parlamentarische Beobachter*innen zu begleiten. Wo wir als Anmelder*innen von Kundgebungen auftreten, können wir außerparlamentarische Akteur*innen entlasten und unterstützen.
Die parlamentarischen Möglichkeiten sind darüber hinaus vielfältig. Es gilt, die eigene Zeit nicht nur an den analogen und digitalen Kampfplätzen zu verbringen, die auch ohne Mandat zugänglich wären. Sehr wirkmächtig lässt sich mit parlamentarischen Instrumenten der politische Betrieb aufmischen. Eines der simpelsten Mittel ist das Öffentlichmachen von Informationen mittels Kleiner Anfragen – Informationen, an die Medienschaffende, NGOs und Aktivist*innen ansonsten nur unter sehr viel umständlicheren Bedingungen gelangen können. Bereits unzählige Male wurden skandalöse Zustände in der Polizei, auf dem Wohnungsmarkt oder der Asylpolitik aufgrund unserer unermüdlichen parlamentarischen Anfragen aufgedeckt und medial aufgegriffen.
Kleine Anfragen und parlamentarische Informationsbeschaffung liefern uns wichtige Daten zu Regierungshandeln und Informationen über politische Machtstrukturen. Systematisch eingesetzt, stellen sie eine unverzichtbare Grundlage für das Erkennen und Verstehen von politischen Problemen, die Entwicklung von Forderungen und für programmatische Diskurse für Die Linke und emanzipatorische soziale Bewegungen dar. Ohne Mandate und parlamentarische Repräsentation fehlen uns all diese Informationen. Ohne Kenntnis dessen, was im Zentrum der Macht geschieht, fällt der Aufbau von Gegenmacht schwer.
Das gilt auch in die andere Richtung: Gerade, weil das Parlament ein Machtraum ist und von der Geschäftsordnung bis hin zu den wissenschaftlichen Parlamentsdiensten eine so komplexe Handlungsstruktur existiert, braucht es Menschen, die sich damit auskennen und auch aus Überzeugung dieses Wissen nutzen und umverteilen.
IV. Parlamentarische Präsenz als Garant für (mediale) Sichtbarkeit
Der finanzielle und informationsbezogene Aspekt parlamentarischer Mandate ist zwar ein überlebenswichtiger, aber längst nicht der einzige Vorteil des ungeahnt erfolgreichen Winterwahlkampfes. Besonders bemerkbar ist aktuell auch die völlig veränderte Rolle in der Medienöffentlichkeit, die unsere Partei seit dem massiven Zugewinn an Wähler*innenzuspruch spielt. Auch wenn wir es zu lange vernachlässigt haben, möglichst alle Menschen, für die wir Politik machen - vom Werkstor über die Haustür bis zu Social Media - zu erreichen; die Massenmedien bleiben ein zentraler Ort des Agendasettings und der Produktion politischer Narrative. Wir können es uns nicht leisten, in Tagesschau und Talkshows, aber auch in den Regional- und Lokalzeitungen nicht präsent zu sein, wenn wir wirklich alle potenziellen Wähler*innen mit unserer Politik erreichen wollen. Das gilt vor allem für die großen Claims der politischen Debatte, für Widerspruch gegen eine neoliberale Finanz- und Steuerpolitik, die große Vermögen und Superreiche begünstigt, für eine laute Stimme gegen zutiefst menschenverachtende Äußerungen gegen Sozialleistungsbeziehende oder für die Abschaffung von Rechten von Menschen ohne deutschen Pass. Es reicht nicht, diesem permanenten Rechtsruck in den eigenen Social-Media-Blasen zu trotzen, wir müssen auch in die klassischen Arenen der Aufmerksamkeits- und Meinungsproduktion. Dabei nicht zu vergessen: gedruckte Materialien, um vor Ort in den Häusern und Nachbarschaften unsere Botschaften zu verteilen.
V. Transformation beginnt im Kleinen – Belege für Erfolge lokaler linker Parlamentsarbeit
Wir haben mit der Bedeutung von finanziellen Ressourcen, Medienpräsenz, Wahlkreisbüros und Mandatsträger*innenrechten für die Partei und außerparlamentarische Zusammenhänge bereits verschiedene Funktionen ausgeführt, aufgrund derer parlamentarische Mandate ein unverzichtbarer Bestandteil erfolgreicher linker Politik sind – und welche gravierenden Auswirkungen deren Wegfall mit sich bringt. Gleichermaßen müssen wir jedoch bessere Antworten auf die Fragen nach Strategien und inhaltlichen Leitplanken für linke parlamentarische Mehrheiten finden, als sie die bisherige Praxis unserer Partei herausarbeiten konnte.
Oft übersehen, liefert die kommunale Ebene erfolgreiche Beispiele dafür, wie sich linke Mehrheiten in konkrete und spürbare Veränderungen ummünzen lassen. In Leipzig erkämpften wir als Stadtratsfraktion in vielen Bereichen wichtige Mehrheiten für eine solidarischere Stadtgesellschaft t: mit der Implementierung von Milieuschutzgebieten gegen konservative und liberale Akteure aus Politik und Immobilienwirtschaft, der Einführung konkreter Verfahren für die Ahndung von Mietwucher, durch die Erklärung zum „sicheren Hafen“ für Geflüchtete samt Begleitmaßnahmen, die Abschaffung von sachgrundlosen Befristungen für Verwaltungsmitarbeiter*innen oder die Entlastung von Beschäftigten in Kitas. Auch wenn die Handlungsmacht auf kommunaler Ebene manchmal marginal wirkt, hat sie oftmals bedeutsame Auswirkungen auf das Leben von Menschen. Dank unserer Initiative im Stadtrat wird es in Leipzig bald den neben Berlin ersten Drogenkonsumraum in Ostdeutschland geben – dieser wird das Leben von prekär lebenden Konsumierenden retten.
Die Berliner Linksfraktion erkämpfte kostenlose Mieter*innenberatungen in allen zwölf Berliner Bezirken, kostenfreie Toiletten (wenn auch derzeit nur 50 Prozent aller Toiletten) und freie Uferwege entlang der Berliner Gewässer als Ziel für die Stadtentwicklungspolitik, sowie den Schutz aller Kleingärten.In Treptow gelang es über die Basisorganisierung im Wahlkreis als sicht- und hörbare Abgeordnete, anknüpfend an vorherige Kiezkampagnen, gemeinsam mit den Anwohner*innen die medizinische Versorgung zu sichern. In einem zuvor bereits privatisierten Ärztehaus im Osten der Stadt wurde den damaligen Hausärzt*innen vom neuen Eigentümer gekündigt. Nach zwei Jahren Kampf ist die Hausarztversorgung wieder gesichert. Diese Beispiele zeigen eindrücklich, wie entscheidend linke Mehrheiten auf lokaler Ebene für konkrete Veränderungen sind.
VI. Linkes Regieren im Kapitalismus – ein Desaster mit Ansage?
Wenig überraschend lassen sich die Erfolge linker Kommunalpolitik nur schwerlich auf die in ihren politischen Mehrheiten und Entscheidungskompetenzen völlig anders strukturierte Landes- und Bundesebene übertragen. Zwar können wir uns auf die Fahne schreiben, in der Vergangenheit durch politischen Druck und Bündnisse mit gesellschaftlichen Akteur*innen dazu beigetragen zu haben, dass genuin linke Forderungen wie Mindestlöhne oder die Ehe für Alle von den Regierenden eingeführt worden sind. Auch in den Länderparlamenten konnten wir aus der Opposition heraus strukturelle Veränderungen bewirken. In Sachsen betrifft dies etwa den sozialen Wohnungsbau, der erst 2017 auch durch unsere stetige parlamentarische Arbeit wieder in Gang gesetzt wurde oder die Einführung des Zweckentfremdungsverbots für Wohnraum, um gegen die kommerzielle Umnutzung durch Anbieter wie Airbnb und spekulativen Leerstand vorgehen zu können.
In der neuen Situation einer Minderheitsregierung aus CDU und SPD hat Die Linke in den Verhandlungen zum sächsischen Haushalt 2025/26 maßgeblich dazu beigetragen, schmerzliche Kürzungen im Sozialen, in der Jugendarbeit, Kultur, Integration und Demokratieförderung abzuwenden. Außerdem konnten wir die in Sachsen sehr strikte Schuldenbremse zumindest etwas lockern, um zukünftige Investitionen in die soziale Infrastruktur zu ermöglichen. Die parlamentarische Konstellation in Sachsen versetzt die Linke in die Situation, punktuell reale Verbesserungen durchzusetzen, aber nicht sklavisch an eine Koalition gebunden zu sein. Ein schmaler Grat, der immer wieder neu ausgelotet werden muss – auch durch eine breite, offene Debatte in Partei und Gesellschaft.
In Berlin wurde in der rot-rot-grünen Regierung darüber hinaus unter anderem erreicht: ein kostenloses Schüler*innenticket, die Einführung des 9€-Tickets als Sozialticket, die Umsetzung des Mietenvolksentscheides, der die soziale Steuerung der landeseigenen Wohngesellschaften inklusive der Mietobergrenzen in den Wohnungen der landeseigenen Wohnungen forderte, die nach wie vor diskutierte Bebauung des Tempelhofer Feldes zu verhindern und die Sicherung des Freiraums gegen Investorenwünsche, sowie des Fahrradvolksentscheids mittels des Ausbaus und der Priorisierung der Fahrrad- und Fußgänger*innensicherheit in Berlin. Alle diese Entscheide wurden von uns umgesetzt und werden jetzt durch die schwarz-rote Regierung angegriffen und zurückgedreht.
Nicht zu vergessen: die Einführung des für die gesamte Berliner Verwaltung bis zur Polizei geltende Antidiskriminierungsgesetz, der kostenlose Museums-Sonntag, den schwarz rot mit Amtsantritt unmittelbarabgeschaffte.. oderdas „Netzwerk der Wärme“, welches aus Erfahrungen der Pandemie solidarische Nachbarschaften und unkommerzielle Orte stärkt.
Linke Regierungsbeteiligungen auf Landesebene standen oft in einem unvorteilhaften Licht und konnten den in sie gesetzten Erwartungen nicht entsprechen. In einigen Fällen sind unsere Erfolge zu unsichtbar geblieben oder wurden durch den Druck des konservativ-rechten Lagers infrage gestellt. Dass es linken Parteien quer durch Europa ähnlich ergangen ist (https://www.nd-aktuell.de/artikel/1041573.linksregierungen-in-europa-haben-versagt.html[2]), markiert die besondere Schwierigkeit, tragfähige Argumente und überzeugende Strategien für eine auf Regierungsverantwortung ausgerichtete linke Politik zu entwickeln. Dennoch sind diese Perspektiven unverzichtbar, um Die Linke langfristig als eine politische Kraft zu etablieren, die gesellschaftliche Mehrheiten gewinnen und ihren Wähler*innen einen überzeugenden Transformationsplan hin zum demokratischen Sozialismus anbieten kann (https://zeitschrift-luxemburg.de/artikel/wir-muessen-mehr-ueber-macht-nachdenken-unsere-eigene-und-die-der-anderen-warum-linkes-mit-regieren-notwendig-ist/[3]).
Ein Beispiel für mutige, an Systemgrenzen kratzende linke Politik war der Berliner Mietendeckel. Es waren vor allem unabhängige Jurist*innen, die sich mit ihrer fachlichen Expertise für dieses politische Anliegen zusammensetzten und in endlosen Abendstunden einen Gesetzesvorschlag erarbeiteten. Mit dem Druck der Straße im Rücken und dem Wissen, dass eine linke Regierungsbeteiligung immer einem Transformationsanspruch folgen muss, ging die Linke in den Widerstand gegen das Immobilienkapital. Wir wissen heute: Der Mietendeckel wurde von CDU & FDP weggeklagt und muss nun auf Bundesebene eingeführt werden. In Berlin haben wir als Linke gezeigt, dass es dieses entschlossene Handeln braucht.
Inzwischen haben mehrere europäische Länder eine gesetzliche Mietenregulierung nach Berliner Vorbild eingeführt.
Das von einer rot-rot-grünen Landesregierung erarbeitete Gesetz war eine unserer wichtigsten Forderungen im Bundestagswahlkampf 2025 – und wir waren damit sehr erfolgreich. Für die Einführung eines Mietendeckels streitet auch die neue Bundestagsfraktion. Dafür braucht es mehr Druck aus Gesellschaft und Mieter*innenschaft sowie ein kluges Zusammenwirken aus verschiedenen strategischen Ansätzen, die auch linke Regierungspolitik mutig einbeziehen. Für progressive Ansätze im Rahmen des Möglichen benötigen wir zwingend parlamentarische Arbeit und den unbändigen Willen, das Bestehende in Frage zu stellen – aus dem heute in ein sozialistisches Morgen. Daran können wir scheitern, gerade wenn wir auf den verschiedenen Ebenen unterschiedlichen– nämlich wenig(er) – Gestaltungsspielraum haben. Hieraus aber muss der Ansporn erwachsen, daran etwas zu ändern.
Conclusio: Das Parlament ist tot, es lebe die Haustür!
Viel ist in jüngerer Zeit über die Bedeutung von Haustürgesprächen, betrieblicher Organisierung und Gegenmacht von unten geschrieben worden. Diese Konzepte und strategischen Überlegungen erwiesen und erweisen sich als enorm bedeutsam für die Neuaufstellung der Linken als Mitmach- und Kümmererpartei. Zuweilen werden Verlautbarungen dazu jedoch von einem Impetus getragen, der Verantwortungsträger*innen und Abgeordnete unserer Partei kollektiv als lethargische Bürokrat*innen und bloße Karrierist*innen darstellt, die sich stets auf der Jagd nach dem nächsten vermeintlich lukrativen Posten befänden und die man entsprechend an die Kette legen müsste. Wahlweise wird dabei die Möglichkeit progressiver Veränderungen durch parlamentarische Arbeit gleich mit unter den Bus geworfen und der Machtaufbau an der Basis der Gesellschaft – der Haustür - zur einzig erfolgsversprechenden Strategie erklärt.
Bei allem verständlichen Frust über ehemalige Mitglieder dieser Partei, die unsere Strukturen und Mandate für den Aufbau eines nationalistisch-autoritären Gegenprojekts missbraucht haben, halten wir diese polarisierte Erzählung von Basis vs. „Funktionär*innen“ auf mehreren Ebenen für irreführend und falsch. Keinesfalls plädieren wir für eine Heroisierung von Mandatsträger*innen, aber wünschen uns eine innerparteiliche Kultur, welche die großen persönlichen Aufwendungen, die Abgeordnete genau wie die unzähligen ehrenamtlich tätigen Menschen in unserer Partei leisten, gleichermaßen wertschätzt.
Statt das Wirken im Rahmen des parlamentarischen Systems und außerparlamentarischer Organisierung als gegensätzliche Strategien zu propagieren, sollten wir beides als zwei Seiten der gleichen Medaille begreifen. Ohne direkte Ansprache an der Haustür, auf TikTok und am Werkstor keine Verankerung in der breiten Masse. Ohne Strategie, die auf parlamentarische Wirkmächtigkeit orientiert, eben auch keine realistische Perspektive, gesellschaftliche Zustimmungswerte tatsächlich in systemische Veränderungen umzusetzen. Eine Partei, die sich als Kümmerer und Empowerer geriert, wird langfristig nur dann gewählt werden, wenn sie glaubhaft Wege zur Umsetzung ihrer Forderungen präsentieren kann.
Im Plenarsaal selbst können uns sowohl die Konfrontation auf offener Bühne als auch das nachdenkliche Gespräch im Hinterzimmer weiterbringen. Es braucht unermüdlich nervende Abgeordnete, politische Verlässlichkeit zwischen den Machtebenen Partei–Parlament–Regierung und Bewegung, außerdem die Zuarbeiten von Expert*innen in Wissenschaft, Ämtern und Fachverbänden. Dieses komplexe Zusammenspiel lässt sich nur durch Glaubwürdigkeit der einzelnen Beteiligten erzielen, und die bekommen wir dann, wenn wir Überzeugungstäter*innen in unseren Spielfeldern mit sichtbaren Vorgeschichten sind und nicht so tun, als wäre das Parlament nur eine Bühne.
Was ein dezidiert antiparlamentarischer Ansatz darüber hinaus schnell aus dem Blick verliert, ist die Möglichkeit einer Politik der kleinen Schritte, die schon heute in der Lage ist, konkrete Momente der Solidarität und kollektiven Fürsorge parlamentarisch zu erkämpfen. Statt auf den Streif der Klassenmacht am Horizont zu warten, verlangen die sich zuspitzenden Verhältnisse von uns als Partei des demokratischen Sozialismus, auch bereits in der Gegenwart den engen Rahmen des Möglichen auf pragmatischen Wegen auszunutzen.
Wir stehen für einen komplementären Ansatz. Parteiaufbau und -Organisierung sind kein Selbstzweck, gesellschaftliche Bündnisse kommen nicht von allein und eine von allem abgeschottete Fraktion, die sich hauptsächlich mit sich selbst beschäftigt, braucht niemand. Doch erst im Zusammenwirken im strategischen Dreieck von Parlament, Partei und Gesellschaft werden wir eine stärkere Wirkung erzielen, davon sind wir überzeugt. Für die Zukunft braucht es Verfahren, um die naturgemäß auftretenden Widersprüche von linker Politik in Regierungsverantwortung und Parteipositionen konstruktiv zu bearbeiten und in konkreten Fällen handlungs- und sprechfähig zu sein. Dazu benötigt es Räume, Zeit und vor allem die allseitige Bereitschaft, Debatten konstruktiv und unter Anerkennung eigener Fehler zu führen.
Zeit für was Neues – den Aufbruch von Links gemeinsam gestalten
Anti-Establishment und gestaltende Politik müssen sich keinesfalls ausschließen. Es geht um die Ausarbeitung konkreter Utopien, verbunden mit der Anerkennung der Notwendigkeit von Kompromissbildung bei deren Umsetzung. Unsere Wähler*innen müssen sich darauf verlassen können, dass wir im Zweifel zu unseren Grundsätzen und unserem Wahlprogramm stehen, derentwegen sie uns ihre Stimme gegeben haben. Dieses neben unzähligen inhaltlichen Differenzen zentrale Unterscheidungskriterium zur rückgratlosen Realpolitik von SPD und Grünen hat uns nach dem Fall der Brandmauer im Januar 2025 zahllose Stimmen zurückerobert und ist von essenzieller Bedeutung, um die Mehrheit der progressiv denkenden Menschen auf Bundesebene langfristig an uns binden zu können.
Wenn, und nur wenn der Erhalt unserer Glaubwürdigkeit auf der einen und die Erarbeitung im parlamentarischen Rahmen umsetzbarer Schritte der Transformation zum demokratischen Sozialismus auf der anderen Seite gelingen, können linke Regierungsoptionen erfolgreich und ein Weg zur Verwirklichung konkreter Utopien sein. Es ist an uns allen – auf der Straße, an den Haustüren, in den Wahlkreisbüros und Plenarsälen – in den nächsten dreieinhalb Jahren die Weichen dafür zu stellen, dass wir als Etappenziel dorthin 2029 deutlich zweistellig in den Bundestag einziehen, uns in den Landesparlamenten (wieder) etablieren und zur zentralen Stimme der gesellschaftlichen Linken werden. Packen wir’s an!
Links:
- https://emanzipation.org/2025/03/die-linke-nach-der-wahl-aufbauen/
- https://www.nd-aktuell.de/artikel/1041573.linksregierungen-in-europa-haben-versagt.html
- https://zeitschrift-luxemburg.de/artikel/wir-muessen-mehr-ueber-macht-nachdenken-unsere-eigene-und-die-der-anderen-warum-linkes-mit-regieren-notwendig-ist/